In Gerlingen legten Archäologen ein Grab aus der Zeit von 5500 bis 5200 vor Christus frei. Der Fund ist nur ein Teil einer Reihe von Objekten und Siedlungsteilen aus vorchristlicher Zeit.

Gerlingen - Der Mann ist einst seitlich liegend bestattet worden. Die Beine sind fast bis zum Brustkorb hochgezogen, die Arme sind angewinkelt, die Hände übereinander gelegt. Die kleinen Knochen von Füßen und Händen sind noch vorhanden, die Rippen sind zerdrückt, das Becken fehlt komplett. Der Schädel ist mehrfach gebrochen – was aber nicht die Todesursache war, sondern erst im Lauf der Zeit im Boden geschah.

 

Die Archäologen sprechen von einer Hockerbestattung. Der Fund stamme aus der Zeit von 5500 bis 5200 vor Christus. Wie groß der wohl 40 Jahre alte Mann war, könne erst nach der Untersuchung im Labor gesagt werden, sagt Jonathan Scheschkewitz, der für die Grabung in Gerlingen (Kreis Ludwigsburg) verantwortlich ist. Man wolle das Grab rasch sichern, um illegalen Besuchern zuvorzukommen – Grabräuberei habe nicht nur in Vorzeiten eine Rolle gespielt.

Weitere Funde schließen den Kreis

Auf dem Gerlinger Träubleareal untersucht das Landesdenkmalamt seit Mai systematisch eine Fläche, auf der vom nächsten Jahr an ein Wohn- und Geschäftshaus gebaut werden soll. Bis Mitte April 2013 haben die Archäologen Zeit, das ist mit dem Investor, den Grundeigentümern und der Stadt so vereinbart. Vor einigen Wochen sind die ersten Funde präsentiert worden, darunter Spuren einer Siedlung und von sogenannten Grubenhäusern. Auch ein Kindergrab aus dem sechsten oder siebten Jahrhundert nach Christus war darunter. Der aktuelle Fund sei „im Zusammenspiel von Bestattung und Siedlung wichtig“, Gräber aus dieser Zeit seien „nicht so häufig“, sagt Scheschkewitz.

Aufgrund weiterer Funde, an denen zurzeit auf der Grabungsstelle noch gearbeitet wird, sei „der Lückenschluss gelungen“, meint der Wissenschaftler. Das heißt: auf diesem Gelände haben Menschen bereits in vorchristlicher Zeit gelebt. Hinweise auf die Besiedelung des Geländes der heutigen Stadt Gerlingen gab es schon früher, zuletzt vor zwei Jahren in der Bachstraße. Die Überreste, die dort gefunden wurden, sind etwa 3000 Jahre jünger als die aktuellen. Neben den sterblichen Überresten des Steinzeitmenschen sind für die Wissenschaftler auch die Dinge interessant, die seine Hinterbliebenen ihm ins Jenseits mitgaben: einen geschliffenen Keil aus blauem Schieferstein von etwa 20 Zentimeter Länge und einen kleinen bearbeiteten Stein, der wohl als Gewandverschluss diente. Aus diesen Beigaben schließen die Forscher, dass der Tote ein Mann war. „Frauen hat man andere Dinge mitgegeben“, sagt Scheschkewitz. Der Keil sei recht wertvoll gewesen, „da hat einer viele Tage dran gearbeitet“. Das Werkzeug sei an einen Stock geklebt und gebunden gewesen, sein Besitzer habe damit Holz bearbeitet – oder es bei Bedarf als Waffe benutzt.

Eine Studentin feiert Erfolge

Der Fund von Gerlingen hat einer jungen Wissenschaftlerin praktische Erfahrungen beschert: Die 26-jährige Teresa Neuner wurde von dem Grabungsteam um den Techniker Thomas Freyer und den wissenschaftlichen Leiter Jonathan Scheschkewitz mit dem Freilegen des Grabes betraut. Sie studiere noch Ur- und Frühgeschichte sowie Paläoanthropologie, erzählt sie – und da sei eine solche Aufgabe sehr wertvoll. Am Montag vor einer Woche hatte sie damit begonnen, ein dunkel verfärbtes Geviert auf dem Gelände zu untersuchen. Sie entdeckte als Erstes den Steinkeil. Nicht nur die menschlichen Knochen hat sie freigelegt, sondern auch die Beigaben. Alles wurde von ihr sorgfältig dokumentiert. Mittlerweile wurde das Grab „geborgen“, wie die Archäologen sagen – das heißt ausgehoben. Der Öffentlichkeit werde man die Funde nach Abschluss der Grabung präsentieren, sagt Scheschkewitz. Bereits am Tag des offenen Denkmals, am Sonntag, 9. September, sind erste Einblicke möglich. Am Nachmittag sind zwei Führungen auf dem Träubleareal geplant.