Der Oberbürgermeister ist erbost über zwei Artikel in dem Blog Forum Göppingen. Die Verwaltung wendet sich statt an den Verfasser der Texte an dessen Dienstherren, das Regierungspräsidium. Will die Stadt einen Kritiker mundtot machen?

Göppingen - Einen solchen Fall hat das Stuttgarter Regierungspräsidium (RP) noch nicht gehabt: Die Stadt Göppingen hat sich wegen zwei Artikeln in dem Blog Forum Göppingen an die Behörde gewandt. Das RP hat zwar nichts mit dem Blog zu tun, wohl aber mit dessen Verfasser: Denn es ist die Aufsichtsbehörde für Lehrer und damit auch für Heiko Stobinski, der seit fast 20 Jahren Gemeinschaftskunde an einem Gymnasium unterrichtet.

 

„Die Stadt versucht, mich mundtot zu machen“, sagt Stobinski. Er glaubt, dass der Oberbürgermeister Guido Till (CDU) hinter dem Schreiben steckt. Dieser wolle Druck aufbauen, um ihn daran zu hindern, in seinem Blog Forum Göppingen weiter kritisch über die Stadtpolitik zu berichten.

Anwaltskanzlei nimmt Texte unter die Lupe

Tatsächlich gilt Stobinski in Göppingen schon lange als einer der vehementesten Kritiker des Stadtoberhaupts. Vielen Stadträten, sogar solchen, die im Grunde viele Ansichten des Lehrers teilen, geht dessen Kritik und sein ab und zu harscher Ton manchmal zu weit. Und so hat sich der Kritiker auch immer wieder selbst Kritik zugezogen.

„Was soll ich denn machen? Irgendjemand muss doch den Finger in die Wunde legen“, sagt der 48-Jährige dazu und berichtet, wie er beispielsweise immer wieder mit Verwaltungsmitarbeitern gesprochen habe, die ihm erzählt hätten, wie schlecht das Arbeitsklima im Rathaus sei. Er fühle sich verpflichtet, das anzuprangern.

Eine Anwaltskanzlei, die die Stadt damit beauftragt hat, zwei Artikel von Stobinski unter die Lupe zu nehmen, die Till besonders geärgert haben dürften, schätzt die Sache allerdings anders ein. In einem Beitrag über das bekanntermaßen angespannte Verhältnis des Oberbürgermeisters zu der Ersten Bürgermeisterin Almut Cobet etwa schreibt der Lehrer, Cobet werde „konsequent überwacht“. Till stütze sich dabei auf die „traditionell autoritäre Stadtverwaltung“. Cobet befinde sich in der „Göppinger Mühle aus Starrsinn, Ausgrenzung und Schikane, die auf Dauer gesundheitlich niemand aushalten“ könne. Stobinski legt in dem Text weiter nahe, dass eine längere Erkrankung auf die Verhältnisse im Rathaus zurückzuführen sei.

Anwälte sprechen von übler Nachrede

Aus der Sicht der Kanzlei skizziert der Lehrer so „das Bild eines autoritären Verwaltungsapparates mit einem patriarchalen Oberbürgermeister an der Spitze, der insbesondere Strukturen dulde und sogar fördere, in denen das Mobbing einzelner Mitarbeiter erwünscht sei“. Aus Sicht der Anwälte stellt Stobinski unwahre Tatsachenbehauptungen auf und würdigt das Ansehen Tills herab. Die Anwälte werten das als üble Nachrede.

Stobinski weist allerdings darauf hin, dass alles, was er geschrieben habe, auf Informationen beruhe, die er von Rathausmitarbeitern erhalten habe. Namentlich zitieren habe er diese freilich nicht können. Außerdem, so findet der Lehrer, hätte sich die Stadtverwaltung ja auch zunächst direkt an ihn wenden können. „Mir ist klar, dass ich auch mal Fehler mache oder vielleicht auch mal zu weit gehe. Mit mir kann man doch reden“, sagt er. Und sein Blog auf Facebook sei offen. Wer anderer Ansicht sei, könne auch direkt im Blog Stellung beziehen – was so mancher Stadtrat in der Vergangenheit bereits getan habe. Stattdessen habe er erst von der Kritik der Stadt gehört, als das Regierungspräsidium bei ihm nachgefragt habe.

