In den Koalitionsverhandlungen hat sich die SPD mit ihrem Reformkonzept einer Bürgerversicherung nicht durchsetzen können. Und die Pflege wird nun zur Chefsache.

Berlin - Bürgerversicherung und ein Ende der sogenannten Zweiklassenmedizin: im zurückliegenden Bundestagswahlkampf hat Peer Steinbrück wohl keine einzige Rede gehalten, in der diese Forderung der SPD nicht auftauchte. Inzwischen ist die Wahl vorüber. Und nach vielen Stunden Beratungen haben die schwarz-roten Koalitionsunterhändler, die für das Thema Gesundheitspolitik zuständig waren, nun auf elf Seiten nebst drei Anlagen ihren Vorschlag für den Koalitionsvertrag erstellt. Dort allerdings taucht das Wort Bürgerversicherung nirgendwo auf.

 

Was das Nebeneinander von gesetzlicher und privater Krankenversicherung anbelangt – diese Trennung wollen die Sozialdemokraten ja mit der Bürgerversicherung überwinden –, waren sich Union und SPD eben nicht einig. Deshalb bleibt der Vorschlag hinter dem zurück, was beide Parteien vereinbarten, als sie 2005 zu einer großen Koalition zusammengefunden hatten. Damals vereinbarten sie in ihrem Vertrag zu prüfen, ob es privat Versicherten möglich werden soll, von einer privaten Versicherung in eine gesetzliche Kasse zu wechseln.

Über die Finanzierung wird gestritten

Nun gibt es aktuell aber nicht nur bei der Bürgerversicherung Dissens. Den Unterhändlern gelang es auch nicht, die künftige Finanzierung der Krankenkassen zu klären. Klar ist nur, dass die gesetzliche Versicherung derzeit eine Rekordreserve hat. Die wird aber auf absehbare Zeit schrumpfen. Und dann, so die SPD, sollen sich Arbeitgeber und Versicherte steigende Kosten jeweils zur Hälfte teilen. Den Sonderbeitrag von 0,9 Prozent, der einst von Rot-Grün eingeführt worden war (er führt dazu, dass vom regulären Beitragssatz von heute 15,5 Prozent die Versicherten 8,2 Prozentpunkte übernehmen und die Arbeitgeber 7,3 Prozentpunkte), will die SPD also wieder loswerden. Doch CDU-Verhandlungsführer Jens Spahn will die Firmen keinesfalls zusätzlich belasten, um Arbeitsplätze nicht zu gefährden.

Den Finanzstreit müssen jetzt die Parteivorsitzenden Merkel, Gabriel und Seehofer schlichten. Am wahrscheinlichsten ist eine Lösung, die Zusatzbeiträge erlaubt, wobei diese aber als prozentualer Anteil des Einkommens und nicht als fixe und vom Einkommen unabhängige Pauschale erhoben werden. Das hätte den Vorteil, dass sie sozial ausgewogener sind, weshalb die CSU mit diesem Verfahren gut leben könnte. Der prozentuale Extra-Obolus entspräche auch der Lösung, die Union und SPD schon in ihrer gemeinsamen Regierungszeit von 2005 bis 2009 ins Werk gesetzt hatten. Die Kassen durften seinerzeit Zusatzbeiträge bis höchstens ein Prozent vom Einkommen ihrer Mitglieder erheben. Bis zu einer Abgabe von acht Euro im Monat gab es aber keine individuelle Prüfung, das heißt: auch wenn jemand mit den acht Euro mehr als ein Prozent seines Monatseinkommens ausgab, musste er sie bezahlen. Die individuelle Einkommensprüfung fand erst bei Zusatzbeiträgen von neun und mehr Euro statt.

Klar ist schon jetzt, dass der Beitragssatz für die Pflege steigt

Merkel, Gabriel und Seehofer müssen auch entscheiden, wie es bei den Finanzen der Pflegeversicherung weitergeht. Eigentlich sind sich Schwarze und Rote einig, den Beitrag zur Pflegekasse um 0,5 Prozentpunkte anzuheben. Die Sozialdemokraten wollen das zusätzliche Geld – fünf Milliarden Euro – auf einen Schlag ausgeben, um etwa Pflegekräfte besser zu bezahlen. Teile der Union schlagen vor, ein Fünftel der Anhebung in eine Kapitalreserve einzuzahlen, was die SPD für Unfug hält, weil es derzeit nirgendwo ordentliche Zinsen gibt. Dass der SPD in der Gesundheitspolitik kein einziger Schritt hin zur Bürgerversicherung gelungen sei, räumt der Abgeordnete Karl Lauterbach unumwunden ein. Umso wichtiger sei, dass sich die SPD bei den strittigen Fragen der Finanzierung von Kranken- und Pflegeversicherung durchsetze. Andernfalls könne er nicht dazu raten, den SPD-Mitgliedern den Koalitionsvertrag zur Abstimmung zu stellen.

Trotz des Finanzstreits: beide Seiten betonten, dass man sich für eine bessere Versorgung der Patienten viel vorgenommen habe. Bei der Klinikplanung und bei der Bezahlung der Krankenhäuser etwa soll es künftig darum gehen, wie gut sie Kranke behandeln. Ob dies gelingt – ob sich die Länder also wirklich von Berlin in ihre Klinikplanung hineinreden lassen – wird sich Ende 2014 zeigen. Dann soll eine Arbeitsgruppe aus Bund und Ländern im Detail regeln, was die Unterhändler nun an Wünschen und Reformen präsentieren. Einig sind sich Union und SPD auch im Ziel, Demenzkranken bessere Leistungen der Pflegeversicherung zukommen zu lassen. Und bei einer Überweisung zum Facharzt soll ein Kassenpatient künftig höchstens vier Wochen auf einen Termin warten.