Viele Russen in Zypern haben die Oligarchenwitze satt und blicken nach vorne. Die Angst vor einer Massenarbeitslosigkeit wird verdrängt mit der Hoffnung auf die Gas-Schätze vor der Küste. Und der Präsident lobt seine Landsleute.

Korrespondenten: Knut Krohn (kkr)

Nikosia - Sehe ich aus wie ein russischer Oligarch? Würde ich stinknormal in der Economyclass von Cyprus Airways sitzen, wenn ich in Zypern meine Milliarden gebunkert hätte? Wenn ich so reich wäre, hätte ich das ganze Geld längst in meinen Privatjet gepackt und wäre damit in ein anderes Land geflogen.“ Ende der Ansage. Witali atmet tief durch und lässt sich in den Sitz zurücksinken. Eine Woche war der Russe mit Wohnsitz in Zypern auf Geschäftsreise in Deutschland unterwegs. Jeden Tag musste er sich dieselben Oligarchenwitze anhören. Jetzt, auf dem Rückflug von Frankfurt, hält er es nicht mehr aus und muss seinem angestauten Ärger Luft verschaffen. Erst als sich am Horizont zwischen dunkelblauem Meer und hellblauem Himmel die Insel Zypern abzeichnet, findet Witali sein Gleichgewicht wieder.

 

Der russische Geschäftsmann bevorzugt Bares

Es sei ungerecht, was über die Russen in Zypern erzählt werde, hebt Witali schließlich ungefragt an zu reden. Es scheint ihm ein Bedürfnis zu sein, einiges klarzustellen. Er zum Beispiel mache ganz normale Geschäfte in Zypern. Welche Geschäfte das sind, umschreibt er wenig präzise mit dem Begriff „Import-Export“ von Waren aus Russland nach Zypern. Dazu macht er mit den Armen eine weit ausholende Bewegung, was wohl heißen soll, dass er so ziemlich alles aus der alten Heimat in seine neue Heimat einführt. Viele seiner Geschäfte würden natürlich in bar abgewickelt, erklärt Witali. Das sei kein Misstrauen, es gebe dann eben keine lästigen Bankformalitäten – Ware gegen Cash und Hand drauf.

Das sei doch irgendwie ehrlicher, sagt der russische Geschäftsmann fast schon verschwörerisch und gerade in diesen Tagen der Finanzkrise von sehr großem Vorteil. Damit meint Witali die drastischen Einschränkungen des Zahlungsverkehrs in Zypern. Das Finanzministerium in Nikosia will damit verhindern, dass Milliardensummen ins Ausland abgezogen werden.

So sind Auslandsüberweisungen und Zahlungen mit Kreditkarten im Ausland pro Person und Bank auf 5000 Euro begrenzt. Ins Ausland dürfen die Zyprer nur 3000 Euro in bar mitnehmen und Festgeldanlagen dürfen im Moment nicht gekündigt werden. Präsident Nikos Anastasiades kündigte am Freitag an, die Kapitalverkehrskontrollen würden erst nach und nach gelockert. In welchem Zeitraum, sagte er nicht. Bisher war lediglich von sieben Tagen mit eingeschränkten Kapitalströmen die Rede gewesen. Außenminister Ioannis Kasoulides sagte, es werde wohl einen Monat dauern, bevor alle Beschränkungen aufgehoben seien. Dass am Geldautomaten zurzeit nur 300 Euro abgehoben werden dürfen, quittiert Witali mit einem lässigen Achselzucken und einem vielsagenden Lächeln. Sein Motto lautet: „Ein guter Geschäftsmann findet immer eine Lösung.“

Am Schlimmsten ist die Ungewissheit

Doch nicht alle Zyprer können die Krise auf diese robuste Art weglächeln. „Es trifft wieder einmal die Kleinen am härtesten“, sagt Nadja. Die junge Frau verkauft Ikonen in einem kleinen Geschäft neben der Sankt-Lazarus-Kirche in der malerischen Altstadt von Larnaka. Auch sie stammt aus Russland. Die Russen scheinen in Zypern nicht nur den Bankensektor zu dominieren, auch in der Gesellschaft ist ihr Einfluss längst nicht mehr zu übersehen. Zahlreiche Hinweisschilder in den Geschäften sind auf Kyrillisch, und viele Bedienungen in Hotels oder Restaurants sprechen fließend Russisch und nur gebrochen Englisch.