Viele Stadträte betrachten den Vorstoß der Stadt mit Unverständnis

Die Stadt weist den Vorwurf der Einschüchterung von sich. Es gehe nicht darum, Kritik zu verhindern, sondern um „strafrechtliche Äußerungen“, schreibt der Pressesprecher Olaf Hinrichsen auf Nachfrage unserer Zeitung: Die von der Kanzlei abgegebene rechtliche Einschätzung habe zu der Frage geführt, ob Stobinskis Verhalten mit seiner Vorbildfunktion als Lehrer in Einklang stehe. „Deshalb haben wir uns an das Regierungspräsidium gewandt.“ Die Behörde prüft nun, ob Stobinskis Recht auf freie Meinungsäußerung schwerer wiegt oder das für Beamte geltende Mäßigungsgebot, beziehungsweise, ob das Gebot hier überhaupt greift.

Der Lehrer ist sich sicher, dass er keine seiner Pflichten als Beamter verletzt hat. Das habe ihm auch ein Anwalt der Lehrergewerkschaft versichert, der nun seinerseits ein geharnischtes Schreiben an das Regierungspräsidium geschickt habe.

Im Gemeinderat ist der Fall Stobinski offiziell kein Thema. Insider berichten aber, der Oberbürgermeister habe lediglich vor einiger Zeit einmal in kleiner Runde gesagt, dass man „wegen Stobinski jetzt mal etwas unternehmen“ werde. So skeptisch die Stadträte gegenüber dem bloggenden Lehrer normalerweise sind. der Vorstoß der Stadtverwaltung stößt bei vielen auf Unverständnis. Die Zeiten, in denen man unliebsame Personen bei deren Dienstherren anschwärze, seien in Deutschland doch eigentlich vorbei, sagt einer hinter vorgehaltener Hand.

Das „Forum Göppingen“ hat immer mehr Leser

Lehrer:
Eigentlich ist er Gemeinschaftskunde-Lehrer – an einem Gymnasium in Göppingen. Doch Heiko Stobinski hat auch eine journalistische Ausbildung. Der Politologe hat vor seinem Leben als Lehrer für den Ulmer Sender Radio 7 gearbeitet, der in den 90er Jahren auch in Göppingen ein Studio hatte. Stobinski drückt es so aus: „Lehrer war immer mein Wunschberuf, Journalist mein Traumberuf“. Weil es in Göppingen viele Themen gibt, zu denen er eine Meinung hat, gründete Stobinski einen Blog und lebt dort seine Leidenschaft für den Journalismus und Kommunalpolitik aus.

Blog:
Stobinskis Blog „Forum Göppingen“ auf Facebook ging vor rund drei Jahren an den Start. Von Anfang an thematisierte Stobinski darin in erster Linie die Göppinger Stadtpolitik. Er berichtete darin häufig sehr kritisch über Bauprojekte, die Lokale Agenda und die Stimmung im Rathaus – und hat sich damit bei vielen Kommunalpolitikern nicht besonders beliebt gemacht. Hinzu kommen Berichte über die Entwicklung des Einzelhandels und über die Verkehrspolitik. Ab und an wagt der Blog auch einen Blick über die Stadtgrenzen hinaus, etwa, als im Kreis über den Beitritt zum Verkehrsverbund Stuttgart (VVS) diskutiert wurde. Wenn es um Themen wie Ehrenamt oder Veranstaltungen geht, gibt es auch einen vergleichenden Blick nach Schwäbisch Gmünd. Der Blog hat 1264 Abonnenten.