Karl-Heinz Marciniak würde sich gern gegen das Coronavirus schützen – aber das Verfahren ist ihm viel zu kompliziert. Der 90 Jahre alte Grafenauer kritisiert die Terminvergabe und dass das Kreisimpfzentrum in Sindelfingen nicht öffnet.

Böblingen: Kathrin Haasis (kat)

Grafenau - Karl-Heinz Marciniak hat sich wirklich bemüht, aber bislang erfolglos. Der Senior aus Grafenau will sich „auf jeden Fall“ gegen eine Infektion mit dem Coronavirus impfen lassen. Schließlich ist er schon 90 Jahre alt und leidet an Leukämie. „Wie das halt in dem Alter so ist“, sagt er trocken. Mehrmals wählte er schon die zentrale Rufnummer für die Terminvergabe und versuchte sein Glück auch im Internet. Nun hat sich noch eine weitere Hürde aufgetan: Das Kreisimpfzentrum in Sindelfingen bleibt bis auf Weiteres geschlossen. Nach Stuttgart und Tübingen auszuweichen ist Karl-Heinz Marciniak schlichtweg zu weit. Die Empfehlung des Landratsamtes hält er für „eine Unverschämtheit“ – und steht mit dieser Meinung sicher nicht alleine da.

 

Zentrale Impfzentren unerreichbar

Am Mittwoch hatte der Landrat Roland Bernhard verkündet, dass in der Sindelfinger Messe vorerst keine Impfungen stattfinden. Das Mittel gegen eine Infektion mit Covid-19 ist Mangelware. Die vorhandenen Impfdosen werden von mobilen Teams direkt an Bewohner und Mitarbeiter von Pflegeheimen verabreicht. „Eine positive Botschaft gibt es aber doch“, erklärte der Landrat: Der Kreis Böblingen liege sehr günstig, was die Erreichbarkeit der Impfzentren in Tübingen und Stuttgart angehe. „Wer so einen Vorschlag macht, kennt keine alten Menschen“, findet allerdings Karl-Heinz Marciniak. Der 90-Jährige fährt zwar noch Auto, etwa zum Einkaufen oder zum Arzt, aber sicher nicht so weit und schon gar nicht in Großstädten. Die öffentlichen Verkehrsmittel sind keine Option, weil er nicht mehr gut zu Fuß ist, eine Taxifahrt wäre teuer.

Abgesehen davon fehlt dem Senior eine entscheidende Sache: der Termin für die Impfung. „Jetzt sollen wir plötzlich mit dem Computer umgehen können, obwohl nicht einmal die Schulen die Technik im Griff haben“, scherzt er. Als mühsam empfindet er auch das ständige Anrufen bei der Terminvergabenummer. Ständig hängt er in Warteschleifen. Karl-Heinz Marciniak wünscht sich, dass sein Name registriert wird und er Bescheid bekommt, wann er an der Reihe ist. Von seinen vier Kindern wohnt keines in der Nähe, sie will er nicht dafür in Anspruch nehmen. Von der Impfung verspricht sich der Witwer mehr Sicherheit und Bewegungsfreiheit. „Ich muss mich wegen meinen Erkrankungen sehr vorsehen“, sagt er über mögliche Kontakte mit Nachbarn.

Helfer sind erwünscht für die Senioren

Dass das Prozedere rund um die Terminvergabe kein einfaches ist, ist der Kreisverwaltung bewusst – gerade für die Personengruppe der über 80-Jährigen, die als Erstes geimpft wird. Die Vergabe wird vom Land geregelt. Weil dafür persönliche Daten erforderlich sind, kann die Aufgabe nicht von Kommunen übernommen werden, erklärt Simone Hotz, die Landratsamtssprecherin. „Die betreffenden Personen müssen, so aufwendig das ist, ihre jeweiligen Daten angeben und deshalb jeweils einen individuellen Termin machen.“ Sammeltermine für die Bewohner einer Gemeinde seien deshalb nicht möglich. Genauso wenig seien Sammeltransporte zum Impfzentrum empfehlenswert wegen der Ansteckungsgefahr.

„Wir würden es begrüßen, wenn sich innerhalb der Kommunen Helfer finden, die älteren Menschen bei der Anmeldung zur Hand gehen würden“, sagt Simone Hotz – wie die bereits bestehenden Einkaufshilfen. Krankenkassen können bei der Anmeldung auch nicht aktiv werden. „Uns erreichen derzeit viele Fragen von Versicherten zum Thema Corona-Impfung“, berichtet Elisabeth Schönfeld, die Sprecherin der AOK Stuttgart-Böblingen. Für medizinische Fragen gibt es eine Hotline, die Kundenberater vermitteln Ansprechpartner, erklärt sie. Aber um den Termin muss sich jeder selbst bemühen. Die Kosten für die Fahrt zum Impfzentrum übernehmen die gesetzlichen Krankenkassen nur für Menschen mit schweren Behinderungen oder Pflegebedürftige.

Das Kreisimpfzentrum könnte laut Simone Hotz nach derzeitigem Stand immerhin dann öffnen, wenn die Zweitimpfungen beginnen und entsprechende Dosen dafür geliefert werden. Dies könnte ungefähr vom 12. Februar an der Fall sein. Karl-Heinz Marciniak hat das Vorhaben Impfung vorerst aufgegeben und wartet jetzt die Entwicklungen ab. Dass Senioren dafür durch ganz Baden-Württemberg fahren, könne nicht sinnvoll sein. „Was für ein Theater“, findet der Grafenauer.