Ein Neubau in Stuttgart-Degerloch wird von einer gewaltigen Schallschutzwand aus Glas abgeschirmt. Ist hier möglicherweise eine Todesfalle für Vögel entstanden?

Degerloch - Elegant ist es geworden, das Mehrfamilienhaus an der Jahnstraße in Degerloch. Leicht nach hinten versetzt thront der Neubau auf einer Erhöhung. Die neun Wohnungen sind frisch bezogen. Vor dem Dauerlärm der Durchfahrtsstraße werden die Bewohner durch eine massive gläserne Wand geschützt. Sie zieht sich über die gesamte Grundstücksbreite, ist schätzungsweise 30 Meter lang und fünf Meter hoch. Für die Menschen im neuen Haus ist das sicherlich eine Erleichterung, aber für die Tiere aus dem nahen Wald? Ist hier möglicherweise eine Todesfalle für Vögel entstanden?

 

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Nein, sagt Alexander Schaber. Er ist Geschäftsführer von Wohnbau Studio, dem Bauträger mit Sitz in Sillenbuch. Was von Weitem nicht erkennbar ist: Die riesige Schallschutzwand ist mit einem Raster bedruckt. Graue Punkte überziehen die Scheiben. Das Muster sei vom Amt für Umweltschutz abgenommen und werde von der Vogelwarte Schweiz empfohlen. „Weil es relativ gleichmäßig ist, sieht man es nicht“, sagt er und spricht von einer Risikominimierungsmaßnahme.

Naturschutzbehörde fordert Maßnahmen

Die ist notwendig. Niklas Junkermann, ein Stadtsprecher, erklärt fürs Umweltschutzamt: Wie Schulgebäude, Autohäuser, Schwimmbäder oder Wartehäuschen gehöre auch eine gläserne Schutzwand zu jenen Bauten, die grundsätzlich auf potenziellen Vogelschlag hin zu prüfen seien. Aufgrund der Durchsicht sei eine fachgerechte Anbringung hochwirksamer Markierungen notwendig. „Die Untere Naturschutzbehörde wird hier zunehmend in relevante baurechtliche Verfahren eingebunden und fordert entsprechend notwendige Maßnahmen. Vorhabensträger, Architekten und Firmen müssen sich daher diesen Belangen rechtzeitig bereits in der Planung stellen.“ Auch nachträglich könne die Behörde solche Maßnahmen fordern, wenn ein signifikant erhöhtes Tötungsrisiko nachgewiesen werden könne. Bei geeigneten umgebenden Vegetations- oder Habitatstrukturen werde grundsätzlich jedes Gebäude mit Glasflächen untersucht.

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Dass die Bedrohung real ist, zeigt ein Beispiel aus Birkach. 2018 fiel die neu verglaste Feierhalle auf dem Friedhof negativ auf – mit der Konsequenz, dass Vögel übergangsweise mit unschönem rot-weißem Flatterband vor dem Tod bewahrt werden mussten. Auch eine tierökologische Untersuchung war notwendig. Die Stadt Stuttgart hat sich ohnehin den Schutz von Vögeln auf die Fahne geschrieben und auf ihrer Homepage eine Broschüre des BUND veröffentlicht, die auf Gefahren aufmerksam macht und gestalterische Lösungen aufzeigt. „In der Stadt Stuttgart wird da mittlerweile mehr Acht drauf gegeben“, sagt auch Alexander Schaber. Er begrüße das.

Mehr als 18 Millionen Wildvögel sterben an Glasscheiben

Der BUND geht davon aus, dass bundesweit mehr als 18 Millionen Wildvögel an Glasscheiben den Tod finden, die Umweltschutzamt spricht sogar von jährlich über 100 Millionen. Das Problem: Für Vögel ist transparentes Glas nicht zu erkennen, auch spiegelnde Flächen nicht. „Flächen, die größer als 1,5 Quadratmeter sind, werden nicht als Hindernis erkannt“, erklärt Niklas Junkermann. „Die Vögel fliegen meist ungebremst auf das Hindernis und sterben entweder sofort durch die Wucht des Aufpralls oder später an inneren Verletzungen“, heißt es beim Landesnaturschutzverband.

Der Landesbeirat für Tierschutz, angesiedelt beim Ministerium für Ländlichen Raum und Verbraucherschutz, appelliert daher an Architekten, Bauherren und Hausbesitzer. Das Ganze hat durchaus eine rechtliche Grundlage. Beim Vogelschlag sind die Vorgaben in Paragraf 44 des Bundesnaturschutzgesetzes – Tötungsverbot – maßgeblich. Dort ist geregelt, dass insbesondere dann, wenn im Rahmen von Baumaßnahmen ein signifikant erhöhtes Risiko für Vogelschlag geschaffen werde, geeignete Vermeidungsmaßnahmen zu ergreifen seien. Auch im Baugesetzbuch sind die Belange des Umweltschutzes laut dem Landesbeirat verankert.