Gottfried Gronmayer, den alle nur Gobi nennen, fährt seit 45 Jahren Vieh. Auf Achse mit dem 73-Jährigen und einem Jungbullen von Bad Waldsee bis an den Bodensee.

Reportage: Robin Szuttor (szu)

Bad Waldsee - Wer klappert so früh durch Kälte und Wind? Wer knattert so laut und einsam über raureifumsäumte Straßen durch das oberschwäbische Land? Es ist Gottfried Gronmayer, Jahrgang 1942, mit seinem Magirus Deutz, Baujahr 1964.

 

Die Sitzbank seines Lastwagens ist mit Kissen ausgelegt wie ein Wohnzimmersofa. Die Heizung ging noch nie richtig. Gronmayer, alle nennen ihn hier nur Gobi, hat deshalb selber eine gebaut, die keine Kompromisse kennt und das Führerhaus in kurzer Zeit zur Sauna verwandelt. Er dreht das Fenster runter, was bei den Minusgraden draußen das Führerhaus in kurzer Zeit zur Kühlkammer verwandelt. Erst mal eine Roth-Händle.

Wenn Gobi die Gänge einlegt, ist das ein Schauspiel für sich. Dabei geht seine Faust am Knauf auf lange Reisen im scheinbar unbegrenzten Raum der Schaltwege. Am Ende fühlt er dann leicht vor, ob das Getriebe willig ist, drückt gefühlvoll durch, und meistens passt es. Nur selten folgt ein erbärmliches Krächzen, das wie die Erste Geige aus dem großen Geräuschkonzert des Fahrzeugs hervortritt. Die schweren Kippschalter am Armaturenbrett erinnern an frühe Hammondorgeln. Das Lenkrad ist so groß wie das Steuerrad eines Piratenschiffs. Auf der Ablage: ein Meterstab, ein Stück Viehkreide und eine Lesebrille im Horndesign der siebziger Jahre, die auch von Dior oder Cardin sein könnte.

Der alte Magirus braucht keinen Abgastest, keine Gurte. Er hat den vierten Motor, ein 130-PS-Traktoraggregat mit fünf Litern Hubraum, vom Schrotthändler gekauft, 1984 muss das gewesen sein: „Der braucht keinen Tropfen Öl.“ Die Karosse des Magirus Deutz 110 D7 hat jetzt dreieinhalb Millionen Kilometer auf dem Buckel. Er ist der einzige, der noch auf deutschen Straßen unterwegs ist. Die Auskunft gab ihm das Kraftfahrtamt ins Flensburg, „ich hab da spaßhalber mal angerufen“. Gobi transportiert Vieh. Früher täglich. Heute noch ein, zwei Mal die Woche, wenn die Rinderunion gerade einen passenden Auftrag für das Ein-Mann-Unternehmen hat.

Seine junge Freundin lernte er an der Tankstelle kennen

Gobi trägt das ungestüme Haar nach hinten gekämmt, die Koteletten lang und wild, schwere Arbeitsstiefel, einen blauen Overall aus festem, störrischem Stoff, darunter Hemd und Pullover. Die Wollmütze hat ihm seine Freundin gestrickt. Sie ist 22. Er lernte sie an einer Tankstelle kennen, das war an einem Karfreitagmorgen. „Da gab dann ein Wort das andere“, sagt er. Sie raucht noch mehr als er. Sie verstehen sich sehr gut.

Er kommt nicht mehr so geschmeidig daher. „Links das Raucherbein, rechts das Hinkebein“, sagt er immer. An dem einen sind die Roth-Händle schuld. An dem anderen seine gebrochene Hüfte. Das ist ihm beim Verladen einer Kuh passiert. Sie lupfte den Bauer hoch und warf ihn auf Gobi, dann verlor sie selber das Gleichgewicht und fiel auch noch auf ihn drauf. Er dachte schon, er muss in Rente. Aber er rappelte sich wieder hoch.

Auf dem Josenhof bei den Denzels dampft die frische Miste auf der Schaufel des Frontladers. Der Jungbauer im Führerhaus trägt Engelbert-Strauss-Arbeitskleidung, gegen den imposanten Schlepper ist Gobis Magirus ein Zwerg. Die Beifahrertür öffnet man am besten von außen, „die spannt a bissle“. Gobi begrüßt den Hofhund. Eines der Enkele kickt einen schlaffen Ball über den Hof, der Altbauer wischt dem Buben mit seinem Stofftaschentuch die Nase sauber. Es gibt heißen Kaffee, Gobi sitzt auf einer Bank, lässt sich von der Morgensonne bescheinen und raucht eine. Man schwätzt ein bisschen. Irgendwann geht es dann los.

