Gotthilf Fischer feiert am Sonntag seinen runden Geburtstag. Deutschlands berühmtester Chorleiter veröffentlicht dazu eine neue CD, Chorproben hält er noch jeden Abend. Und in den vergangenen Wochen jagte ein Interview das nächste.

Manteldesk: Thomas Schwarz (hsw)

Weinstadt - Auf dem Tisch stapeln sich die Fotos. Gotthilf Fischer, seine Managerin Esther Müller und drei seiner Chorsänger – Ralf Kohlruss, Ingeborg und Hans-Martin Hassler aus Sindelfingen – sortieren und kommentieren immer wieder einzelne Aufnahmen aus der Vergangenheit der Fischerchöre. Ein Scheinwerfer erhellt die Szenerie, ein Kameramann filmt die Runde, die sich an dem Samstagnachmittag zu einer Art Kaffeekränzchen getroffen hat – Kaffee und Kuchen gibt es später tatsächlich.

 

Anlass für das Treffen ist der anstehende 90. Geburtstag des bekanntesten Chorleiters Deutschlands am 11. Februar. Das ARD-Boulevardmagazin Brisant dreht dazu einen Beitrag, der an diesem Samstag um 17.10 Uhr gesendet wird. „In den letzten Wochen war ganz schön viel los“, sagt Esther Müller, die deshalb dafür sorgt, dass es Fischer nicht zu viel wird. Ein Interview jagt das andere, Fernsehen, Radio, Zeitungen – alle wollen einen Termin.

Von Helene ist Gotthilf Fischer begeistert

Ein bisschen ruhiger ist er geworden, der Umtriebige. Dennoch genießt Fischer sichtlich die Aufmerksamkeit, die ihm immer noch geschenkt wird. „Wo ist denn dieses Foto gemacht worden?“, wird er von Brisant-Reporter Dankwart Bette gefragt. Eine Preisverleihung ist zu sehen, neben Gotthilf Fischer strahlt Helene Fischer, die mittlerweile ganze Stadien füllt – wie er früher. „Oje, das weiß ich nimmer. Ich hab ja so viele Preise bekommen“, sagt Fischer grübelnd. Glücklicherweise gibt es ein Buch über ihn, das besagte Foto ist drin. Die „Krone der Volksmusik“ wurde ihm demnach im Jahr 2008 überreicht. Helene Fischer war damals auch in diesem Genre unterwegs, allerdings war sie vor zehn Jahren noch nicht gar so bekannt wie heute.

Erste Tonaufnahme im Wohnzimmer

Gotthilf Fischer startete seine Karriere vor 70 Jahren. Die ersten Tonaufnahmen seiner Chöre spielte der 20-Jährige damals in Stuttgart ein. Da die Stadt noch schwer von den Bombenangriffen im Sommer 1944 gezeichnet war, musste dazu vieles improvisiert werden. In seiner Wohnung im Stuttgarter Westen wurden Mikrofone aufgebaut, dazu mussten Stromleitungen selbst verlegt werden. Das Ergebnis konnte sich hören lassen. Das russische Volkslied „Suliko“ mit Fischer als Solist zählt dazu. Die Aufnahme von 1946 ist auf der CD zu hören, die zum 90. Geburtstag erscheint.

„Man muss mehr sein als ein Chorleiter, um Erfolg zu haben“, hat Fischer oft gesagt. Originelle Ideen sind nötig, Chuzpe und Hartnäckigkeit, wenn man im Showbusiness bestehen will. Deshalb ist er offensiv auf Schallplattenverlage, Radio- und Fernsehsender zugegangen – und hatte damit durchschlagenden Erfolg.

