Die Evolution erklärt, wie die Dinosaurier ein Federkleid bekamen und wie einige von ihnen das Fliegen lernten. Aber sie erklärt nicht, wie das Bewusstsein entstand. Dumm nur, dass innerhalb der Wissenschaft keine Alternative zur Evolutionstheorie denkbar ist.

Stuttgart - Die Welt ist eine Baustelle, nur dass die Arbeiten so langsam vorangehen, dass man sie nicht bemerkt. So lautet eine Kernidee der Evolutionstheorie: Die Selektion der besten Gene erstreckt sich über Jahrtausende oder gar Jahrmillionen. Kleinste Veränderungen summieren sich. Irgendwann entstehen auf diese Weise nicht nur einzelne Anpassungen an die Umwelt, sondern sehr komplexe Lebewesen – man denke nur an das menschliche Gehirn, das sogar ein Bewusstsein hervorbringt. Diese Idee finden manche schwer zu akzeptieren, auch wenn sie sonst naturwissenschaftlich denken. Die Evolutionstheorie ist ja nicht für alle Anwendungsfälle bewiesen, sondern erscheint in manchen Fällen nur plausibel: Wenn die Grundlagen der Evolutionstheorie im Kleinen so gut nachgewiesen sind, dann werden sie wohl auch im Großen gelten – so die Argumentation.

 

Ich möchte zwei Bücher vorstellen, die sich bereits im vergangenen Jahr mit Zweifeln an der Evolutionstheorie beschäftigt haben und die ich erst jetzt gelesen habe: ein Abenteuerroman des promovierten Biologen und Kollegen von Sueddeutsche.de, Markus Schulte von Drach, und ein philosophisches Pamphlet des Altmeisters Thomas Nagel von der New York University. Bei Schulte von Drach kommen alle Kritiker der Evolutionstheorie um, bis auf einen katholischen Priester, der aber nach den Erlebnissen im Dschungel Perus an seinen Überzeugungen zweifelt. Auch wenn Schulte von Drach seine Figuren gleichberechtigt Argumente wälzen lässt, finde ich, dass man an den Todesopfern erkennt, wo seine Präferenzen liegen. Der 77-jährige Thomas Nagel fasst wiederum zusammen, warum er nach Jahrzehnten philosophischer Debatte skeptisch bleibt: Die Evolutionstheorie lasse wichtige Fragen offen.

In der Natur scheint alles perfekt aufeinander abgestimmt

Nehmen wir als Beispiel die Evolution der Federn. Dieses Beispiel bietet sich an, denn im Roman von Schulte von Drach haben einige gefiederte Echsen im Dschungel überlebt und verteidigen ihr Revier auf Teufel komm raus. In einer Ausstellung im Stuttgarter Naturkundemuseum wird die Evolution der Federn gerade thematisiert: Aus gekrümmten und verlängerten Schuppen der Echsen seien erst dünne Röhrchen entstanden – die ersten Federn waren hohle Borsten und haben die Echsen gewärmt. Später wurden daraus bunte Federn, vielleicht um die Weibchen zu beeindrucken und vielleicht um besser von Baum zu Baum zu springen. Der Archaeopteryx, der vor 150 Millionen Jahren an tropischen Lagunen lebte, konnte dann schon gut fliegen. Elf Fossile hat man bisher im bayerischen Altmühltal entdeckt. Der Urvogel war so groß wie eine Elster, hatte vorwiegend schwarze Federn, aber keinen Schnabel, sondern ein Echsenmaul mit Zähnen. In den letzten Jahren sind in der chinesischen Provinz Liaoning viele weitere mehr oder weniger gefiederte und mehr oder weniger flugfähige Saurier ausgegraben worden.

