Gillette wirbt für Rasierer und Männer, die sich nicht wie Neandertaler aufführen. Der begleitende Shitstorm wirkt wie der erhoffter Effekt der Kampagne.

Stuttgart - Clip, Klick, Hurra! Nach gerade vier Tagen kommt der Werbespot das US-Rasiererherstellers Gillette bei Youtube auf mehr als 16 Millionen Klicks, im Kommentarspalten-Internet kloppen sich die Nutzer und Papa schaut zu Hause, von welcher Marke der olle Nassrasierer eigentlich ist. Kurz: Die verantwortliche Agentur Grey New York hat ordentlich „abgeliefert“ – wie man in der Branche sagt.

 

Was ist in dem Video zu sehen? Zum Beispiel: Ein Mann greift beim Meeting der Kollegin an die Schulter und erklärt den anderen Herren im Raum: „Also, was sie eigentlich sagen wollte ist . . .“. Oder: Ein schmieriger alter Mann in einer Comedyshow greift einer schönen Frau ungefragt an den Hintern, das Publikum lacht. Oder: Grillparty: Zwei Jungen verdreschen sich. „So sind Jungs!“ sagt ein Vater und wendet das Steak auf dem Grill und eine Reihe von Männern wiederholt: „Boys will be Boys“. Geigenmusik im Hintergrund.

Die Männer von Morgen

Dann kommt die überraschende Wendung in der Dramaturgie des Filmchens: das Motto #Metoo und Männer, die in solchen Situationen dazwischen gehen. Sie trennen die Jungen bei der Schlägerei, ermahnen übergriffige Freunde und ein Vater ermutigt seine Tochter, sich ihrer Stärke bewusst zu sein: „Ich bin stark!“ sagt er, sie wiederholt es. „Ich bin stark!“. „Einige sind schon so“, erzählt die Stimme im Clip. „Aber einige sind nicht genug. Denn die Jungs von Heute werden die Männer von Morgen sein“.

Letztendlich fordert der fast unangenehm rührselige Werbefilm, Männer mögen sich bitte nicht mehr wie Neandertaler aufführen und andere Männer darauf hinweisen, wenn sie es denn tun. „Toxische Maskulinität“ wird das mittlerweile genannt – das Vergiften der Lebensqualität von Menschen, die diese Art von Männlichkeit ablehnen.

Die Kundschaft von Gillette scheint indes gespalten: Kommentare wie „Mutiger und wichtiger Film“ prallen da auf online publizierte Hasstiraden und Fotos von Männern, die nun ihre Gillette-Rasierer zerstören oder zum Boykott der Marke aufrufen, weil der Werbespot das Prinzip „Mann“ als Ganzes verhöhne. Die Wortführer dieses stilisierten Protests sind Alphamännchen, reichweitenarme Wutbürger, Fake-Profile, Social Bots und ein paar Trolle, die Spaß an Provokation haben.

Der kalkulierte Shitstorm

Daran erkennt man gut, wie Marketing mittlerweile funktioniert: Man kalkuliert die Wut der „rechten Blase“ und die ebenso wütende Antwort der „linken Blase“ von vornherein ein und konstruiert aus eigentlich unwichtigen Einzelbeiträgen eine Art Debatte. Fertig ist die ganzheitliche Kampagne. Denn der Großteil des Aufruhrs, der Gillette momentan die beste Werbung seit Jahrzehnten einbringt, besteht aus Zustimmung – von Frauen und von Männern, die sich keinesfalls in ihrer Selbstbestimmung eingeschränkt sehen, wenn sie nicht missbrauchen, vergewaltigen oder prügeln dürfen. Nike hat sich dieser gesellschaftlichen Mechanismen bedient, Penny, Coca Cola oder H&M – Benetton früher auch. Nichts davon ist neu.

Gillette, so der Slogan für die Kundschaft in den USA, will „The Best Men Can Be“ – grob übersetzt: „Für das Beste im Mann“. So wurde hier schon in den 80er-Jahren für deren Produkte geworben. Als ob Frauen längst nicht auch eine gute Zielgruppe für Rasierer wären. Huch.