Lokales: Christine Bilger (ceb)

Was dazu geführt hat, dass die Umgangsformen so rüde geworden sind, bleibt dabei unergründet. „In Deutschland gibt es Studien über die Größe von Sektbläschen. Aber warum die Polizei diese Probleme hat, das erforscht keiner. Ich würde mir wünschen, es würde sich mal ein Soziologe hinsetzen und das Phänomen untersuchen“, sagt Rüdiger Seidenspinner (52), der Chef der Gewerkschaft der Polizei in Baden-Württemberg. Eine Theorie hat er schon parat, um zu erklären, was schiefläuft. „Ich glaube, dass immer mehr Menschen unzufrieden sind in unserer Gesellschaft“, sagt er. Diese Unzufriedenheit führe zu Groll auf den Staat und Zweifeln an der Gerechtigkeit des Systems. Der Vertreter des Staates, der dem unzufriedenen Bürger in Stresssituationen gegenübertritt, sei der Polizeibeamte. „Und die Kollegen kriegen den Frust dann ab“, folgert Seidenspinner.

 

Inzwischen seien das nicht mehr nur Beleidigungen – wobei die Verunglimpfung „Bulle“ seit Jahren nicht mehr zu einer Anzeige führt, die Reizschwelle ist höher geworden. Oft endet das Nichtakzeptieren der staatlichen Autorität in gewaltsamen Übergriffen. Nasenbeinbrüche, gebrochene Finger und Sehnenabrisse erleiden Beamte im Einsatz, die Stuttgarter Polizei verzeichnete im Jahr 2012 zwei versuchte Tötungsdelikte gegen Polizisten.

Der Historiker spricht von Überkompensation

„Wenn was dran ist an der These vom schwindenden Respekt, dann ist es nicht nur gegenüber Amtsträgern so, sondern allgemein in der Gesellschaft“, sagt Paul Nolte. Er ist kein Soziologe, sondern Professor für Zeitgeschichte an der Freien Universität Berlin. Mit wertkonservativer Grundhaltung beobachtet er, wie sich die Umgangsformen in der Gesellschaft wandeln – und überträgt die Erkenntnisse auf den Umgang mit Autoritäten. Nolte zieht eine Analyse der allerjüngsten Geschichte Deutschlands als Erklärung heran.

In den Jahren der Studentenbewegung sieht Paul Nolte den Anfang der Entwicklung. Die Ablehnung der Autoritäten, die bei einigen in Häme, bei manchen in Aggressivität umschlug, sei damals „wichtig und befreiend“ gewesen, ein Sich-Wehren gegen die „allzu ehrfürchtige Anbetung“ der Obrigkeit. Nolte geht noch ein paar Jahrzehnte zurück in der Geschichte, um herauszuarbeiten, warum es wohl ein typisch deutsches Phänomen geworden ist, Autorität zu untergraben. Angesichts des deutschen Wegs vom repressiven Kaiserreich über das Scheitern der Weimarer Republik in die Nazidiktatur habe die 68er-Generation „eine Art Überkompensation“ der deutschen Autoritätshörigkeit ausgelebt, die bis heute weiterwirke. Ein Ergebnis dieser Entwicklung ist es laut Nolte, dass es den Deutschen schwerfalle, zwischen Überwindung von Untertanengeist und Anerkennung der Leistung der Einsatzkräfte zu unterscheiden. „Dabei ist es doch nicht undemokratisch, Respekt zu haben vor jemandem, der Uniform trägt. Ich habe in den USA gelebt, dort kriegt man das hin“, sagt der 49-jährige Historiker. Genau darin aber sieht er den Mangel an Respekt begründet: „Wir Deutschen haben Schwierigkeiten, Staatsorgane als demokratisch anzuerkennen.“

Was dazu geführt hat, dass die Umgangsformen so rüde geworden sind, bleibt dabei unergründet. „In Deutschland gibt es Studien über die Größe von Sektbläschen. Aber warum die Polizei diese Probleme hat, das erforscht keiner. Ich würde mir wünschen, es würde sich mal ein Soziologe hinsetzen und das Phänomen untersuchen“, sagt Rüdiger Seidenspinner (52), der Chef der Gewerkschaft der Polizei in Baden-Württemberg. Eine Theorie hat er schon parat, um zu erklären, was schiefläuft. „Ich glaube, dass immer mehr Menschen unzufrieden sind in unserer Gesellschaft“, sagt er. Diese Unzufriedenheit führe zu Groll auf den Staat und Zweifeln an der Gerechtigkeit des Systems. Der Vertreter des Staates, der dem unzufriedenen Bürger in Stresssituationen gegenübertritt, sei der Polizeibeamte. „Und die Kollegen kriegen den Frust dann ab“, folgert Seidenspinner.

