Alle reden von Hygge, dem Zufriedenheitsrezept der Dänen, Forscher begeben sich seit Jahrhunderten auf die Suche nach einer Formel für das Glück. Was braucht es für ein gelingendes Leben?

Wochenend-Magazin: Markus Brauer (mb)

Stuttgart - Hygge nennen die Dänen ihr Erfolgsrezept für das Glück. Eine Lebenseinstellung, die man mit Gemütlichkeit oder Geborgenheit übersetzen könnte, und die es innerhalb der vergangenen Monate auch hierzulande in viele Medien geschafft hat. Beim World Happiness Report, der jährlich aus weltweiten Umfragen erstellt wird, kam Dänemark auf den ersten Platz. Die Deutschen brachten es wieder einmal nur auf Platz 16. Und alle fragen sich: Wie machen die Dänen das nur?

 

Wie wird man glücklich?

Jeder will es, manche finden es, wohl keiner kann es für immer halten – das Glück. Doch was ist das eigentlich? Ein Leben in Reichtum und Luxus? Beruflicher Erfolg samt kuscheligem Heim? Ein langes, gesundes, zufriedenes Leben? Macht, Ruhm, Ehre? Der Raffgierige wird unter Glücklichsein etwas anderes verstehen als der Bescheidene, der Menschenverächter etwas anderes als der Philanthrop.

Die Antworten darauf, was Glück ausmacht, sind selbstredend so zahlreich und individuell wie es Menschen und verschiedene Werte gibt. Arme und Reiche, Kranke und Gesunde, Zufriedene und Frustrierte, Schlaue und Dumme – sie alle wollen nur eines: Dass ihr Leben gelingt und sie glücklich sind.

Irgendwann macht aber jeder die Erfahrung: Ist ein Wunsch erfüllt und das Streben befriedigt, wähnt man sich für kurze Zeit glücklich, doch schon bald kehrt der Drang nach mehr zurück. Wenn Geld glücklich macht, macht noch mehr Geld dann nicht noch glücklicher? Gesund zu sein ist ein Geschenk, doch dieser Zustand ist nicht von Dauer. Jeder wird einmal krank – und muss sterben. Dieses unvermeidliche Schicksal kann bedrohlich wirken und dem Genuss der gesunden Zeit sogar im Wege stehen.

Wahres Glück – was ist das?

Was also ist wahres Glück, eines, das von Dauer wäre? Wer nach Antworten sucht, wird fast erschlagen von der Flut an philosophischen Erklärungen, populären Ratgebern, anekdotischen Glücksbüchern und Lifestyletrends, die durch die Medien wandern. Das Ergebnis der Lektüre ist – egal, wie umfangreich sie sein mag – immer dasselbe: Eine allgemeingültige Antwort auf das, was Glück ist oder ausmacht, wie man es erringt und festhält, gibt es nicht.

In jedem Lebensentwurf geht es um das individuelle Streben nach Glück, nach Erfüllung und Einklang mit sich und der Welt. Doch wären diese Ziele alle dauerhaft erreicht, könnten wir das gar nicht mehr erkennen. Glück ist immer an den Augenblick gebunden, es ist vergänglich. Es schließt die Empfindungen eines plötzlichen Hochgefühls genauso ein wie länger anhaltende Glückseligkeit, materielle Zufriedenheit genauso wie spirituelle Ekstase.

Jeder ist seines Glückes Schmied

Das Wort Glück stammt vom Mittelniederdeutschen „gelucke“ und Mittelhochdeutschen „gelücke“. Es meint die Art und Weise, wie etwas endet. Glück ist der günstige Ausgang eines Ereignisses, einer biografischen Episode, auf die der Mensch sehr wohl Einfluss nehmen kann.

Jeder ist seines Glückes Schmied, sagt das Sprichwort. Ob das Leben gelingt, ist nicht durch eine höhere Macht bestimmt, wie der Genfer Reformator Johannes Calvin postulierte. Dem Calvinismus zufolge hat Gott den Menschen zum Heil oder zur Verdammnis, zum Glück oder Unglück bestimmt, ohne dass der das beeinflussen könne.

Das Glück und die Philosophen

Seneca: Die Einsicht reicht aus für ein glückliches Leben

Seit Menschengedenken zermartern sich die Denker die Köpfe, um zu ergründen, wie man das Glück zu fassen bekommt. Kaum ein Philosoph und Dichter, der der Nachwelt nicht eine Sentenz über den Weg zur Glückseligkeit hinterlassen hat.

