Das Brexit-Referendum sollte der Höhepunkt seiner politischen Karriere werden. Doch Premier David Cameron sind die Geister, die er selbst rief, zum Verhängnis geworden.

London - Die Wettleidenschaft der Briten ist weltberühmt – ihr politischer Führer David Cameron zockt auf höchstem Niveau. Der Herrscher über Downing Street No. 10 hat mit dem Referendum über den Verbleib seines Landes in der Europäischen Union alles aufs Spiel gesetzt – die Zukunft seines Landes und auch seine eigene als politischer Führer. Ohne Not, wie Kritiker anmerken. Am Ende hat er verloren. Gegen seinen erklärten Willen entschieden sich die Briten für den Austritt aus der EU.

 

Seit sechs Jahren führt der Tory-Politiker Cameron als Premierminister das politische Großbritannien, zunächst an der Spitze einer Koalitionsregierung mit den Liberaldemokraten. Seit 2015 mit absoluter Mehrheit seiner konservativen Partei im Unterhaus.

Vor allem Gegner in der eigenen Partei wie der frühere Londoner Bürgermeister Boris Johnson oder Ex-Parteichef Ian Duncan Smith warfen ihm wiederholt Führungsschwäche vor – er hat einen schweren Stand bei den Tories. Camerons Fraktion im Unterhaus verwehrte ihm mehrfach die Gefolgschaft, etwa bei der Homo-Ehe oder bei der Reform des Oberhauses. „Cameron konnte seine eigene Partei nicht kontrollieren – deswegen kam dieses Referendum“, sagte der Labour-Abgeordnete Hilary Benn am Freitag.

Getrieben vom eurokritischen Parteiflügel

Politisch ist Cameron der kaltblütige Spielertyp, der harte Verhandler. Privat gilt der 49-Jährige als weicher Familienmensch. Mit Ehefrau Samantha hat er drei Kinder, Sohn Ivan, der vierte Spross, starb schwerbehindert im Alter von sechs Jahren – noch vor Camerons Wahl zum Premierminister. Cameron hatte sich aufopferungsvoll um ihn gekümmert.

In der Downing Street als Nachfolger des glücklosen Gordon Brown angekommen, zählte die Europäische Frage von Anfang an zu den brennendsten für den Premierminister Cameron. Sie spaltet die britischen Tories seit Jahrzehnten. Margaret Thatcher konnte sie nicht lösen, ihr Nachfolger John Major scheiterte an ihr.

Cameron ging sie offen an, auch weil er glaubte, seine Partei damit einen zu können. Immer mehr Zugeständnisse machte er im Laufe der Zeit seinem eigenen, extrem eurokritischen Parteiflügel. Immer mehr ereiferte er sich über Europa und die angeblichen Schwächen der Europäischen Union, stellte sich in Brüssel demonstrativ quer, oft ohne eigenen Nutzen für sein Land.

2011 machte Cameron in einem spektakulären Schritt bei einem EU-Gipfel in Brüssel beim europäischen Fiskalpakt nicht mit – zu Hause in London verkaufte er sein Verhalten als „Veto“. Die EU-Gegner applaudierten – bis sie mitbekamen, dass der Fiskalpakt nun ohne britische Mitsprache geschnürt wurde.

Bye bye Downing Street

Als Cameron Anfang des Jahres – nach als halbherzig empfundenen Verhandlungen in Brüssel – die Alles-Oder-Nichts-Frage stellte, mutierte der Premier plötzlich zum glühenden Verfechter der europäischen Idee. Seine Landsleute nahmen ihm das nicht ab. Die Glaubwürdigkeitswerte des Premiers sanken in den Keller.

Cameron ist in seiner politischen Karriere bereits mehrmals ein hohes Risiko eingegangen. Als er den in der Murdoch-Abhöraffäre schwer belasteten und später zu einer Gefängnisstrafe verurteilten Ex-Journalisten Andy Coulson zum Regierungssprecher machte, etwa.

Als er in Schottland ein Referendum zur Unabhängigkeit des nördlichen Landesteiles zuließ, und dann monatelang kaum etwas für den Verbleib der Schotten tat, warfen ihm viele Gegner innerhalb und außerhalb der eigenen Partei Unfähigkeit vor. Nur mit Mühe gelang es, die Schotten im Königreich zu halten. „So knapp hätte es nicht werden dürfen“, sagte Cameron später.

Beim EU-Referendum sind Cameron die Geister, die er selbst rief, nun zum Verhängnis geworden. Ein Auszug aus dem Dienst- und Wohnsitz in der Downing Street No. 10 ist eine Frage der Zeit.