Das Stadtarchiv und das Theater im Bahnhof wagen bei der Vermittlung von Geschichte eine ungewöhnliche Kooperation. Vorbild ist ein Bremer Projekt.

Göppingen/Rechberghausen - Aus den Akten auf die Bühne – gemäß dieses Mottos wagt sich das Stadtarchiv Göppingen auf einen neuen Pfad der Geschichtsvermittlung. Um das Thema „Göppingen 1914-1918. Eine Stadt im Krieg“ den Bürgern auf eindrückliche Weise zu vermitteln, gibt es am kommenden Dienstag um 19 Uhr anstelle eines Vortrags eine szenische Lesung – unterstützt durch das Ensemble des Theaters im Bahnhof in Rechberghausen.

 

Texte stammen aus historischen Dokumenten

„Aus den Akten auf die Bühne“ ist bei dem Projekt durchaus wörtlich zu nehmen: Alle Texte, die in der Lesung vorgetragen werden, stammen aus amtlichen und privaten Dokumenten, die im Göppinger Stadtarchiv verwahrt werden. Die Originalquellen machen die Veranstaltung besonders authentisch und transportieren den Zuschauer in die Zeit des Ersten Weltkriegs zurück. Die szenisch vorgetragenen Archivquellen stehen dabei für sich, es gibt keine zusammenfassende Erklärung, vielmehr sollen die Dokumente punktuell die Veränderungen und Einschnitte in Göppingen während des Kriegs zeigen.

Wie war die Stimmungslage zu Kriegsbeginn? Welche unterschiedlichen politischen Kräfte wirkten in der Hohenstaufenstadt? Durch welche Veränderungen machte sich der Krieg auch für die Zivilbevölkerung in der Heimat bemerkbar? Um die Geschehnisse, die Göppingen während der Kriegszeit prägten, darzustellen, werden Ausschnitte aus der zeitgenössischen Presse, den Gemeinderatsprotokollen oder auch Aktenmaterialien zu wirtschaftlichen Notständen sowie Gerichtsverhandlungen in die szenische Lesung eingebracht.

Feldpostbriefe und Tagebucheinträge

Das Spektrum reicht von Anti-Kriegs-Demonstrationsaufrufen unmittelbar vor Ausbruch des Ersten Weltkriegs über die Mobilmachung hin zu schweren arbeitsrechtlichen Vorwürfen gegen die Firmen Boehringer und WMF Göppingen. Die Verurteilung mehrerer junger Frauen zu Gefängnisstrafen, die Liebesbeziehungen mit französischen Kriegsgefangenen eingegangen waren, verdeutlichen, wie stark militärische Vorgaben ins Privatleben der Bürger vordrangen.

Einen besonderen Stellenwert werden die aus dem privaten Nachlass des Kriegsfreiwilligen Paul Engel auszugsweise eingebrachten Tagebucheinträge sowie Feldpostbriefe einnehmen. Hier wechselt die Perspektive: Nicht nur die Ereignisse, die vor Ort in Göppingen stattfanden, werden beleuchtet. Zusätzlich erklingt die Stimme des Göppingers Engel, der seine innersten Gefühle von seiner Zeit der Grundausbildung bis hin zum Kriegsende wiedergibt. Somit wird das Theaterstück multiperspektivisch: Die Situation an der „Heimatfront“ wird in Wechselwirkung zu den unmittelbaren Kriegserlebnissen und -empfindungen des Göppinger Soldaten gestellt.

Das Stadtarchiv und das Ensemble des Theaters im Bahnhof haben mit der szenische Lesung die Grundidee des Bremer Geschichts- und Theaterprojekts „Aus den Akten auf die Bühne“ aufgegriffen, das in Kooperation der Universität Bremen und der Bremer Shakespeare Company entstanden war. Die Lesung ist am kommenden Dienstag um 19 Uhr im Theater im Bahnhof in Rechberghausen zu sehen.