Das Immunsystem wird in der Erkältungssaison im Herbst besonders strapaziert. Um die eigene Abwehr zu stärken, braucht es nicht immer nur Ingwer, Vitamin C und Sport – manchmal hilft auch der Besuch im Kuhstall.

Die Nase läuft, der Hals kratzt und die Gehwege sind mit Laub gepflastert: Der Herbst ist da und mit ihm die Erkältungssaison. Um nicht krank zu werden, soll man auf eine vitaminreiche Ernährung achten und ausreichend Sport treiben. Wenn’s schnell gehen muss, greifen einige ins Kühlregal zum Ingwer-Shot: ein Konzentrat aus Ingwer- und Apfelsaft, das wie ein schneller Immunbooster wirken soll.

 

Doch neben Ernährung, Sport und Ingwer gibt es noch eine andere Möglichkeit die eigene Abwehr zu stärken – und diese findet man im Kuhstall. Aber was hat die körpereigene Abwehr mit Kühen zu tun?

Es ist ein nasser Freitagmorgen im Oktober. Nebelschwaden liegen dicht über dem Zuckerrübenfeld, der Feldweg ist mit Pfützen bedeckt und bei jedem Schritt schmatzen die Schuhe. Eine Schar von Hühnern gackert unbedarft neben dem überdachten Kuhstall. Im Stall selbst ist es warm, und müde hängen die Rinder ihre Hälse zur Futtertränke. Die Luft riecht nach Vieh, nassem Heu und Mist – typisches „Bauernhof-Aroma“. Während der Geruch eigentlich einen Anlass zum Naserümpfen bietet, sollte man lieber tief einatmen – denn die Stallluft soll das Immunsystem stärken.

Dem „Bauernhofeffekt“ auf der Spur

Professor Wolfgang Schamel ist Immunologe und doziert am biologischen Institut der Universität in Freiburg, er forscht unter anderem zur Immuntherapie bei Krebs. Laut der sogenannten Hygiene-Hypothese steigen Allergien und Autoimmunerkrankungen bei Kindern in westlichen Ländern an, denn „die Stadtmenschen leben oft in einer viel zu sterilen Umgebung“, erklärt Schamel. In industrialisierten Ländern wie Deutschland oder den USA, wachsen die Kinder immer hygienischer auf und haben, laut Hygiene-Hypothese, zu wenig Kontakt zu Bakterien, Viren und Parasiten.

Die sogenannten „Bauernhofstudien“, die einen Zusammenhang von Stallluft und dem Immunsystem feststellen konnten, unterstreichen die Hypothese, denn sie belegen: Kinder, die in einer Umgebung mit viel Dreck – wie einem Bauernhof – aufwachsen, haben ein stabileres Immunsystem als Stadtkinder und leiden seltener unter Allergien und Asthma. Verantwortlich dafür ist der „Bauernhofeffekt“. Dieser entsteht bei Kontakt „mit harmlosen Mikroorganismen, die das Immunsystem trainieren“, erklärt Professor Schamel.

Schon vor rund 100 Jahren vermuteten Ärzte einen Einfluss der Bauernhof-Luft auf den Gesundheitszustand. Damals schickten sie Patienten mit Atemwegsbeschwerden zur Kur in die Alpen; mit Schlafsälen, die sich direkt über einem Stall befanden. Seit 1990 gibt es daher die Bauernhofstudien.

Im Staub steckt die Lösung

Der Schlüssel zum Geheimnis des Bauernhofeffekts heißt: Enzym A20. Dies fanden Forscher in der Studie von Martijn Schuijs und seinem Forscherteam der Universität Gent in Belgien heraus. Im Fachmagazin „Science“ erklärt das Forscherteam: Die Stallluft bestehe zum Teil aus Staub, der ein bestimmtes Protein enthalte. Durch das Einatmen der Stallluft treffe dieses Protein aus der Luft auf das Enzym A20, da sich dieses in den Schleimhäuten der Atemwege befinde. Dadurch wird das Enzym A20 aktiviert und blockiert so eine Überreaktion des Immunsystems, die zu Allergien und Asthma führen kann, wie das Forscherteam im Fachmagazin erläutert.

Bauernhof in der Apotheke?

Nicht jeder will auf einem Bauernhof leben. Um den Bauernhofeffekt auch in die Stadt zu bringen, kann der Konsum von unverarbeiteter Milch helfen. Dies wurde in einer anderen Studie mit 15.000 Kindern nachgewiesen. Das Trinken von Rohmilch verringerte die Allergien deutlich, so sank die Rate von Asthma um 24 Prozent. In der Molke der Rohmilch befinde sich laut Studie dasselbe Molekül wie im Stallstaub, das Allergien vorbeugen kann – egal wo man aufgewachsen ist. Die Autoren der Studie empfehlen, die Rohmilch vorher abzukochen – die positive Wirkung werde davon nicht beeinflusst.

Das Molekül aus der Rohmilch gibt es mittlerweile auch in einer Lutschtablette, die eine Linderung von Allergiebeschwerden verspricht. Eine aktuelle Studie der Charite zeigt nach der Einnahme der „Kuhstallpille“ eine deutliche Verbesserung der Symptome von Hausstaubmilbenallergikern. Professor Schamel zeigt sich skeptisch: „Mit Produkten wie einer Tablette, wäre ich sehr vorsichtig“, sagt er und betont gleichzeitig, dass er aber Grundlagenforscher und kein Arzt sei. Ob sich die Tablette eignet, sollte also individuell mit einem Arzt abgeklärt werden.

Regelmäßiger Kontakt ist wichtig

Ingwer-Shots sind schnell gekauft und getrunken. Eine Fahrt zum Bauernhof beansprucht mehr Aufwand – und dafür fehlt im Alltag oft die Zeit. Trotzdem kann sich, mit dem Blick auf die Studienergebnisse, ein regelmäßiger Kontakt zu Stalltieren positiv auf das heranwachsende Immunsystem auswirken.

Schwangeren Frauen wird sogar empfohlen mindestens einmal im Monat einen Kuhstall zu besuchen, um das Allergierisiko ihres ungeborenen Kindes zu minimieren. Wer es nicht auf den Bauernhof schafft, kann sich Tiervideos auf dem Smartphone anschauen – dadurch wird laut Wissenschaftlerin zwar nicht das Immunsystem gestärkt, dafür aber das Stress-Level reduziert.