Nadja ist verheiratet mit einem Zyprer. „Das Schlimmste in diesen Wochen ist die große Unsicherheit“, sagt sie. „Heute heißt es so, und morgen ist schon wieder alles ganz anders.“ Die Leute seien regelrecht in Panik gewesen, als zuerst verkündet wurde, dass auch die Sparguthaben unter 100 000 Euro mit fast sieben Prozent besteuert würden. Diese Entscheidung ist zwar wieder zurückgenommen worden, doch keiner wisse, ob es sich die Politiker nicht bald wieder anders überlegen würden. Zudem sei lange unklar gewesen, wie viel Geld die Kunden jeden Tag von ihrem Konto abheben könnten. Schließlich hätten sich die Verantwortlichen auch noch über den Termin der Öffnung der Banken in die Haare bekommen, beklagt Nadja.

Der Chef der Zentralbank, Panikos Demetriades, hatte erklärt, dass die kleinen Geldinstitute bereits am Dienstag öffnen sollten, zwei Tage vor der Konkurrenz. Zur großen Verwunderung sollten laut einer Erklärung der Zentralbank auch keine Einschränkungen gelten. Dieser Alleingang habe den Präsidenten Anastasiades in Rage versetzt, wurde in der Tageszeitung „Fileleftheros“ kolportiert, und schließlich habe das Finanzministerium entschieden, dass doch alle Banken gemeinsam am Donnerstag öffnen sollten. In Zypern ist es ein offenes Geheimnis, dass sich die zwei Männer auf den Tod nicht ausstehen können.

Die Öffnung der Banken hat die Sorgen der Zyprer nur wenig gelindert. „Ich kann jetzt jeden Tag 300 Euro abheben“, sagt Nadja. „Aber wie kann ich auf diese Weise eine vierköpfige Familie über die Runden bringen? Soll ich jeden Tag zur Bank rennen?“ Sie hofft, dass sie nun wenigstens den Lohn auf ihr Konto überwiesen bekommt. Ihr Chef habe versprochen, dass es funktioniere, sicher sei das aber noch nicht.

Die Hälfte der Banker muss gehen

Doch sie wolle nicht jammern, sagt Nadja. Freunde von ihr habe es sehr viel schwerer getroffen. „Die arbeiten in Limassol bei einer Bank“, sagt sie, „das ist im Moment wirklich kein guter Job.“ Der Leiter der Filiale habe bereits vor einigen Tagen angekündigt, dass von den 25 Mitarbeitern mindestens elf entlassen würden – eine Katastrophe für alle. „Diese Leute haben doch eine Familie, die sie versorgen müssen. Einige haben sich Häuser gekauft und sind jetzt hoch verschuldet. Wie sollen sie denn ihre Kredite bezahlen, wenn sie auf der Straße stehen?“

Vor einer Massenarbeitslosigkeit haben die meisten Menschen Angst – eine Entwicklung wie in Griechenland, mit dem Zypern nicht nur über die Banken sehr eng verbunden ist. 30 Prozent der Griechen suchen offiziell eine Arbeit, eine Zahl, die Athen auch gesellschaftspolitisch an den Rand der Katastrophe treibt.

Aber selbst solche Prognosen können Nana Asnemi nicht schrecken. Sie ist Sprecherin des Tourismusverbandes von Larnaka und muss schon aufgrund ihres Berufes ungebremsten Optimismus verströmen. Eine Entwicklung wie in Griechenland werde es nicht geben, sagt sie. Zugeben muss sie, dass in Zypern in den vergangenen Jahren wohl etwas schiefgelaufen sei und das Land deswegen im Moment in Schwierigkeiten stecke. Sie räumt auch ein, dass die Arbeitslosenzahl etwas steigen könnte, aber in ein paar Monaten werde sich die Lage wieder beruhigt haben.

