In der kommenden Woche könnte die EU die Zulassung des Spritzmittels Glyphosat für weitere 15 Jahre verlängern. Das Thema steht am Montag und Dienstag auf der Tagesordnung der Kommission. Hier noch einmal die wichtigsten Fragen und Antworten.

Stuttgart - Das Pflanzenschutzmittel Glyphosat findet sich in Brötchen, im Bier, in Tampons und Binden – und konnte bei 99,6 Prozent aller Probanden einer am Freitag veröffentlichten Studie der Bürgerinitiative Landwende nachgewiesen werden. Ist es wirklich ungefährlich? Darüber wird aktuell erbittert gestritten. Zu Beginn der kommenden Woche will die EU-Kommission über die weitere Zulassung des umstrittenen Wirkstoffes entscheiden.

 

Der Unkrautvernichter Glyphosat ist heiß umstritten. Umweltschützer fordern schon lange ein Verbot, die Weltgesundheitsorganisation (WHO) hält den Wirkstoff für wahrscheinlich Krebs erregend – doch die Chancen für eine Wiederzulassung stehen bestens, die wichtigste EU-Behörde hat bereits zugestimmt. Sie folgt dabei dem Votum deutscher Behörden. Die wichtigsten Fragen und Antworten zu Glyphosat.

Was ist Glyphosat?

Glyphosat ist der weltweit am meisten genutzte Wirkstoff in Pflanzenschutzmitteln. Es ist auch in Deutschland das meistverkaufte Pestizid: Nach Zahlen des Umweltbundesamtes (UBA) werden hierzulande jährlich 5000 Tonnen des Wirkstoffs ausgebracht. In den vergangenen 15 Jahren, so das UBA, habe die Anwendung des in den 70er Jahren entwickelten Stoffes um das Dreifache zugenommen. Auf den Markt kommt Glyphosat in verschiedensten Mitteln. Das bekannteste ist Roundup von Monsanto.

Wozu wird Glyphosat eingesetzt?

Glyphosat ist ein Totalherbizid. „Das heißt, es tötet alle Pflanzen ab, komplett und ohne Ausnahme“, erklärt Padraig Elsner, Pressesprecher des Badischen Landwirtschaftlichen Hauptverbandes (BLHV). Glyphosat wird deshalb in Deutschland vor allem zur Vorbereitung des Bodens auf die Saat eingesetzt. „Es geht darum, sich mechanische Bodenbearbeitung zu sparen“, erklärt Elsner. Diese fördere die Erosion, und sei oft zu energieaufwendig. Das Herbizid wird außerdem auch zur Erntevorbehandlung von Getreide genutzt.

Wie funktioniert das Herbizid genau?

In Pflanzen blockiert Glyphosat ein bestimmtes Enzym, das für den Stoffwechsel wichtig ist. Die Pflanze verwelkt deshalb. Da das Enzym bei Menschen und Tieren nicht vorkomme, seien negative Effekte auf die Gesundheit unwahrscheinlich, schreibt Roundup-Hersteller Monsanto auf seiner Homepage. Die Pflanzenschutzmittel enthalten jedoch nicht nur Glyphosat, sondern auch Beistoffe. Diese sollen die Wirkung des Glyphosats verstärken. Die Beistoffe, so das Bundestinstitut für Risikobewertung (BfR), seien teilweise giftiger als der Wirkstoff Glyphosat selbst.

Warum wird zurzeit so intensiv über Glyphosat gestritten?

In der EU werden die Zulassungen von Wirkstoffen in Pflanzenschutzmitteln zyklisch erneuert – für jeweils 15 Jahre. Bis Juni 2016 muss die EU über Glyphosat befinden. Die Entscheidung steht am 7. und 8. März auf der Tagesordnung des entsprechenden Ausschusses, wie die EU-Kommission mitteilt. Deutschland spielt in dem Prozess eine entscheidende Rolle: Es ist im Fall von Glyphosat der berichterstattende Mitgliedstaat der EU. Das heißt, mehrere Behörden, allen voran das Bundesinstitut für Risikobewertung, haben sich seit 2012 mit der Studienlage zu den Auswirkungen von Glyphosat befasst. Das BfR befürwortet die weitere Zulassung des Wirkstoffs: Es hält den Wirkstoff für nicht Krebs erregend und für wahrscheinlich nicht DNA-schädigend. Dem hat sich auch die EU-Behörde für Lebensmittelsicherheit, Efsa (European Food Safety Authority), angeschlossen – auch die Beschlussvorlage der EU-Kommission für den Ausschuss sieht eine Zustimmung vor. Es ist eine brisante und heftig umstrittene Entscheidung, denn die Krebsagentur der Weltgesundheitsorganisation (IARC) hatte Anfang 2015 Glyphosat anders bewertet – als DNA-schädigend und „wahrscheinlich Krebs erregend“. Das BfR blieb nach neuerlicher Prüfung bei seiner Bewertung, ebenso die Efsa. Würde die EU-Kommission der WHO-Einschätzung folgen, müsste Glyphosat vom Markt genommen werden.

Wie kommt es zu den unterschiedlichen Einschätzungen?