Inzwischen seien das nicht mehr nur Beleidigungen – wobei die Verunglimpfung „Bulle“ seit Jahren nicht mehr zu einer Anzeige führt, die Reizschwelle ist höher geworden. Oft endet das Nichtakzeptieren der staatlichen Autorität in gewaltsamen Übergriffen. Nasenbeinbrüche, gebrochene Finger und Sehnenabrisse erleiden Beamte im Einsatz, die Stuttgarter Polizei verzeichnete im Jahr 2012 zwei versuchte Tötungsdelikte gegen Polizisten.

Der Historiker spricht von Überkompensation

„Wenn was dran ist an der These vom schwindenden Respekt, dann ist es nicht nur gegenüber Amtsträgern so, sondern allgemein in der Gesellschaft“, sagt Paul Nolte. Er ist kein Soziologe, sondern Professor für Zeitgeschichte an der Freien Universität Berlin. Mit wertkonservativer Grundhaltung beobachtet er, wie sich die Umgangsformen in der Gesellschaft wandeln – und überträgt die Erkenntnisse auf den Umgang mit Autoritäten. Nolte zieht eine Analyse der allerjüngsten Geschichte Deutschlands als Erklärung heran.

In den Jahren der Studentenbewegung sieht Paul Nolte den Anfang der Entwicklung. Die Ablehnung der Autoritäten, die bei einigen in Häme, bei manchen in Aggressivität umschlug, sei damals „wichtig und befreiend“ gewesen, ein Sich-Wehren gegen die „allzu ehrfürchtige Anbetung“ der Obrigkeit. Nolte geht noch ein paar Jahrzehnte zurück in der Geschichte, um herauszuarbeiten, warum es wohl ein typisch deutsches Phänomen geworden ist, Autorität zu untergraben. Angesichts des deutschen Wegs vom repressiven Kaiserreich über das Scheitern der Weimarer Republik in die Nazidiktatur habe die 68er-Generation „eine Art Überkompensation“ der deutschen Autoritätshörigkeit ausgelebt, die bis heute weiterwirke. Ein Ergebnis dieser Entwicklung ist es laut Nolte, dass es den Deutschen schwerfalle, zwischen Überwindung von Untertanengeist und Anerkennung der Leistung der Einsatzkräfte zu unterscheiden. „Dabei ist es doch nicht undemokratisch, Respekt zu haben vor jemandem, der Uniform trägt. Ich habe in den USA gelebt, dort kriegt man das hin“, sagt der 49-jährige Historiker. Genau darin aber sieht er den Mangel an Respekt begründet: „Wir Deutschen haben Schwierigkeiten, Staatsorgane als demokratisch anzuerkennen.“

Das Verhältnis zur Obrigkeit allein macht Nolte nicht verantwortlich für den Rückgang der gegenseitigen Achtung. In den Jahren des Studentenprotests habe zudem etwas eingesetzt, was der Fachjargon als „Informalisierung“ der Gesellschaft bezeichnet. Anredeformen schmolzen vom „Sehr geehrter Herr Professor“ zum „Hallo“. „Anredemechanismen“ aber, so Nolte, seien „für den Respekt ganz wichtig“.

„Mit Worten komme ich nicht mehr weit“

Polizeibeamte erleben in der Praxis, was das bedeutet. „Man wird nicht nur gleich geduzt. Kaum einer hält mehr den Mindestabstand von etwa 60 Zentimetern ein. Wenn jemand sauer ist, rückt er einem auf 20 Zentimeter auf die Pelle und schreit einem ins Gesicht“, sagt der Erste Polizeihauptkommissar Ralf Perrey, stellvertretender Leiter des Polizeireviers Wolframstraße in Stuttgart. „Die erste Maßnahme ist immer das Reden“, sagt Perrey, der unter anderem bei knapp 200 Stuttgart-21-Einsätzen dabei war. „Aber wenn jemand gleich schreit, komme ich mit Worten nicht mehr weit“, sagt der 49-Jährige.

