Vor 100 Jahren wurde die Württembergische Schwesternschaft vom Roten Kreuz gegründet. Damals wurden nur „unbescholtene“ Frauen aufgenommen. Heute gehören auch Männer dazu.

Stuttgart-Nord - Die Diakonissen kennt jeder. Aber den Verein Württembergische Schwesternschaft vom Roten Kreuz? Fragt man Passanten, schütteln die meisten den Kopf. Eine ältere Dame weiß Bescheid. „Das sind die Krankenschwestern, die ganz früher Charlottenschwestern hießen“, sagt sie. Anders als die Diakonissen tragen die Mitglieder der Schwesternschaft keine Tracht, fallen deshalb im Straßenbild nicht auf. „Wir sind außerdem überkonfessionell, können heiraten, Kinder haben und auch geschieden sein“, sagt Susanne Scheck. Sie ist Vorstandsvorsitzende der Württembergischen Schwesternschaft in Stuttgart. Ihre Dienstbezeichnung: „Oberin“, die Villa, in der sie in der Relenbergstraße residiert, ist das „Mutterhaus“. „An den traditionellen Begriffen halten wir fest. Aber ansonsten sind wir sehr zeitgemäß unterwegs“, sagt Scheck. Die Württembergische Schwesternschaft nimmt seit zwei Jahren auch Männer auf. Der Name Schwesternschaft bleibt trotzdem – aus Tradition.

 

Königin Charlotte wird Namenspatin

Vor 1919 gab es in Württemberg keine eigenständige Schwesternschaft im Roten Kreuz. Weil das Rote Kreuz nach dem Ersten Weltkrieg die Hilfsschwestern und Pflegerinnen, die beim Heer im Einsatz waren, halten wollte, wurde 1919 eine Schwesternschaft als selbstständige Abteilung des Württembergischen Landesvereins des Roten Kreuzes gegründet: mit eigener Verwaltung und Rechnungsführung. Der Gründung voraus ging eine Umfrage bei den betreffenden Frauen, ob sie sich das vorstellen können. Trotz Abdankung von König Wilhelm unterstützte Königin Charlotte die Schwesternschaft und übernahm die Namenspatenschaft. In der Villa in der Relenbergstraße, in der die Verwaltung der Schwesternschaft untergebracht ist, stehen noch Sofas und andere Möbel von Charlotte.

Das erste Mutterhaus richteten die Frauen im ehemaligen Hotel Hermann in Bad Cannstatt ein. Aufgenommen wurden nur „unbescholtene“ Frauen zwischen 20 und 35. Mitbringen mussten sie unter anderem drei weiße und blaue Schürzen, einige Unterröcke, Nähkasten mit Inhalt und einen Regenschirm. Die Tracht, die sie damals noch trugen, wurde ihnen gestellt. Unterhalt und Wohnung ebenfalls. Im Jahr 1938 musste sich die Schwesternschaft im Zusammenhang mit der Gleichschaltung im Dritten Reich in Württembergische Schwesternschaft umbenennen.

Im gleichen Jahr erwarben die Schwestern eine Villa in der Relenbergstraße, die zu ihrem Mutterhaus wurde und wo noch heute der Sitz der Verwaltung ist. Während des Zweiten Weltkrieges leisteten die meisten Schwestern Dienst in den Heereslazaretten. Nach Kriegsende musste die durch Bomben zerstörte Villa in der Relenbergstraße neu aufgebaut werden.

Pflegeheim und Hospiz sind in Planung

1954 wurde an die Villa ein Pflegeheim mit 45 Plätzen angebaut: das Regine-Köhler-Heim. Zunächst stand es nur pflegebedürftigen Schwestern offen, dann der Öffentlichkeit. Weil es den heutigen Standards nicht mehr entspricht, wurde es vor fünf Jahren geschlossen und soll nun abgerissen und bis 2024/25 durch einen Neubau mit ebenfalls 45 Plätzen ersetzt und die Villa zu einem Hospiz mit neun Plätzen umgebaut werden.

Außer der Schwesternschaft in Stuttgart gibt es in Deutschland noch 30 weitere Schwesternschaften vom Roten Kreuz. In der Württembergischen Schwesternschaft sind heute 1500 professionelle Pflegekräfte und 300 Auszubildende zusammengeschlossen. Die Stuttgarter Zeitung titelte in den 60er Jahren in einem Bericht über die Schwesternschaft: „Das DRK liefert die perfekten Ehefrauen“. Seit auch Männer aufgenommen werden, liegt die Schlagzeile „Das DRK liefert auch die perfekten Ehemänner“ auf der Hand.