Beim Kirchentag in Stuttgart ging es auch um die Frage: Was hat Luther uns heute noch zu sagen? Margot Käßmann, die Botschafterin für das Reformationsjubiläum 2017, bewundert an Luther „seinen Mut und seine Sprachkraft“.

Lokales: Mathias Bury (ury)

Stuttgart - Wer die Reformation verstehen will, muss mit Martin Luther beginnen. „Es gibt nur wenige Beispiele in der Geschichte, bei denen Akteur und Ereignis enger verzahnt sind“, sagt Heinz Schilling. Der renommierte Neuzeithistoriker zeigte sich in der vollen Stiftskirche erfreut über den Veranstaltungstitel: Luther in seiner Zeit für unsere Zeit. Für Schilling ist klar: „Was Luther für uns heute bedeutet, können wir nur sagen, wenn wir ihn auch in seiner Zeit verstehen.“

 

Ein „süßliches Lutherbild“, wie man es auch heute immer wieder finde, zeichnete der Historiker nicht. Vieles an Luther sei uns fremd, so seine tief greifende Sorge um sein Seelenheil und die Errettung der Menschen vor der ewigen Verdammnis. Als Leitbild für moralisches Handeln eigne er sich auch nicht. Nicht nur wegen seines groben Antijudaismus. Der Reformator habe „den Charakter eines Raufbolds“ gehabt, so Schilling. Diese Eigenschaft, sein Handeln „ohne Rücksicht auf die kirchliche Einheit und den Frieden“ seien aber notwendig gewesen dafür, dass Luther ein „systemsprengender Faktor“ werden konnte.

1517: ein Jahr mit „hohem reformatorischem Potenzial“

Nicht weniges, was er vertrat, so die Hinwendung des Einzelnen zur Bibel, habe es schon Generationen vor 1517 gegeben. Das Jahr des Thesenanschlags hatte deshalb ein „hohes reformatorisches Potenzial“. Doch die alte Kirche erwies sich als reformunfähig. Schilling: „Für Luther war die Rebellion, wie man heute sagt, alternativlos.“

Für den Historiker sind es drei Dinge, die Luthers geschichtliche Leistung ausmachen: die „Wiederbelegung einer existenziellen Religiosität“, die „Welthaftigkeit des Christentums“ mit weitreichenden Folgen für den Alltag der Menschen und der Anstoß einer „Dynamik des Wandels“. So sei er ein Motor der neuzeitlichen Freiheitsgeschichte geworden, was lange Zeit aber Gewalt und Leid bedeutet habe.

Hinwendung zur Bibel hat auch die Katholiken beeinflußt

In der kleinen Runde, die von dem früheren bayerischen Kultusminister Hans Maier ein- und ausgeleitet wurde, ging Dorothea Sattler der Frage nach, wie weit Luther noch katholisch war. Die katholische Theologin aus Münster befand, dass dies für einige Teile der Theologie des Reformators gelten könne, eher jedenfalls als für die damalige römische Kirche. Diese habe Luther vor allem eines zu danken: „Sein ‚sola scriptura’ war auch für die Verkündigung der katholische Kirche heilsam“, so Sattler.

Margot Käßmann, derzeit Botschafterin für das Reformationsjubiläum 2017, äußerte sich im Talk auf dem Roten Sofa im Neckarpark zu Luther. „Ich bewundere seinen Mut und seine Sprachkraft, die allerdings massiv und völlig politically incorrect war.“ Bis heute ist Luther für sie aktuell, weil er gelehrt habe, „aus seinem Glauben Konsequenzen zu ziehen mitten in der Welt“, so Käßmann. Und wer sich klar werden wolle, „wie wir heute reformatorisch sein müssen, der muss über seine Wurzeln reden“. Dazu gehöre auch der Antijudaismus des Reformators. Käßmann: „Wir haben heute ein realistisches Bild von Luther, wir machen aus ihm keinen Nationalhelden mehr.“