Der DGB-Chef Reiner Hoffmann will die Kanzlerin für ein wichtiges Anliegen des Gewerkschaftsbundes mobilisieren. In einem Brief an Angela Merkel warnt er vor den in Brüssel geplanten „nationalen Ausschüssen zur Wettbewerbsfähigkeit“.

Politik: Matthias Schiermeyer (ms)

Stuttgart - Die Chefs der fünf europäischen Institutionen streben eine stärkere Koordinierung und Vergemeinschaftung der Wirtschaftspolitik an. Davon wollen sie bald auch die Staats- und Regierungschefs überzeugen. Was auf den ersten Blick vernünftig erscheint, bringt im Detail die Gewerkschaften gehörig auf die Palme. Denn sie fürchten vor allem Eingriffe in nationale Kompetenzen der Sozial- und Tarifpartner bei der Lohnfestsetzung.

 

Weil Kanzlerin Angela Merkel den Wert der Tarifautonomie erst am vorigen Mittwoch wieder auf dem IG-Metall-Kongress gewürdigt hat, erhielt sie zwei Tage später einen Brief vom Chef des Gewerkschaftsbundes, Reiner Hoffmann. In dem Schreiben, das der StZ vorliegt, fordert er Merkel auf, Vorschläge der EU-Kommission für den Europäischen Rat zurückzuweisen, die einen „unzulässigen Eingriff in die verfassungsrechtlich garantierte Tarifautonomie“ darstellen. Konkret beklagt Hoffmann, dass der Kommissionsentwurf für jedes Euro-Land unabhängige Ausschüsse vorsieht, die die jeweilige Entwicklung der Wettbewerbsfähigkeit überwachen sollen. Neben anderen Faktoren wie Produktivität und Innovationsstärke sollen darin die Arbeitskosten verglichen werden. Alleiniges Ziel sei aber die Förderung der Wettbewerbsfähigkeit, weshalb keine ausgewogenen Empfehlungen zu erwarten seien. Die Ausschüsse könnten im Endeffekt eine Aufsicht sein und „illegitimen Einfluss auf die nationalen Lohnverhandlungen nehmen“, befürchtet der Gewerkschaftsbund.

An dieser Stelle sind sich DGB und BDA einig

Obwohl die EU-Kommission zuvor den Verdacht zurückgewiesen hat, man wolle sich in das Geschäft der Sozialpartner einmischen, ist Hoffmann alarmiert. Die Tarifparteien ließen schon heute statistische Daten und Wirtschaftsprognosen in die Lohnfindung einfließen, argumentiert er. „Eine neue Institution, die ihre eigenen Analysen zur Wettbewerbsfähigkeit bereitstellt, ist nicht notwendig.“ Merkel solle im Europäischen Rat deutlich machen, „dass Deutschland keinen nationalen Ausschuss für Wettbewerbsfähigkeit einrichten wird“.

Kritisiert wird auch, dass die europäischen Sozialpartner im Vorfeld des Kommissionsvorschlags nicht konsultiert worden seien. Der DGB-Chef hatte die deutschen Einwände gegen den Neustart des europäischen sozialen Dialogs gemeinsam mit der Bundesvereinigung der Arbeitgeber (BDA) schon am 9. Juli in einem Schreiben unter anderem an EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker und Mitglieder der Bundesregierung kundgetan.

Negativ-Wettbewerb befürchtet

Ende August legte der Gewerkschaftsbund in einer zehnseitigen Stellungnahme zum – freilich sehr viel weiter gefassten – Bericht der fünf Präsidenten „Die Wirtschafts- und Währungsunion Europas vollenden“ nach: Wenn „unabhängige Experten den Tarifparteien die Richtschnur vorgeben“, werde „faktisch ein Wettlauf nach unten bei den Löhnen institutionalisiert“. Mit diesem System werde das Land mit der jeweils schlechtesten Entgeltentwicklung zum Standard, an dem sich alle anderen orientieren sollen. Löhne dürfen im Vergleich der Wettbewerbsfähigkeit aber nicht nur als Kostenfaktor betrachtet werden.

Die Vertiefung der EU steht am 17. Dezember auf der Tagesordnung des Europäischen Rats – sofern die Flüchtlingskrise der Diskussion nicht in die Quere kommt.