Peter Schreiber ist geübt. Der selbst ernannte Stadtstreicher rückt schließlich regelmäßig mit zwei weiteren Mitstreitern illegalen Malereien mit Pinsel und Farbe zu Leibe – alles ehrenamtlich. Damit sparen sie den Kommunen Zeit und Geld.

Sachsenheim - Es ist kühl und feucht an diesem Vormittag. Das Grau in Grau des Wintermorgens trägt nicht gerade dazu bei, die Unterführung am Sachsenheimer Bahnhof freundlich erscheinen zu lassen. Aber Peter Schreiber will dazu beitragen. Deshalb steht er im Blaumann in dem Tunnel, tunkt immer wieder seine Malerrolle in einen Farbeimer und überstreicht ein knallbuntes Graffito mit einer dicken Schicht Hellgrau.

 

Peter Schreiber ist schnell. Geübt versenkt er immer wieder die Rolle in der Farbe und rollt sie über die Wand, tunkt sie ein und rollt sie ab, tunkt und rollt. Nach einer knappen halben Stunde ist schon kaum mehr etwas von dem Clownsgesicht zu sehen, das zuvor die Passanten in der Unterführung angrinste. Kein Wunder: Peter Schreiber macht das nicht zum ersten Mal. Im Gegenteil. Für ihn ist das Routine, seit sich er und seine beiden Mitstreiter Maik Biedermann und Wolfgang Sauerzapf vor anderthalb Jahren kurzerhand zu Stadtstreichern ernannt haben.

Ein Eldorado für selbst ernannte Wandkünstler

Als solche haben sich die Drei offiziell den sauberen Wänden verschrieben. Damit haben sie sich allerdings einiges vorgenommen. Denn als sie ihre „Initiative Saubere Stadt“ im Sommer 2012 gründeten, war Sachsenheim laut Peter Schreiber geradezu ein Eldorado für selbst ernannte Wandkünstler. Weil die Stadt nichts dagegen unternommen habe, „haben die Sprayer gelernt, dass ihre Werke hier jahrelang zu sehen sind“, erklärt Schreiber. Und genau das sei das Ziel der heimlichen Maler. Nun, da sie nicht nur fast 200 Quadratmeter Wände und Pfeiler am Bahnhof in Großsachsenheim übermalt, sondern unter anderem auch die Stadtmauer, die Brücken über die Umgehungsstraße, die Sonnenberghalle in Ochsenbach und das ehemalige Waaghäuschen in der Bahnhofstraße gesäubert hätten, trauten sich kaum noch Sprayer in die Stadt. „Für sie ist es nicht interessant, wenn ihr Erfolg nur so kurz währt“, erklärt Schreiber.

Ihn freut das, er verbucht das als Erfolg. Der kann offenbar auch süchtig machen: Wenn der 70-Jährige unterwegs ist, muss er sich regelrecht zusammenreißen. Denn sobald er irgendwo eine Schmiererei sieht, juckt es ihn in den Fingern. Am liebsten würde er dann sofort seinen Farbeimer aus dem Auto holen und die unerwünschte Malerei übertünchen. „Das ist schon fast eine Krankheit“, sagt Schreiber mit einem Grinsen. In Sachsenheim schreitet er zwar oft gleich zur Tat – aber anderswo hält er sich zurück. Dort will er sich nicht einmischen.

Das Vorbild aus der Nachbarkommune

Angestachelt wurde Schreiber von Karlheinz Krell. Er hat bereits 1998 den Verein „Saubere Stadt“ in Bietigheim-Bissingen gegründet. Seither ist er zusammen mit dem Malermeister Helmut Ulmer und anderen Mitstreitern auf der Jagd nach Schmierereien in der Stadt, um diese zu entfernen. Inzwischen hat Krells Verein 42 Mitglieder. Die meisten von ihnen spenden regelmäßig Geld für Farbe und Werkzeuge, viele melden auch, wenn ihnen Verunreinigungen auffallen, zu denen unter anderem auch Aufkleber an Laternenpfählen oder Verkehrszeichen gehören.

