Die angewandten Gesundheitswissenschaften entwickeln sich zum Renner, ihre Absolventen sind gefragt. Am Tarif wird noch gearbeitet.

Stuttgart - Die Duale Hochschule Baden-Württemberg in Stuttgart hat mit Klinikpartnern praxisorientierte Studiengänge für Fachkräfte aus den Bereichen Pflege und Gesundheit entwickelt – und damit einen Nerv getroffen. Denn die Nachfrage ist groß. So drängen auf den Studiengang Angewandte Gesundheitswissenschaften, der 2011 als einer der ersten Studiengänge für Pflegekräfte in Baden-Württemberg und als erstes duales Modell überhaupt eingerichtet worden ist, mittlerweile doppelt so viele Bewerber, als es Plätze gibt.

 

Das Angebot wurde innerhalb von drei Jahren von 30 auf 120 Anfängerplätze ausgeweitet. Nun haben die Stuttgarter im Rahmen eines Ausbauprogramms, das Baden-Württemberg als einziges Bundesland aufgesetzt hat, den Zuschlag für 90 weitere Plätze erhalten. „In vier Jahren zwei Berufsabschlüsse zu machen. Das ist schon sehr attraktiv“, so erklärt Anke Simon, Studiendekanin der Fakultät Wirtschaft und Studiengangsleiterin BWL-Gesundheitsmanagement und Angewandte Gesundheitswissenschaften für Pflege und Geburtshilfe, den Erfolg. Das Konzept hat sie gemeinsam mit Kliniken als dualen Partnern mitentwickelt. Die Absolventen haben nicht nur ihr Examen als Pflegekräfte, sondern auch ihren Hochschulabschluss als Bachelor.

Simon hat selbst sechs Jahre lang als Krankenschwester gearbeitet, trotz Einser-Abi. „Ich wollte halt Pflege machen“, sagt sie. Dann habe sie in Thüringen Wirtschaftsinformatik studiert, ein MBA-Studium angeschlossen, am Institut für Healthcare Management in Marburg promoviert. „Ich bin kein Theoretiker“, sagt sie. „Ich war fast 20 Jahre lang in der Praxis beschäftigt.“ Unter anderem am Katharinenhospital, wo sie sich mit IT-Projekten und klinischen Informationssystemen beschäftigt und das Servicecenter geleitet hat. Seit 2010 ist die 50-Jährige an der DHBW Professorin.

Bewerber stehen Schlange, Kliniken suchen aus

„Wir werden überrannt“, sagt Simon. Auf den Bachelor BWL-Gesundheitsmanagement kämen 200 Bewerber auf einen Platz. Eine Beschränkung braucht die Hochschule nicht. „Unser NC ist unser Praxispartner – die Unternehmen wählen aus.“ Es gehe nicht nur um einen Bildungsauftrag. „Damit wird auch die Patientenversorgung sichergestellt“, sagt Simon über den Pflege-Bachelor. Zu den dualen Partnern gehören in Stuttgart das Klinikum und das Robert-Bosch-Krankenhaus.

In die Pflege-Bachelors setzt man am Robert-Bosch-Krankenhaus große Hoffungen: „Wir stellen jedes Jahr 30 Absolventen ein“, sagt die Pflegedienstleiterin Ursula Matzke. „Diese akademischen Pflegekräfte gehören an das Bett des Patienten“, betont sie. „Es geht um eine höhere Qualität in der Pflege.“ Genauer: um einen ganzheitlichen Blick auf die zunehmend komplexeren Bedürfnisse der Patienten. Doch dafür brauche es „eine andere Befähigung, als es bisher üblich war“, so Matzke. Ziel sei eine möglichst gute Wiederherstellung des Alltagshandelns der Patienten. Dazu müssten auch die Angehörigen und die häusliche Umgebung in den Blick genommen werden. Es gehe um einen Paradigmenwechsel in der Pflege samt Umbau der Abläufe im Krankenhaus. „Mindestens fünf Jahre“ rechnet Matzke, dauere so ein Veränderungsprozess. Deutschland gehöre in Sachen Akademisierung der Pflegeberufe zu den Schlusslichtern, hole jetzt aber auf. Der Beruf müsse attraktiver werden, auch im Blick auf den Fachkräftemangel.