Schritt für Schritt, so funktioniert die Evolution: erst wärmende Borsten, dann ein dichtes Federkleid, dann Gleitflug und schließlich richtiger Flug. Aber ist es wissenschaftlich legitim, diese evolutionstheoretische Erklärung auf alles Lebendige auszuweiten? „Diese Welt ist doch keine Baustelle“, lässt Schulte von Drach einen Kreationisten sagen. „Alles ist perfekt aufeinander abgestimmt. Alle Lebewesen erfüllen irgendeinen Zweck. Der Wurm lockert die Erde, die ihn ernährt, sodass Pflanzen wachsen können, von denen wir leben. Alles hat seinen Platz im Ökosystem.“ Diese Sicht der Natur wird auch von Naturschützern verbreitet. Kann sich diese Komplexität im Versuch-und-Irrtum-Schlingerkurs der Evolution entwickelt haben?

Wissenschaftliche Revolutionen gibt es immer wieder

Und das Bewusstsein erst! Bei ihm ist nicht nur fraglich, wie es sich entwickelt hat, sondern darüber hinaus, ob es überhaupt mit dem Gehirn zusammenhängt. Thomas Nagel diskutiert in knapper Form die verschiedenen philosophischen Antworten auf diese Fragen. Sein Fazit: „Es ist eine umfangreiche und komplexe Literatur um diese Probleme herum entstanden. Aber ihr hauptsächlicher Nutzen besteht darin zu bestätigen, wie hartnäckig sich die Probleme halten.“ Nagel bezeichnet sich selbst als nicht gläubig. Er sucht nach einer Erklärung, die verständlich macht, wie das Gehirn Bewusstsein erzeugt und wie sich dieses Gehirn in der Evolution entwickelt hat. Die Erklärung darf gerne naturwissenschaftlich sein, aber er befürchtet, dass man hier nicht ohne gravierende Änderungen des Weltbildes auskommt. Denn Nagel findet, dass alle bisherigen Theorien des Bewusstseins das Bewusstsein nicht ernst genug nehmen.

Es gibt eine einflussreiche Analogie zur Chemie: Wasser, das wissen wir heute, ist H2O. Kann nicht in ähnlicher Weise entdeckt werden, dass der Bewusstseinszustand X in Wirklichkeit das neuronales Aktivitätsmuster Y ist? Die diesjährigen Nobelpreisträger im Fach Medizin, das Ehepaar May-Britt und Edvard Moser und John O’Keefe, haben eine solche direkte Verknüpfung an einem Beispiel etabliert. Sie haben Nervenzellen bei Ratten identifiziert, die bestimmte Orte im Käfig repräsentieren: Die Nervenzellen werden aktiv, wenn sich die Ratte am entsprechenden Ort aufhält. Doch damit ist Nagel nicht zufrieden, denn es geht ihm nicht darum, wie Daten im Gehirn verarbeitet werden, sondern wie Bewusstsein entsteht. Er will verstehen, wie das Aktivitätsmuster Y die Empfindung X hervorbringt. Beim Wasser können alle Eigenschaften aus den Eigenschaften des H2O-Moleküls heraus erklärt werden. Im Fall des Bewusstseins ist die Verbindung weniger eng: Es ist nicht ausgeschlossen, dass ein anderer Mensch denselben Bewusstseinszustand X bei einem abweichenden neuronalen Aktivitätsmuster Z hat.

Natürlich kann Nagel nicht ausschließen, dass seine Fragen eines Tages von den Naturwissenschaften erklärt werden. Aber er ist skeptisch, weil er das subjektive Erleben jedes Menschen für einen fundamentalen Zug der Natur hält und zugleich keinen Ansatz dafür sieht, wie man ihn im Rahmen des aktuellen wissenschaftlichen Weltbildes erklären könnte. Deshalb fordert er mehr Offenheit im Denken über die Wissenschaft. „Jeder räumt ein, dass es ungeheuer viel gibt, was wir nicht wissen, und dass die Chancen, in der Zukunft weitere Verständnisfortschritte zu erzielen, enorm groß sind“, schreibt Nagel. „Doch die Naturalisten in der Wissenschaft beanspruchen zu wissen, welche Form dieser Fortschritt annehmen wird“: Es werde eine neurowissenschaftliche und letztlich auf die Physik rückführbare Erklärung sein. Warum so engstirnig?, fragt Nagel – und gibt auch gleich die Antwort: Wir sind – er nimmt sich da nicht aus – zu fantasielos, um uns eine wissenschaftliche Alternative zur Evolutionstheorie auszumalen.