Mehr als zehn Jahre nach dem Tod der Marinekadettin Jenny Böken an Bord des Segelschulschiffs „Gorch Fock“ hat die Staatsanwaltschaft in Kiel das Todesermittlungsverfahren wieder aufgenommen.

Kiel/Aachen - Was ist am 3. September 2008 auf der „Gorch Fock“ passiert, wie kam ihre Tochter Jenny ums Leben? Seit über zehn Jahren lassen die Eltern Marlis und Uwe Böken nicht locker. Sie suchen nach Antworten und sehen Ungereimtheiten.

 

Mehr als zehn Jahre nach dem rätselhaften Tod der „Gorch Fock“-Kadettin Jenny Böken hat die Staatsanwaltschaft Kiel den Fall wieder aufgerollt. Das Todesermittlungsverfahren sei wieder aufgenommen worden, teilte die Behörde am Dienstag mit.

Nach den Aussagen einer Zeugin müssten einige Punkte überprüft werden. Die Angaben dieser Zeugin beruhten allerdings im Wesentlichen auf Hörensagen, hieß es. Sie sei im Jahr 2008 - damals noch vor einer Geschlechtsumwandlung - Soldat der Bundeswehr gewesen, habe aber weder zur Marine noch zur Besatzung der „Gorch Fock“ gehört.

Ungereimtheiten und Widersprüche

„Diese Entscheidung ist nach unserer Auffassung längst überfällig“, stellten die Eltern in einer Mitteilung fest. In den letzten zehn Jahren hätten sie immer wieder auf Ungereimtheiten und Widersprüche hingewiesen. Und ihre Hinweise auf andere Zeugen in dem Fall habe die Staatsanwaltschaft Kiel nicht aufgegriffen, sagte Uwe Böken der Deutschen Presse-Agentur. Er sei erst erleichtert, wenn er den Eindruck objektiver Ermittlungen habe.

Auch ihr Anwalt Dietz fragte: „Warum erst so spät“? Das Besondere sei für ihn nicht die Wiederaufnahme, sondern die Wiederaufnahme erst nach so vielen Jahren. Die Ermittlungen im Fall Böken waren 2009 eingestellt worden. Über eine anstehende Wiederaufnahme hatte vor wenigen Tagen bereits „Der Spiegel“ berichtet.

Während Ausbildungsfahrt über Bord gegangen

Die damals 18-Jährige war während einer Ausbildungsfahrt des Segelschulschiffs der Marine bei einer Wache über Bord gegangen. Die Todesumstände blieben bisher ungeklärt. Der Leichnam wurde elf Tage danach aus der Nordsee geborgen. Die Kieler Staatsanwaltschaft sprach von einem tragischen Unglück, Böken sei ertrunken.

Wenn sie tatsächlich ertrunken wäre, hätte man bei der Obduktion Wasser in der Lunge feststellen müssen, nannte Anwalt Dietz einen aus seiner Sicht ganz elementaren Widerspruch zum Obduktionsergebnis. Und warum trug die junge Frau nur noch einen Schnürstiefel, der über den Knöchel ging. Im Kampf gegen das Ertrinken würde niemand versuchen, die Schuhriemen zu lösen und den Schuh abzustreifen.

Bei einer halb entkleideten Wasserleiche ohne Wasser in der Lunge, ist es aus seiner Sicht schon sehr ungewöhnlich, Ermittlungen Jahre danach wieder aufzunehmen. Auslöser dafür ist die eidesstattliche Aussage eines Bundeswehrangehörigen, der im April dieses Jahres - nach einer Geschlechtsumwandlung - von der Kieler Staatsanwaltschaft als Zeugin vernommen wurde. Er hatte sich bei Dietz gemeldet.

Eltern sprechen von Teilerfolg

Vor der Geschlechtsumwandlung soll er Jenny per Zufall kennengelernt und sie auf eine Party vor dem Auslaufen der „Gorch Fock“ begleitet haben, sagte Dietz aus dem Inhalt der Aussage. Die im April vernommene Zeugin soll demnach erklärt haben, kurz nach dem Auffinden der Leiche hätten mehrere Männer, darunter Marineangehörige, sie in einer Kaserne besucht. Sie sollen angedeutet haben, dass die junge Frau erdrosselt worden sei.

Jennys Eltern sprachen nach der Wiederaufnahme von einem Teilerfolg. Sie würden das wiedereröffnete Verfahren „sehr akribisch begleiten“.