Gordon Raphael und seine Stuttgarter Supergroup verschieben am Donnerstagabend im Merlin musikalische Grenzen. Unterhaltsamer kann anspruchsvoller Pop nicht mehr werden - und der Strokes-Produzent hatte noch ein besonderes Lob übrig.

Digital Desk: Jan Georg Plavec (jgp)

Stuttgart - "Jetzt kommt der Teil, an dem du etwas Nettes über Stuttgart sagen musst", weist Daniel Benjamin seinen Bühnenpartner Gordon Raphael auf die Gepflogenheiten popmusikalischer Gastspiele hin. Das ist in mehrfacher Hinsicht witzig, weil man einem Branchenprofi wie dem Strokes-Produzenten Raphael so etwas natürlich nicht sagen muss - und weil die Band, die am Donnerstagabend im Merlin auf der Bühne steht, genau nicht dafür steht, sich irgendwie anzubiedern. Zum Dritten sollte es Stuttgart hinkriegen, sich auch ohne das Lob von weitgereisten US-Musikern selbstbewusst als Popstadt zu verstehen. [Ironie aus.]

 

Trotzdem darf man sich ganz ehrlich freuen, dass an diesem Abend das erste von bislang nur zwei angekündigten Konzerten von Gordon Raphael mit seiner Band Daniel Benjamin / Eleni Zafiriadou (alias Sea + Air), Kevin Kuhn (von Die Nerven) sowie dem vorab nicht angekündigten Christian Heerdt alias Käse. Der Ritter in Stuttgart stattfindet. Unterhaltsamer kann anspruchsvolle Popmusik nämlich nicht dargeboten werden. Im Interview vor dem Konzert hatte Gordon Raphael schon betont, dass alle anwesenden Musiker "gleichzeitig auch Comedians sind". Nun könnte man als regelmäßiger Konzertgänger im Raum Stuttgart Kevin Kuhns irrwitzige Mimik oder die ironischen Gesten von Sea + Air schon einmal gesehen haben. Dass aber der Bandleader selbst so ein unterhaltsamer Frontmann ist, der sich leichtfüßig über die Bühne bewegt, Songs singt und Witze über sein eigenes Equipment reißt, war vorab kaum zu erwarten - schließlich stellt sich Gordon Raphael an diesem Abend zum ersten Mal in Stuttgart vor: Hallo, i bims.

Weil sein (mit einer argentinischen Band eingespieltes) Soloalbum erst im September erscheint und ohnehin nur einen Teil des des Stuttgarter Konzerts umfasst, konnte man diesen Abend musikalisch nirgends vorempfinden. Die Neugierigen im zu etwa zwei Dritteln gefüllten Merlin hören die Songs also durchweg zum ersten Mal. Das ist per se schon reizvoll - dass da, man entschuldige das Wort, wirklich spielfreudige Menschen auf der Bühne stehen, macht den Abend endgültig zum popmusikalischen Degustationsmenü auf Sterneniveau.

Man könnte auch Progrock sagen

Die Band lässt sich zu keinem Zeitpunkt auf einen Stil festlegen, mehr noch: sie verschiebt musikalische Grenzen. Im Song "Angels on Pine Street" treffen The Streets auf Velvet Underground, der Song "Mannequins on Parade" (als Demo nachzuhören hier) mischt irre Synthiesounds mit noch irreren Taktwechseln und entpuppt sich später als verlorengegangener Pink-Floyd-Song. Zwischendurch darf Kevin Kuhn beispielsweise beweisen, dass er über einen knalligen Beat noch auf seinen Hi-Hats Funkpattern der Gitarre mitspielen kann, Eleni Zafiriadou lässt klanglich die Achtzigerjahre wiederauferstehen, Daniel Benjamin legt unter all das einen perfekten Bass. Und im letzten Song des knapp 45 MInuten langen Abends, "Never should've started", wiederholt sich kein Takt. Das Konzert rockt und swingt bis zur letzten Sekunde und plötztlich ist es vorbei. Keine Zugaben. Dankeschön.

Gordon Raphael hat dann übrigens doch etwas Nettes über Stuttgart gesagt, etwas sehr Nettes sogar. Das Merlin, so der US-Musiker, sei ein herrlich klingender Raum und er habe das Gefühl, dass in diesem Kulturzentrum neben einer herzlichen Betreuung der Musiker die musikalische Kreativität das oberste Ziel sei. Dieses Ziel ist am Donnerstagabend zu hundert Prozent erreicht worden.


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