Der römische Philosoph Lucius Annaeus Seneca schreibt: „Wer die Einsicht besitzt, ist auch maßvoll. Wer maßvoll ist, ist auch gleichmütig. Wer gleichmütig ist, lässt sich nicht aus der Ruhe bringen. Wer sich nicht aus der Ruhe bringen lässt, ist ohne Kummer. Wer ohne Kummer ist, ist glücklich. Also ist der Einsichtige glücklich, und die Einsicht reicht aus für ein glückliches Leben.“

Der kulturelle, soziale und weltanschauliche Hintergrund prägt unsere Vorstellung von einem gelungenen Leben. Und je nach Wertekosmos stellen die Menschen mehr die individuelle Entwicklung und das aktiv zu erobernde Glück oder den Dienst an der Gemeinschaft, das Sich-Einbringen in die Gesellschaft in den Mittelpunkt.

Ruut Veenhofen: „Subjektive Wertschätzung des Lebens“

Der niederländische Sozialpsychologe Ruut Veenhofen von der Rotterdamer Erasmus-Universität, ein Pionier der Glücksforschung, definiert Glück als „subjektive Wertschätzung des Lebens“.

Claudia Senik, Verhaltensökonomin an der Pariser Sorbonne-Universität, sieht das individuelle Streben nach Glück als das Maß aller Dinge: „Vergleichen Sie sich nicht mit anderen, konzentrieren Sie sich auf Ihre eigenen Pläne, und setzen Sie auf Ehrgeiz.“ Friedrich Nietzsche würde dieser Satz gefallen. Er war überzeugt, dass Glück über der Moral steht und bedeutet, sich auszuleben und sein Potenzial auszuschöpfen – ohne Rücksicht auf das Glück der Anderen.

Immanuel Kant: Kategorischer Imperativ

Immanuel Kant, der große Vernunfts- und Pflichtethiker, würde sich angesichts solcher Anweisungen zum Ego-Trip im Grabe umdrehen. Das größte Glücksgefühl, das einen durchströmt, besteht für den bedeutenden Philosophen darin, seine moralische Pflicht zu erfüllen und vernunftsgemäß zu handeln. Gemäß dem kategorischen Imperativ: „Handle nur nach derjenigen Maxime, durch die du zugleich wollen kannst, dass sie ein allgemeines Gesetz werde.“

Auch Jeremy Bentham, Begründer des Utilitarismus, hält dem hedonistischen Egoismus entgegen, das Glück der größten Zahl gebe den Ausschlag und der allgemeine Nutzen habe Vorrang.

Eudaimonía – das gelingende Leben

Für die antiken Philosophen stand außer Frage, was Glück ist: die Eudaimonía, das gelingende Leben. Wer es erringen will, muss den ethischen Grundregeln folgen und nach einem ausgeglichenen Gemütszustand streben.

Aristoteles, der Realist unter den griechischen Denkern, sieht im Glück das höchste Gut und Ziel des Daseins, das der Mensch nie als Solist, sondern nur als Teil einer Gemeinschaft erringen kann. Wer selbstsüchtig nur seinen Vorteil suche und alles, was ihm in die Quere komme, niederwalze, werde nie glücklich sein. Glück sei demjenigen beschieden, der sowohl sein eigenes wie auch das Wohl aller im Blick habe.

Innere Werte, Tugend, Selbstgenügsamkeit, Altruismus – alles gute Werte. Dennoch müssen auch andere Faktoren stimmen. Wer behauptet, ein tugendhafter Mensch könne auf der Folterbank sein Glück finden, der „rede mit oder ohne Absicht einfach Unsinn“, erklärt Aristoteles. „Gelingendes Handeln, verbunden mit Tugend und Selbstgenügsamkeit des Lebens“ – das sei in Wirklichkeit wahres Glück.

Wie werde ich glücklich und zufrieden?

Sechs Zutaten für ein glückliches Leben

Die große Mehrheit der Menschen treibt indes nicht die gedankenschwere Suche nach den philosophischen Urgründen des Glücks um, sondern die simple praktische Frage: Wie werde ich glücklich und zufrieden? Die kroatischen Psychologinnen Dubravka Miklovic und Majda Rijavec von der Universität Zagreb nennen sechs unerlässliche Voraussetzungen für ein glückliches Leben im Alltag: Gute Freunde, eine stabile Liebesbeziehung, eine Arbeit, die zu den eigenen Fähigkeiten passt, genügend Geld für die Grundbedürfnisse, mindestens drei schöne Erlebnisse am Tag und Dankbarkeit für das alles.