Dass sich etwas verändert hat, die Grenzen nicht mehr klar sind, beobachten Perrey und seine Kollegen seit Jahren. Im Gegensatz zum Wissenschaftler Paul Nolte gehen sie aber nicht so weit in die Geschichte zurück. Der Erste Polizeihauptkommissar Robert Vucenovic, Dienstgruppenleiter im Stuttgarter Revier Hauptstätter Straße, ist seit 1980 bei der Polizei. In den Jahren 1983 bis 1994 war er zum ersten Mal im Bereich Innenstadt tätig. Damals habe er keine wesentliche Verschlechterung wahrgenommen. „Aber in den zurückliegenden zehn Jahren sehe ich das sehr deutlich“, sagt er. Für sein Revier, dass auch für die Partymeile an der Theodor-Heuss-Straße zuständig ist, setzt er den Wendepunkt im Jahr 2006 an. So schön das Sommermärchen der Fußballweltmeisterschaft auch gewesen sei, „damals begann dieses Event-Denken“, meint Vucenovic. Sein Kollege Perrey will erste Anzeichen davon bereits 2002 erkannt haben, als zum ersten Mal das Massenphänomen Autokorso in deutschen Städten beim Feiern von WM-Fußballerfolgen zu erleben war. „Auch früher gab es Probleme, wenn wir als Polizei auftauchten. Wenn wir kommen, stören wir halt“, sagt Vucenovic. Seitdem aber die Innenstadt von Donnerstagabend bis Sonntagmorgen fest in der Hand der Partyszene sei, mache sich eine Hemmungslosigkeit breit, über die man manchmal nicht mal mehr staunen könne.

Feiern ohne Limit bis in die Morgenstunden

„Wobei eins klar ist: weit mehr als 90 Prozent der Leute, die da feiern, sind anständig und friedlich“, sagt Vucenovic. Doch die wenigen Spielverderber in der Masse der fröhlich Feiernden gebe es eben auch, und sie seien das Problem. „Das Verhalten können wir nicht ändern. Es wird zu viel Gelegenheit gegeben, über die Stränge zu schlagen“, meint der 52 -jährige Beamte. Das Feiern ohne Limit bis in die frühen Morgenstunden fördere auch ein Verhalten, das keine Grenzen mehr anerkenne. „In einem Nachtdienst am Wochenende haben wir im Schnitt vier Fälle von Widerstand gegen unsere Kollegen. Das haben Dienstgruppen außerhalb von Stuttgart im ganzen Jahr nicht“, sagt Vucenovic. „Die Regeln sind aufgeweicht“, so fasst Martin Kopp das zusammen, was seine Kollegen aus den harten Nachteinsätzen an Geschichten und Erlebnissen mitbringen. Kopp ist Konfliktberater in der Koordinierungsstelle Mitarbeiterberatung des Stuttgarter Polizeipräsidiums.

Auch dieser Erklärungsansatz greift nach Ansicht von Ralf Perrey nicht weit genug. Es sind nicht nur alkoholisierte junge Flegel, die Polizisten anpöbeln. Völlig nüchterne, bürgerliche Zeitgenossen legten ebenso ein schwindendes Verständnis für polizeiliches Einschreiten an den Tag. „Stellen Sie sich vor, da kommt man nachts um halb vier zu einem Haus, weil ein Einbruch gemeldet wird, und stellt den Streifenwagen schnell ab. Dann geht gegenüber ein Fenster auf und jemand schreit herunter: ,Da ist Parkverbot!‘ In der Situation kann man nun wirklich nicht mehr diskutieren“, sagt der stellvertretende Revierleiter. Ein solches Verhalten habe ihm bisher noch niemand erklären können.

Weiterhin gilt der „Aktionskonsens“

In einem Punkt sind sich die Stuttgarter Beamten einig: das Thema Stuttgart 21, das in den zurückliegenden Jahren vor allem die Reviere in der Innenstadt beschäftigt hat, ist nicht schuld daran, dass das Verhältnis zwischen Bürgern und Ordnungshütern sich verändert hat. Zwar sind der Ärger und die Wut der Stuttgarter, nicht nur in den Reihen der Tiefbahnhofgegner, über den brutalen Einsatz der Kräfte am 30. September 2010 noch nicht völlig verflogen. Die Bewegung unterstellte der Polizei, an diesem „schwarzen Donnerstag“ der verlängerte Arm der Politik im System des CDU-Ministerpräsidenten Stefan Mappus gewesen zu sein. Dennoch sei das Vertrauen der Bürger in die Polizei „im Großen und Ganzen wieder in Ordnung“. Und weiterhin gilt der „Aktionskonsens“ der Gegner, der vor den Sitzblockaden und anderen Aktionen gegen das umstrittene Milliardenprojekt kundgetan wurde und in dem es unter anderem ganz klar heißt: „Die Polizei ist nicht unser Gegner.“

