Die Spartengewerkschaften begehren auf gegen das Gesetz zur Tarifeinheit im Betrieb. Auch im Gewerkschaftsbund kämpfen Befürworter und Gegner des Gesetzes mit immer härteren Bandagen.

Politik: Matthias Schiermeyer (ms)

Stuttgart - Das geplante Gesetz zur Tarifeinheit im Betrieb erweist sich immer mehr als Spaltpilz im Arbeitnehmerlager: Schon mehr als 76 500 Gewerkschafter unterstützen eine Initiative gegen eine gesetzliche Regelung der Tarifeinheit. Damit gemeint ist der alte Grundsatz „Ein Betrieb – eine Gewerkschaft – ein Tarifvertrag“, dem die große Koalition wieder zur Geltung verhelfen will. Das Gesetz gibt der Gewerkschaft mit den meisten Mitgliedern im Betrieb den klaren Vorrang vor konkurrierenden Organisationen. Mitte Mai soll es im Bundestag verabschiedet werden.

 

In der IG Metall rumort es

Verdi hatte mit zwei anderen Organisationen die Unterschriftenaktion im Internet gestartet, weil das Vorhaben von Union und SPD als Eingriff ins Streikrecht gesehen wird. Auch in der IG Metall rumort es kräftig. Auf einer Delegiertenversammlung in Stuttgart entbrannte am Wochenende eine intensive Debatte, an deren Ende sich die Befürworter der Tarifeinheit mit 60 Stimmen gegen die Gegner mit 53 Stimmen bei sieben Enthaltungen nur knapp behaupteten. Ähnliche Auseinandersetzungen gibt es bundesweit. Mehr als 30 kritische Metaller haben ihrerseits eine Unterschriftenaktion gestartet, um die eigene Führung von ihrem Kurs abzubringen. In einem offenen Brief wird gefordert, von einem „Pakt“ mit Arbeitgebern und Regierung gegen das Streikrecht abzulassen. An der IG-Metall-Basis wird zudem eine transparente Diskussion vermisst. Der Vorsitzende Detlef Wetzel habe den hauptamtlichen Mitarbeitern sogar einen „Maulkorb“ verpasst, heißt es. In einem Schreiben habe er diesen abgeraten, öffentlich gegen das Gesetz Stellung zu nehmen oder an Aktionen der Gegner teilzunehmen, schildern Funktionäre.

Verdi-Vize attackiert die Befürworter im DGB

Nicht nur aus den eigenen Reihen, sondern auch auf Spitzenebene geraten die Befürworter der Tarifeinheit – neben der IG Metall die Chemiegewerkschaft und DGB-Chef Reiner Hoffmann – immer stärker in die Kritik. Verdi-Vize Frank Werneke ließ vor Tagen auf der Landesbezirkskonferenz in Ulm jegliche Diplomatie beiseite und zeigte sich „fassungslos, dass Teile der Gewerkschaften das Gesetz unterstützen“. Dabei habe der DGB-Kongress im Mai 2014 doch einheitlich gegen jeden Eingriff in das demokratische Grundrecht auf Streik votiert. „Wir antichambrieren nicht mit den Mächtigen“, betonte der stellvertretende Vorsitzende. Die Verdi-Führung hatte vor etwa vier Jahren selbst noch die Tarifeinheit gefordert, war aber auf Drängen der Basis auf die Gegenseite umgeschwenkt.

Nun fürchtet Verdi, dass die Gewerkschaften von der Wirtschaft und Teilen der Union immer mehr in die Defensive gedrängt werden. Werneke verwies auf einen Beschluss der CSU, der das Gesetz nicht weit genug geht. So verlangt sie eine Zwangsschlichtung vor Arbeitsniederlegungen, eine Ankündigungsfrist von vier Tagen für einen Streik und ein eingeschränktes Arbeitskampfsrecht in allen Bereichen der „öffentlichen Daseinsvorsorge“ – gerade im Verkehrsbereich, in Krankenhäusern und Kitas. Dies „würde  die gesamte Gewerkschaftsbewegung massiv treffen“, warnte Werneke. Der mit harten Bandagen betriebene Zwist der Schwestergewerkschaften hat nicht nur ideologische Gründe, sondern wird auch von handfesten Organisationsinteressen befeuert. Die IG Metall fürchtet, dass Verdi immer mehr in ihre Bereiche eindringt, wenn die Unternehmen weitere industrielle Dienstleistungen auslagern und Verdi sich etwa für die Speditionen zuständig fühlt. Eine offene Schlacht haben sich beide Gewerkschaften etwa beim Airbus-Dienstleister Stute Logistics in Hamburg geliefert – solche Kämpfe dürften zunehmen.

Rückhalt durch Arbeitsrechtler

Endstation Karlsruhe

Viel Rückhalt finden die Gegner unter den Arbeitsrechtlern. So sieht der renommierte Rechtswissenschaftler Wolfgang Däubler in der gesetzlichen Vorgabe der Tarifeinheit den Versuch, Gewerkschaften auszuschalten, ohne sie explizit zu verbieten. Zwar sei im Gesetzentwurf selbst von Streikverbot nicht die Rede, doch werde in der Begründung ein Streik einer Minderheitengewerkschaft als unverhältnismäßig eingestuft. „Man muss es im Gesamtsystem sehen“, sagte Däubler vor Stuttgarter Funktionären. Insofern führe Arbeitsministerin Andrea Nahles (SPD) die Öffentlichkeit in die Irre, wenn sie den Eingriff ins Arbeitskampfrecht abstreite. Zudem bleibe offen, wie ein Notar die jeweiligen Mitgliedschaften in den konkurrierenden Organisationen rechtssicher feststellen kann.

Diverse Spartengewerkschaften haben schon angekündigt, sofort nach Verabschiedung des Gesetzes eine Verfassungsbeschwerde in Karlsruhe zu erheben. Däubler sieht gute Chancen für die Gegner vor dem Bundesverfassungsgericht. Er selbst wird dann den Beamtenbund vertreten.