Aber es gibt auch einen Späher, wie Krell ihn nennt. Dieser ist immer wieder mit dem Fahrrad in der Stadt unterwegs, erstellt Listen mit unerwünschten Kunstwerken, die es aus seiner Sicht zu entfernen gilt, und zeichnet die entsprechenden Orte in einer Karte ein. Krell und Ulmer nutzen die Informationen, um die Punkte mit einem eigens von den Stadtwerken zur Verfügung gestellten Wagen anzufahren und die Verunreinigungen zu entfernen. Man arbeite nach der sogenannten „Broken-window-Methode“, erzählt Karlheinz Krell. Diese habe er sich von Polizisten aus New York abgeschaut: Es gelte, Schmierereien so schnell wie möglich zu entfernen, um andere nicht zu weiteren Taten zu motivieren. Das ist aufwendig: Mehr als 450 Stunden waren Krell und Co. 2013 im Einsatz, seit der Vereinsgründung dürften es 11 000 Stunden sein, glaubt Krell.

Hoffen auf Nachahmer

Dennoch hofft er, dass sein Beispiel weiter Schule macht. Denn auch andere Kommunen im Kreis könnten aus seiner Sicht ehrenamtliche Stadtstreicher gebrauchen. Tatsächlich sind für viele die illegalen Malereien eine Plage und deren Entfernung eine Last – vor allem eine finanzielle. Die Stadt Ludwigsburg beispielsweise zahlt jährlich rund 140 000 Euro, um Wände, Straßenschilder und Laternenmasten von Graffiti oder Aufklebern zu befreien. Bei den Technischen Diensten der Stadt, die sich um die Säuberung kümmern, wurde 2012 eigens eine zusätzliche Stelle geschaffen und wurden spezielle Reinigungsgeräte gekauft, um den unerwünschten Werken möglichst effektiv zu Leibe rücken zu können. „Unser Ziel ist es, eine Schmiererei 24 Stunden nach ihrer Meldung entfernt zu haben“, sagt Hans-Jürgen Schroff, Leiter der Technischen Dienste. „Damit wird den Sprayern die Präsentationsform und damit die Lust genommen“, so Schroff.

Und die Stadt geht noch weiter: Für Hinweise, die zur Ermittlung von Sprayern führen, hat Ludwigsburg eine Belohnung von 1000 Euro ausgesetzt. Außerdem versucht sie vorzubeugen. So verzierten zwei ehemalige Porzellanmaler im Jahr 2011 eine rund 150 Meter lange Mauer an der Talallee und der Kurfürstenstraße mit barocken Motiven, ebenso wurde im September 2013 die Fußgängerunterführung in der Solitudestraße gestaltet. Laut Stadtverwaltung geht die Rechnung auf: Die Sprayer akzeptierten die Malereien und übermalten sie nicht, und die Fußgänger fühlten sich in der freundlicheren Umgebung sicherer. So ist es offenbar auch in Remseck, wo Sprayer seit Jahren mit der Stadt zusammenarbeiten und öffentliche Flächen künstlerisch gestalten – unter anderem die Unterführung bei der U-14-Haltestelle.

Größere Städte sind eher betroffen als kleine Gemeinden

Auch in anderen Kommunen sind Graffiti ein Problem. Tendenziell sind kleinere Gemeinden auf dem Land weniger betroffen als größere Städte, aber in Benningen und Erdmannhausen klagt man auch über ungewollte Schmierereien – vor allem entlang der Bahngleise und an Lärmschutzwänden. Die Kosten für die Entfernung gehen auch hier oft richtig ins Geld. So plant Freiberg/Neckar pro Jahr etwa 10 000 Euro dafür ein, Ditzingen ebenfalls. Selbst in kleineren Kommunen wie Möglingen oder Pleidelsheim sind jährliche Kosten im niedrigen vierstelligen Bereich üblich.

In Vaihingen/Enz versucht man dem Problem mit dem Projekt „Stundenjäger“ Herr zu werden. Bei diesem können Jugendliche, die wegen einer Straftat verurteilt wurden, ihre Arbeitsstunden zur Entfernung von Graffiti verwenden. 2013 Jahr wurden so die Treppenhäuser des Parkhauses Köpfwiesen gereinigt. In Asperg wiederum wurden die Bahnhofsunterführungen farblich gestaltet und mit einem Graffitischutz versehen, damit sie nicht mehr übermalt werden können.