Die Europäische Union plant „Ausschiffungszentren“ in Nordafrika. Kanzlerin Merkel verhandelt nebenher über bilaterale Vereinbarungen zur Rücknahme von Flüchtlingen.

Korrespondenten: Markus Grabitz (mgr)

Brüssel - Ausgerechnet der Luxemburger Xavier Bettel. Er regiert in einem der kleinsten EU-Staaten. Es war ihm aber sichtlich eine Freude, die CSU in die Schranken zu weisen. Es könne nicht sein, „dass irgendeine bayerische Regionalpartei entscheidet wie Europa funktioniert“. Auch Angela Merkel ließ sich nicht aus der Ruhe bringen und bestand darauf, dass vor allem der Schutz der Außengrenze ganz oben auf der Agenda des EU-Gipfels stehe.

 

Dies änderte aber nichts daran, dass sie sich am Rande des Brüsseler Treffens zurückzog, um mit ihren Kollegen Wege auszuloten, um ihre innenpolitischen Widersacher von der CSU zufrieden zu stellen. Sie verhandelte über den Abschluss von bilateralen Vereinbarungen zur Eindämmung von sekundären Wanderungsbewegungen von Asylbewerbern. Am Nachmittag fand ein derartiges Gespräch mit Italiens Regierungschef Guiseppe Conte statt. Merkel peilt Vereinbarungen mit Ländern wie Italien, Frankreich, Spanien, Holland und anderen über die Rücknahme von Flüchtlingen aus Deutschland an. Es geht um die Asylbewerber, die zuvor in diesen Ländern ihren Asylantrag gestellt haben, aber nach Deutschland weiter gewandert sind. Sie hofft, mit Hilfe dieser Vereinbarungen den Streit mit Innenminister Horst Seehofer (CSU) beizulegen und sein Ultimatum abzuwenden.

Zuvor hatte EU-Ratspräsident Donald Tusk die „Chefs“ mit eindringlichen Worten zu Beschlüssen gedrängt: „Manche denken, ich sei in meinen Migrations-Vorschlägen zu hart. Aber vertraut mir: Falls wir uns darauf nicht einigen, werdet ihr einige wirklich harte Vorschläge von wirklich harten Jungs sehen.“ Immer mehr Menschen glaubten den Populisten, die auf anti-europäische, anti-liberale und tendenziell autoritäre Lösungen setzten.

Geschäftsmodell der Menschen-Schmuggler knacken

Tusk hat den Staats- und Regierungschefs drei Vorschläge gemacht. Er setzt erstens auf „regionale Ausschiffungszentren“ außerhalb Europas. Sie sollten in enger Zusammenarbeit mit dem Flüchtlingshilfswerk der Vereinten Nationen (UNHCR) und der Internationalen Organisation für Migration (IOM) arbeiten. Diese Zentren in Nordafrika sollen die Menschen aufnehmen, die bei der illegalen Überfahrt über das Mittelmeer in Seenot geraten oder von Hilfsorganisationen aufgegriffen werden. Neu ist: Sie sollen künftig nicht mehr in die EU gebracht werden, sondern außerhalb Europas bleiben. Es gehe darum, das Geschäftsmodell der Schmuggler zu knacken. Die illegale Überfahrt soll unattraktiver werden. EU-Diplomaten legen Wert darauf, den Begriff „Lager“ zu vermeiden. Der Begriff „Lager“ würde Abwehrreflexe in den Ländern hervorrufen, mit denen derzeit über die Zentren verhandelt werde. Es gehe auch nicht um hohe Zahlen von Flüchtlingen, genannt wurden „mehrere Hundert“.

Der Tusk-Plan stößt offenbar nicht auf nennenswerten Widerstand in den Hauptstädten. Im Entwurf für die Gipfelerklärung, die unserer Zeitung vorliegt, heißt es: „Die Plattformen sollen einen schnellen und sicheren Prozess gewährleisten, um zwischen Wirtschaftsmigranten und denjenigen zu unterscheiden, die Anspruch auf internationalen Schutz haben.“ Bislang hat sich jedoch noch kein Land außerhalb der EU bereit erklärt, derartige „Ausschiffungszentren“ einzurichten.

Das Türkei-Abkommen als Vorbild?

Der zweite Vorschlag von Tusk sieht Geld vor. Im nächsten mehrjährigen Finanzrahmen der EU (2021 bis 2028) soll ein eigener Finanz-Titel zur Bekämpfung der illegalen Migration eingerichtet werden. Dieses Geld soll dazu dienen, in akuten Flüchtlingskrisen mit Transit- und Herkunftsländern zusammen zu arbeiten, um den Zustrom zu reduzieren.

Drittens geht es darum, nach dem Vorbild des Türkei-Abkommens Vereinbarungen mit Libyen und anderen Mittelmeeranrainern zu treffen. Wie beim Türkei-Deal könnte etwa vereinbart werden, dass sie die Grenzen sichern und Flüchtlinge wieder zurücknehmen, die illegal in die EU einreisen wollten.

Schon im Vorfeld haben EU-Diplomaten ausgeschlossen, dass der Gipfel eine Lösung bei dem seit 2015 anhaltenden heftigen Streit über Verteilungsquoten für Flüchtlinge bringt. Tusk hat in den Tagen vor dem Gipfel unentwegt Gespräche mit den Regierungschefs geführt. Nun ist klar, dass der Auftrag, diese Nuss zu knacken, an die österreichische Ratspräsidentschaft weiter gegeben wird. Regierungsvertreter aus Berlin machten aber deutlich, dass Deutschland weiter auf Solidarität poche: „Wir können uns nicht vorstellen, dass sich EU-Staaten komplett aus einem wie auch immer gearteten Solidaritätsmechanismus ausklinken dürfen.“