Krankenhäuser setzen große Hoffnungen ins neue Personal

Auch im Klinikum Stuttgart sind die Pflege-Bachelors begehrt. „Wir übernehmen allem die bleiben wollen“, sagt Yvonne Veit, die dort das Bildungszentrum leitet. In den ersten beiden Jahren seien es 17 gewesen. Dieses Jahr werden noch mal 17 fertig. Deren Aufgabe: „Sie sollen pflegewissenschaftliche Erkenntnisse in die Praxis hineintragen“, sagt Veit.

Es gehe darum, Konzepte für den Umgang mit Patienten zu entwickeln, die sehr komplex zu behandeln seien. „Solche komplexen Lagen nehmen zu“, so Veit. Betroffen seien meist ältere Patienten mit langer Verweildauer. Häufig spielen Krankheiten wie etwa Diabetes eine Rolle, aber auch Demenz. „Da wollen wir Konzepte implementieren, wie wir dem im Routinebetrieb begegnen“, so Veit. Und da brauche man auch die Expertise der Bachelor. Aber: „Es sind Berufsanfänger. Die müssen im Stationsalltag erst mal Fuß fassen“, so Veit.

Auch beim Verdienst spiegle sich die Zusatzausbildung nicht. Die jungen Bachelor verdienten wie andere Pflegekräfte – zwischen 2600 und 2800 Euro brutto. Bezahlt werde nicht nach Qualifikation, sondern nach Tätigkeit. Ein besserer Verdienst sei aber nicht das vorrangige Motiv für die Wahl des Pflege-Bachelors.

Studierende schätzen Vielfalt beruflicher Perspektiven

Für Katrin Veihelmann stehen die vielfältigen Berufsperspektiven im Vordergrund. „Ich hatte immer schon Interesse am Gesundheitsbereich, wollte was mit Kindern machen – aber ich hab ja auch ein Abi und wollte studieren,“ sagt die 22-Jährige. Und Medizin sei „nicht so in Frage gekommen“, trotz gutem Abi. „Ich fand’s interessant, dass man Pflege und Studium kombinieren und Examen und Bachelorabschluss in kurzer Zeit absolvieren kann“, so die Kurssprecherin des Pflege-Bachelors, die einen Ausbildungsplatz beim Klinikum hat. Zudem könne man noch einen Master draufsetzen. Beruflich seien viele Vertiefungen möglich, sei es in Management, Forschung oder Prävention.

„Unser Studiengang ist vielseitig – ein Fundament, auf dem man viel aufbauen kann“, so Veihelmann. Draufgestoßen sei sie zufällig. „Wir wissen zwar noch nicht konkret, was wir mit einem Bachelor-Abschluss machen, aber das kann man vielfältig gestalten.“ Erst will sie Erfahrung als Kinderkrankenschwester sammeln.

Auch ihr Kurskollege Sebastian Grau erfuhr von der dualen Ausbildung zufällig beim Vorstellungsgespräch für eine Krankenpflegerausbildung am Klinikum Stuttgart. „Da hab ich mich einfach drauf beworben“, sagt der Rettungssanitäter. „Sonst wär ja das Abi verschwendet gewesen.“ Auch ihn reizt die Perspektive: „Ich habe längerfristig vor, Medizin- oder Pflegepädagoge zu werden. Aber auch, um die Pflege zu verbessern, sind wir die Richtigen.“

Die DHBW bietet auch berufsbegleitende Bachelors: 30 Plätze in Angewandter Pflegewissenschaft. Ihn belegen viele Stationsleiterinnen vom Robert-Bosch-Krankenhaus. Auch Kontaktstudienprogramme sind gefragt. Sie sind berufsbegleitend und dauern ein Semester lang: etwa Gesundheits- oder Fallmanagement sowie Gerontologie/Geriatrie. „Viele Pflegekräfte haben Berührungsängste vor der Hochschule“, sagt Simon. „Hier können die Teilnehmer sehen, wie Hochschule funktioniert.“ Mehr als 100 Teilnehmer im Jahr nutzen diese Chance, zehn davon aus dem RBK. Beim Bachelor bekommen sie die Leistung angerechnet. Den Ausbau dieser Angebote unterstütze das Landesbildungsministerium mit 1,7 Millionen Euro.

Auch für Hebammen wird ein Studiengang geplant

Auch ein berufsbegleitender Bachelorstudiengang für Hebammen werde entwickelt, gemeinsam mit dem Landeshebammenverband und dem Bund freiberuflicher Hebammen Deutschlands. Vorbehaltlich der Zustimmung in den Hochschulgremien könnte dieses Angebot im Wintersemester 2016/17 oder im Sommersemester 2017 starten. Schon jetzt gibt es eine Warteliste.