Nun ist es aber nicht so, dass man die Ursachen nur im Wandel der Gesellschaft suchen und mit der Verschiebung von Werten erklären darf. Auch eigene Fehler tragen dazu bei, das Ansehen der Ordnungshüter zu mindern. Seit Wochen dominiert der Fall einer jungen Münchnerin, die im Polizeigewahrsam von einem Beamten brutal geschlagen wurde, die Diskussion über dieses Problem. Das Bild der Frau mit dem zugeschwollenen Gesicht ist zu einem Sinnbild fehlgeleiteter Ausübung der Staatsgewalt geworden und wird in seiner mahnenden und anklagenden Wirkung nur noch vom Foto des in Stuttgart am „schwarzen Donnerstag“ verletzten Stuttgart-21-Gegners Dietrich Wagner übertroffen. Das Bild des Rentners, dem Blut aus den Augenhöhlen rann, nachdem ihn der Strahl des Wasserwerfers getroffen hatte, ging um die Welt. Ein aus dem Ruder gelaufener Einsatz in Stuttgart, das Vorgehen der Münchner Beamten – so etwas prägt sich ein.

Transparenz und Kommunikation

„Die Polizei ist eine lernende Organisation“, hat der Stuttgarter Polizeipräsident Thomas Züfle gesagt, als er nach seinem Amtsantritt im Juni 2011 erklärte, welche Lehren er aus den am 30. September begangenen Fehlern ziehe. Transparenz und Kommunikation, die Wörter kommen seither häufiger denn je vor, wenn die Stuttgarter Polizei ihr Vorgehen in Krisensituationen erläutert. Die Stuttgarter sind aus der Vertrauenskrise nach dem „schwarzen Donnerstag“ in die Informationsoffensive gegangen. Sie kündigten Großeinsätze im Vorfeld an und verstärkten vor allem die Zahl der Antikonfliktteams, die mit Demonstranten und Blockierern reden. Neue Wege der Kommunikation schlug das Stuttgarter Präsidium mit Facebook und Twitter ein, um die Menschen auf dem Weg zu erreichen, auf dem diese selbst kommunizieren, und auch um reagieren zu können, wenn sich Falschmeldungen in den Netzwerken ausbreiten.

Was Respekt eigentlich bedeutet

Aus den Einzelfällen kann die Polizei Schlüsse ziehen und ihr Handeln entsprechend verändern. Lösungen für die allgemeine Krise hingegen hat niemand parat. Kleine Hilfestellungen wie das von der Gewerkschaft der Polizei gelobte Verbot von Hassparolen im Stadion, wie es Hannover 96 umgesetzt hat, verändern einzelne Einsätze, weil sie die offensichtliche Aggressivität nehmen. An die Wurzel des Problems dringen sie jedoch nicht vor.

Vielleicht hilft es, sich darauf zu besinnen, was Respekt im ursprünglichen Sinne bedeutet. Die Wurzeln liegen im Lateinischen. Respectare heißt zurückblicken, und damit ist eine Grundfunktion menschlicher Interaktion auch schon erfasst: Kommunikation beginnt damit, sein Gegenüber anzuschauen, und den Blick aufzunehmen, der zurückkommt. Was der Bürger dann sieht, ist „Auch nur ein Mensch“, wie der Mannheimer Beamte Christian Beck rappt. Eine Selbstverständlichkeit, die zu erkennen aber manchen Konflikt entschärfen würde und die Achtung wiederherstellen könnte. Eine Gesellschaft kann das nicht verändern, die einzelne Begegnung schon.

Ordnungshüter und Gewaltmonopol

In Baden-Württemberg arbeiten zurzeit 23 820 Beamte im Vollzugsdienst der Polizei, 4500 bei der Kriminalpolizei, 19 320 bei der Schutzpolizei. Dazu kommen noch 2800 Anwärter, die in der Ausbildung sind, sowie 680 Beamte, die nicht im Vollzugsdienst arbeiten. Für das Jahr 2012 meldet das Innenministerium 1828 im Einsatz verletzte Polizisten. Knapp die Hälfte der Fälle ereignete sich in der Landeshauptstadt.

In demokratischen Staaten verzichten Bürger auf die Ausübung von Gewalt und legen diese in die Hände der Justiz- und Exekutivorgane, also Polizei, Justiz und Verwaltung. Diese wiederum sind gebunden an Recht und Gesetz, also an die Regeln der Legislative. Den Begriff Gewaltmonopolhat der Soziologe Max Weber geprägt.