Auf Tour mit einem Braunvieh ohne Namen

Rückwärts an den Stall fahren, Ladeklappe runterlassen, Seitengatter ranziehen. Auf dem Boden des Viehtransporters hat Gobi eine Kraftfuttermischung ausgestreut. Das hilft, um Bullen anzulocken. „Wenn da vorher eine Kuh drin war, die grad rindert, stürmen die auch rein wie eine Rakete.“ Beim frisch ausgewaschenen Wagen gucken sie nur und bleiben stur stehen.

Die beiden Bauern assistieren beim Verladen, die Frauen stehen abseits, das kleinste Enkele robbt im Ganzkörperanzug über den Stallboden. Gobi bugsiert den Bullen in den Laster, ganz ruhig und sacht, bindet ihn fest, schließt das Gatter von innen, steigt drüber wie ein Cowboy. Der Bulle ist ein Braunvieh ohne Namen. Er wurde ab Stall über die Rinderunion verkauft. Er ist 17 Monate alt, seit acht Wochen bei den Kühen und bespringt sie fleißig, so wie das sein soll. Er wiegt gut eine halbe Tonne und ist ein wahrer Gigant gegen Gobi, der ihn jetzt von Bad Waldsee nach Oberhofen chauffiert.

Vor sieben Jahren hielt die Polizei seinen Magirus an und dachte schon, einen großen Fang gemacht zu haben. Doch trotz seines ramponierten Erscheinungsbilds: Der Laster war absolut verkehrssicher. Von wegen stilllegen! Zwei, drei Keilriemen hat Gobi immer an Bord, man weiß ja nie. Im Fußraum liegt ein Berg von Kälberstricken. Der blaugraue Himmel im Führerhaus hing immer halb runter, da riss ihn Gobi schließlich ganz raus und verkleidete den Innenraum komplett mit einem Bodenbelag aus Linoleum. Der macht was her.

Sein Hund riss gerne Rehe

Neben dem Gaspedal, das er mit der Hand ganz zurückzieht, wenn der Motor ausgehen soll, lugt die nackte Lenksäule hervor. Der Zündschlüssel ist der eines Traktors, notfalls würde man den Lastwagen auch mit einem Nagel zum Laufen bringen. Dass am Schlüsselanhänger ein Namensschild mit „Vera“ schaukelt, ist Zufall. Er brauchte damals einen neuen, und da kaufte er sich halt einen mit dem Namen dran. Die Hundemarke, die daran baumelt, gehörte zu Purzel, seinem Bernhardiner, der so gern auf Rehjagd ging. Vier Stück brachte er im Lauf seines Lebens heim. Immer, wenn er mit blutverschmierter Schnauze vor der Haustür stand, hatte Purzel wieder eins gerissen. „Der hat das ganz raffiniert angestellt“, schwärmt Gobi noch heute.

Mit Tempo 40 geht es durch weite Wiesenlandschaft. Navi braucht Gobi keins, er kennt alle Wege und alle Bauernhöfe am Wegesrand. „Viele waren früher voller Leben, heute ist alles totenstill.“ Das stete Schütteln und Dröhnen macht einen leicht schläfrig. Ab und zu wirft Gobi „ja, so ist das Leben“ in den Raum.

Seit 45 Jahren fährt er Vieh. Mal Gänse, mal Schweine, meistens Rinder. Wenn es kurvig wird, macht er langsam. Vor Ampeln geht er früh vom Gas. Der Bremsweg verlängert sich enorm, wenn hinten so ein Koloss rumhampelt. Der schaukelt einen manchmal fast auf die andere Fahrbahn rüber. In Polen und Russland war er schon. In Paris holte er mal einen Bullen. Wieder in der Heimat, stellte sich heraus: Es war der falsche. Also die ganze Strecke zurück und die Tiere ausgetauscht.

35 Kilometer in einer Stunde

Oberhofen unweit vom Bodensee. Nach einer Stunde sind die 35 Kilometer geschafft. Bauer Willburger hat den Josenhof-Jungbullen für die Aufzucht gekauft, seine Braunviehkühe glotzen schon neugierig: „Jetzt ihr Damen, wegwegweg, hopphopp, kommkommkomm.“ Die Damen werden nun möglichst bald mit dem Bullen in die Box gesperrt. Nach acht Wochen folgt die Ultraschalluntersuchung. Wenn sie dann hochträchtig sind, verkauft der Bauer sie nach Spanien, Polen oder in die Türkei. Früher auch viel nach Russland.