Diese Essenz würzen die Psychologinnen mit fünf weiteren Zutaten: Kind(er), der Glaube an Gott, eine gute Ausbildung, Gesundheit und einige Enttäuschungen im Leben. Das alles mit mehr positiven als negativen Gefühlen angerichtet, Wertschätzung auch für die kleinen Dinge – und das Glück ist perfekt.

Glück beginnt im Kopf

Den Neurowissenschaften verdanken wir eine weitere wichtige Erkenntnis, dass nämlich Glück im Kopf beginnt. Im Gehirn werden Glücksboten gebildet – Botenstoffe, die dafür sorgen, dass wir wach, konzentriert oder euphorisch gestimmt sind und eine positive Grundeinstellung haben. Unser Organismus produziert permanent biochemische Botenstoffe wie Sexual- oder Stresshormone, die der Signalübertragung und chemischen Kommunikation dienen.

Wann immer wir Schönes erleben, wenn wir beispielsweise einen malerischen Sonnenuntergang beobachten, einer Mozart-Sinfonie lauschen oder einen geliebten Menschen im Arm halten, setzen wir Dopamin frei. Dieser Neurotransmitter wirkt wie eine geballte Ladung konzentrierten Glücks.

Dasselbe geschieht, wenn wir begeistert und kreativ sind. Gehirn und Nervenzellen wandeln Dopamin in die Euphorie-Substanz Noradrenalin um. Dieser Botenstoff steigert die Motivation, die Aufmerksamkeit und die geistige Leistungsbereitschaft.

Ein anderes Hormon, der Stimmungsaufheller Serotonin, ist für die Entspannung und innere Ausgeglichenheit zuständig. Endorphin wiederum wird in brenzligen Situationen freigesetzt. Es setzt sich auf Rezeptoren fest, die die Übertragung von Schmerzsignalen blockieren und im Körper für sofortige Schmerzstillung und Entspannung sorgen. Endorphin ist ein körpereigenes Opiat – in der Wirkungsweise ähnlich Opium und Morphin.

Ist Glück genetisch bedingt?

Ist uns die Fähigkeit zum Glücklichsein darüber hinaus vielleicht sogar in die Wiege gelegt? „50 Prozent unseres Glückspotenzials sind angeboren. Zehn Prozent sind den Lebensumständen zuzuschreiben. Aber 40 Prozent des Glückspotenzials liegen in unserer Hand“, betont die amerikanische Sozialpsychologin Sonja Lyubomirsky von der University of California. Glücksfähigkeit könne durchaus erlernt und trainiert werden, indem man etwa Fehler als Lernerfahrungen umdeutet und den Blick auf Positives richtet.

Goldenes Dreieck des Glücks

Australische Forscher von der Deakin University in Melbourne haben drei Schlüsselfaktoren ausfindig gemacht, die sie das „goldene Dreieck des Glücks“ nennen: stabile persönliche Beziehungen, die Kontrolle über die eigenen Finanzen und Lebensziele. Glücklich würden Menschen aber erst, wenn zwischen diesen Faktoren ein gesundes Gleichgewicht herrsche.

Fazit – Glück ist . . .

. . . die Summe von vielem

Es ist die Summe verschiedener Faktoren, die positive und glücklich machende Effekte auf die Gesamtkonstitution eines Menschen haben und dazu beitragen, dass sein Leben gelingt.

. . . eine bewusste Entscheidung

Allerdings gibt es einen zentralen Hebel, der das gelingende Leben begünstigt: Selbstdisziplin. Wer glücklich sein will, darf die Hände nicht in den Schoß legenund hoffen, dass schon alles glatt läuft, andere die großen Entscheidungen für einen treffen oder sich das ganze irgendwie fügen und auflösen wird. Er muss aktiv nach seinem Glück greifen.

. . . eine unverhoffte Chance

Wenn man etwas gezielt erledigt habe, springe das „Belohnungszentrum“ im Gehirn an und schütte Neurotransmitter aus, die Glücksgefühle auslösten, erklärt die Glücksforscherin Michaela Brohm-Badry. Wer meist passiv sei, nehme sich dadurch „die Chance auf dieses Glücksempfinden“, erklärt die Bildungswissenschaftlerin von der Universität Trier. In Zuständen der Langeweile und Demotivation würden diese Stoffe nicht ausgeschüttet. „Wer nur auf dem Kanapee sitzt, sorgt nicht dafür, dass er Erfolgserlebnisse hat.“