Ihre Zuversicht zieht Nana Asnemi aus der aktuellen Entwicklung. „Die meisten haben erwartet, dass es bei der Öffnung der Banken am Donnerstag zu chaotischen Zuständen kommen wird“, sagt sie, „Aber sehen sie sich um, keine Unruhen, es ist alles ruhig über die Bühne gegangen.“ Die Zyprer seien eben sehr besonnene und verantwortungsbewusste Menschen. Die Filialen öffneten am Freitag den zweiten Tag in Folge, ohne dass es Zwischenfälle oder größeres Gedränge gab. Wichtig ist es ihr noch zu sagen, dass die Laiki-Bank, bisher eines der größten Geldinstitute der Insel, nicht zerschlagen, sondern „umstrukturiert“ wird – auch wenn es die Bank nach der Umstrukturierung nicht mehr geben wird. Nana Asnemi glaubt an die Macht der Worte.

Der Präsident schimpft auf die Euro-Zone

Zyperns Präsident Anastasiades hatte sich am Donnerstag bei seinen Mitbürgern für deren besonnenes Verhalten bedankt. Die Zyprer hätten gezeigt, dass sie „es nicht nur wollen, sondern es auch können“, ihr Land aus der Krise zu führen. Am Freitag sagte Anastasiades, die Gefahr eines Bankrotts sei gebannt. Die Situation sei nun „unter Kontrolle“, sie habe aber „die Merkmale einer Tragödie“.

Anastasiades sparte am Freitag nicht mit Kritik an den Europartnern. Er warf der Eurozone vor, „unerhörte Forderungen“ an Zypern gestellt und die Rettung zu einem „Experiment“ gemacht zu haben. Zugleich ging er erneut auf die Schuldfrage ein und kritisierte die Bankenaufsicht in Zypern und Europa. Diese hätten zugelassen, dass Geld in ein angeschlagenes Finanzinstitut gesteckt wurde, welches nun vor der Abwicklung stehe. „Wie seriös waren diese Behörden, die die Finanzierung einer bankrotten Bank bis zum höchstmöglichen Betrag zugelassen haben“, fragte der Präsident. Konkreter wurde Anastasiades in Nikosia nicht. Zugleich betonte er, sein Land wolle weiterhin der Währungsunion angehören. „Auf keinen Fall werden wir mit der Zukunft unseres Landes experimentieren.“

Was den Tourismus angeht, eine der Haupteinnahmequellen Zyperns, sei sie äußerst optimistisch, sagt Nana Asnemi. Es habe trotz der aktuellen Krise keine Stornierungen gegeben. Ganz im Gegenteil, verspricht die Tourismusmanagerin, die Besucher könnten nun sogar von sinkenden Preisen profitieren. „Ich bin sicher, dass die Reiseveranstalter, Hoteliers und Restaurantbesitzer mit Angeboten versuchen werden, mehr Touristen anzulocken.“

Und immer wieder wird das Gas beschworen

Auch für den untergehenden Bankensektor, bisher die Hauptstütze des zyprischen Wohlstandes, hat die junge Frau schon eine finanzielle Alternative parat: Erdgas. Vor der Küste Zyperns schlummern große Gasvorräte. „Das sind Milliardenschätze“, schätzt Asnemi, die es nur zu heben gelte. Diese Reserven im Mittelmeer sind inzwischen die Hoffnung vieler Zyprer, doch werden in Gesprächen darüber nur Ahnungen geäußert, keine konkreten Fakten. Die Gasfelder sind wenig erkundet, und der Nachbar Türkei wird auf jeden Fall mehr als ein kleines Wörtchen mitreden bei der Ausbeutung. Nicht einmal Russland wollte zu diesem Zeitpunkt ins Gasgeschäft vor Zypern einsteigen. Man werde das Gas eben alleine fördern, hieß es danach aus der Hauptstadt Nikosia fast trotzig. Oder wie die Optimistin Nana Asnemi es formuliert: „Wir haben ein Problem, wir lösen das Problem, danach wird Zypern besser dastehen als vorher.“