Gobi macht nicht mehr alle Aufträge. In Schlachthöfen liefert er keine Tiere mehr ab. „Da geht alles nur zackzack.“ Das will er nicht mehr sehen. Zu den Deppen geht er auch nicht mehr. „Es gibt Bauern, das sind einfach Deppen. Wie sie mit den Viechern umgehen, so roh. Und das färbt auf die Tiere ab, die sind ganz nervös.“ Das hat er zu oft miterlebt in den vielen Jahren. Das muss er sich nicht mehr antun.

Bullen seien manchmal wie Haremswächter, wenn er eine Kuh abholt. „Die können sehr gefährlich werden, die beißen sogar in Eisenstangen“, sagt Gobi. „Man muss die richtige Tonart finden, so dass sie einen verstehen, sonst hat das alles keinen Wert.“ Sein Umgang mit den Viechern hat, ohne viel Worte, etwas sehr Respektvolles. Einmal ist er beim Verladen ausgerutscht und unter vier äußerst aufgeregten Rindern gelandet. „Mach’ jetzt nichts“, rief er sofort dem Bauern zu. „Eine falsche Bewegung, und die hätten mich totgetrampelt.“ Gobi blieb ruhig und zog sich vorsichtig an der Seitenwand hoch.

Drei Jahre war er in der Fremdenlegion

Seinen Magirus hat er in den Trikolore-Farben lackiert. Eine Referenz an die Fremdenlegion. Ein markanter Abschnitt seines Lebens, das in einfachen Verhältnissen auf einem Acht-Hektar-Hof bei Bad Waldsee den Anfang nahm. Als junger Mann war er dann von heute auf morgen fort. „Es war abenteuerlich und scheiße zugleich.“ Drei Jahre Partisanenkrieg in Algerien. Als es hieß, er werde nach Indochina versetzt, flüchtete er. „Da wäre ich hundert Prozent draufgegangen.“ So erschien ihm die Gefahr, als Deserteur erschossen zu werden, nicht zu groß. Über Spanien kam er heim, übernahm den Hof, schaffte nebenbei als Spritzlackierer, später in der Fabrik. 1971 machte er sich selbstständig mit einem 230er Mercedes und einem Pferdeanhänger. Dann kaufte er den Magirus von der ZF, baute ihn vom Pritschen- zum Viehwagen um.

Nach dem Tod der Eltern gab Gobi den Hof auf und ging in Miete. Seine schwierigste Entscheidung überhaupt. Er wird heute noch sehr still, wenn er einen Abstecher macht hinauf an den Waldrand zu dem verwaisten Anwesen, das täglich mehr verfällt. Zum Glück fand er ein Zimmer und eine Garage in Blickweite zum elterlichen Hof. Die Schiefertafel aus der Schulzeit, der Porzellanhase seiner Mutter, die Wagnerbüste, die Weltkriegsurkunde vom Vater und hundert andere Sächelchen: Er passt gut auf die Dinge auf, die ihm geblieben sind. Ab und zu holt er die Fotos von seinen DDR-Touren aus einer Plastiktüte: Gleich nach der Wende räumte er ganze LPGs leer. Alles Schlachtvieh. Woche für Woche war er drüben.

Gobi wäre gern Anwalt geworden oder Automechaniker

Er wäre gern Anwalt geworden. Oder Automechaniker. Doch sein Vater sagte nein. Jetzt hat er ja seine Garage mit Werkstatt. Zu schweißen gibt es immer was. Er kann Saures, Süßes, Scharfes essen, sein Magen macht alles mit. Bloß wenn er abends ein Bier zu viel trinkt, ist er morgens seelisch angeschlagen. Er sei empfindlich auf dem Gebiet, sagt er. Schon immer. Manchmal ist er einsam. Er hat noch nie länger mit einer Frau zusammengelebt. „Ein paar Mal hab ich es probiert, es ist nie gelungen.“ Zu seiner jungen Freundin sagt er manchmal: „Mit mir darfst du nicht rechnen, ich hab’s hinter mir.“ Neulich war er mit ihr in der Disco. Aber um zwei ist er heimgegangen. Bei dem lauten Gejaule.

Der Magirus steht in der Garage. Gobi sitzt in seinem Zimmer. Feierabend. Es waren besondere Stunden heute. Nicht allein auf Achse sein, von sich erzählen können, alte Erinnerungen wachrufen. Weil es so besonders war, wird er dem Bauern Willburger keine Rechnung für den Bullentransport schreiben, die Tour geht „aufs Haus“, wie er sagt. Das ist Gobis Art, diesen Tag zu würdigen: Den verbucht er nicht unter Arbeit. Nachher wird er sich vielleicht noch eine Kartoffelsuppe warm machen, vorher noch eine rauchen und ein Bier trinken. Dann kann der Abend kommen.