Die Efsa prüft ausschließlich die Giftigkeit des Wirkstoffs Glyphosat selbst. Die IARC hingegen überprüft die fertigen Pflanzenschutzmittel. Nun deuten laut Efsa einige Studien darauf hin, dass die Glyphosat-Mixturen dank ihrer Beistoffe tatsächlich DNA-schädigend sein können, auch zeigen sie eine höhere Giftigkeit als der Stoff selbst. Über die Zulassung der fertigen Mittel entscheidet jeder Mitgliedstaat selbst. Auch inhaltlich gibt es Differenzen zwischen Efsa und IARC: Wie die Efsa berichtet, habe die IARC aus Langzeitstudien mit Ratten und Mäusen geschlossen, dass es Krebs erregende Effekte gebe. Die Efsa bewertete die Studienergebnisse als „statistisch nicht signifikant“.

Was bedeutet die IARC-Einstufung „wahrscheinlich Krebs erregend“?

Die WHO-Agentur bewertet lediglich, wie gut die wissenschaftlichen Beweise dafür sind, dass ein Stoff Krebs erregend ist. Die Einstufung sagt nichts über das Risiko aus, durch die Chemikalie zu erkranken.

Was sagen die Kritiker?

Der Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland (BUND) nennt die Einschätzung der Efsa einen „Beleg für die unglaubliche Ignoranz der Behörde gegenüber den Gesundheitsrisiken des Stoffes“. Die Umweltorganisation kritisiert das Zulassungsverfahren für Pestizide in der EU generell als „industriedominiert und intransparent“. Auch das an der Bewertung beteiligte Umweltbundesamt kritisiert: „Angesichts der Einschätzung der WHO sehen wir weiteren Forschungsbedarf. Insbesondere bei Kindern wissen wir aus den Studien bisher kaum etwas zur Belastung“, so Sprecherin Laura Schoen. Auch die Auswirkungen auf die Natur sieht das UBA kritisch: „Glyphosat ist einer der Hauptgründe für den Verlust der biologischen Vielfalt auf unseren Äckern“, so Schoen.

Wie gefährlich ist Glyphosat im Bier?

Der Widerhall war riesig: Im deutschen Bier wurde Glyphosat gefunden. Das hat eine Untersuchung von 14 Biersorten durch das Münchner Umweltinstitut, einen ökologisch orientierten Verein, ergeben. Eine Gefahr sieht das BfR aber nicht. Das liegt an den gefundenen Mengen: Der höchste gemessene Wert waren 30 Mikrogramm (Millionstel Gramm) pro Liter. Zum Vergleich: der von der Efsa vorgeschlagene neue Grenzwert für Glyphosat liegt bei einer täglichen Aufnahme von 0,5 Milligramm (Tausendstel Gramm) pro Kilogramm Körpergewicht.

Rückstände in Muttermilch haben Schlagzeilen gemacht. Zu Recht?

Mit dem Wirkstoff wird auch Politik gemacht: Eine Untersuchung der Grünen hat im Sommer 2015 ein großes Medienecho bekommen. Die Partei meinte, in mehreren Muttermilchproben Glyphosat nachgewiesen zu haben. Der verwendete Test war jedoch Experten zufolge nicht auf fetthaltige Lösungen wie Milch ausgerichtet. Das BfR hat in einer eigenen Untersuchung von 114 Muttermilchproben keine Rückstände gefunden. Glyphosat ist sehr gut wasser-, aber schlecht fettlöslich, weshalb in Milch eher keine Rückstände zu erwarten sind. Dass Menschen dem Pestizid zunehmend ausgesetzt sind, leugnet aber niemand. So hat das Umweltbundesamt in einer Langzeitstudie 400 Urinproben von Studenten ausgewertet. Während sich Glyphosat im Jahr 2001 bei zehn Prozent der Teilnehmer im Urin fand, waren es 2013 bereits 60 Prozent, allerdings ging der Wert seitdem auf 40 Prozent zurück. Das UBA sprach dennoch von einem „deutlichen Anstieg der Belastung“ seit Beginn der Messungen.

Neue Studie zu Glyphosat

In Berlin ist am Freitag eine neue Studie mit 2000 Probanden vorgestellt worden, derzufolge bei 99,6 Prozent der Deutschen Glyphosat im Urin nachweisbar sein soll. Die Studie mit dem Titel „Urinale 2015“ ist von der Bürgerinitiative Landwende vorgestellt worden – und zwar in den Räumen der Heinrich-Böll-Stiftung, weshalb teilweise zunächst berichtet wurde, die Studie sei von der Stiftung in Auftrag gegeben worden.

Es wurden Urinproben von 2000 Probanden genommen. Kinder und Jugendliche sind demnach belasteter als andere Altersgruppen, Männer mehr als Frauen. Laut Maria Krautzberger, Präsidentin des Umweltbundesamtes, sind die Ergebnisse der Studie jedoch nicht überraschend. Angesichts der Verbreitung des Spritzmittels sei das Ergebnis zu erwarten gewesen. Vertreter der Chemiebranche zweifeln die Aussagekraft der neuen Untersuchung an.