Fischers Fans streamen heute seine Aufnahmen

Allein die Größe der Fischer-Chöre war einzigartig, mehr als 1500 Sängerinnen und Sänger traten bei Großveranstaltungen gemeinsam auf. „Wir waren zum ersten Mal 1974 dabei, beim Finale der Fußball-Weltmeisterschaft“, sagt Hans-Martin Hassler, der mit seiner Frau und Ralf Kohlruss kurz zuvor in einen der Chöre eingetreten war. „Das war schon ein Erlebnis in München. ,Das große Spiel’ mit Freddy Quinn haben wir gesungen und dann hat unsere Mannschaft das Finale gewonnen.“

Die Live-Aufnahme gab es danach als Langspielplatte, das Cover zeigt den Chor, der das Münchener Olympiastadion ausfüllt. Wie die meisten Schallplatten wurde diese von Hans Bertram für Polidor produziert: Weihnachtslieder, Volkslieder, russische Lieder, Disco-Melodien und der Chor als Background des Schlager-Hits 1971, „Schön ist es auf der Welt zu sein“, von Roy Black und der damals zehnjährigen Anita Hegerland.

Bis heute sind die Fischerchöre gefragt. Statt Schallplatten und CDs zu kaufen, streamen seine Fans heute im Internet. Seit Jahren der Hit unter den Titeln der Fischerchöre, insbesondere in Russland und Asien, ist „Freude schöner Götterfunken“, also Beethovens „Ode an die Freude“.

„Wir singen für Millionen“

„Sing mit den Fischer-Chören“ oder kurz „Sing mit Fischer“ wurde zum geflügelten Wort. Seine Umtriebigkeit forderte Spötter geradezu heraus. Mit „Wir singen für Millionen, für ihn wird’s sich schon lohnen“ kommentierte Wolle Kriwanek 1981 die Allgegenwärtigkeit des gebürtigen Deizisauers und seiner Chöre. Kurt Felix nahm ihn in „Verstehen Sie Spaß?“ auf die Schippe, indem er Fischer ein Double der Queen zur Chorprobe in die Schleyer-Halle schickte. Diese schenkte dem verdatterten Dirigenten vor seinem staunenden Chor eine Tafel Schokolade.

Ein Schwabe im Techno-Taumel

Gekratzt hat die Spötterei Gotthilf Fischer nicht, zumindest hat er sich es nicht anmerken lassen. „Mich haben viele ausgelacht. Und ich stehe immer noch auf der Bühne“, sagt er dazu. Und weitergemacht. Als Show-Profi hat der Musiker und Entertainer praktisch rund um die Uhr Marketing in eigener Sache betrieben. Wer zum ersten Mal erlebt hat, wie er in der Öffentlichkeit wildfremde Menschen so ganz nebenbei überschwänglich begrüßte, war mindestens so sprachlos wie diese.

Dass er für Ausflüge in ganz andere Musikgefilde bereit war, hat nicht jeder goutiert. So moderierte er 2008 in Leinfelden-Echterdingen den Gitarren-Weltrekord, bei dem 1802 Musiker „Smoke on the Water“ spielten, er ist mit der Punkband Normahl in einem Video als schimpfender, vom Probenlärm geplagter Nachbar aufgetreten und er irritierte die Nation im Jahr 2000 mit seinem Besuch der Loveparade in Berlin. „Ein Schwabe im Techno-Taumel“ titelte der SWR, als Fischer zusammen mit etlichen amüsierten Ravern die Techno-Version von „Hoch auf dem gelben Wagen“ in die Mikrofone der TV-Sender geschmettert hatte.

Schlechte Laune zeigt er nie

Zu Chorproben bricht Fischer immer noch täglich auf. Von Montag bis Freitag ist er in verschiedenen Landkreisen auf Achse. „Ich bin Tag und Nacht unterwegs. Das ist das beste Mittel gegen Krankheiten.“ Seine verbliebenen Sängerinnen und Sänger danken es ihm. „Er macht das klasse. Ich hab in all den Jahren noch nie erlebt, dass er schlechte Laune gehabt hätte“, sagt Ingeborg Hassler.