Chris Ganter alias Jeroo macht Streetart seit bald 30 Jahren: Überall in der Stadt sind seine Graffiti zu sehen. Jetzt hat er ein „Stromhäusle“ der Netze Stuttgart an der Hohewartstraße in Stuttgart-Feuerbach verschönert.

Stuttgart-Feuerbach - Kaum ist er da und hat alle Anwesenden begrüßt, holt er eine seiner zahlreichen Sprühdosen aus einer Tüte. Er prüft noch mal den Sitz seiner Mund-Nasen-Maske, die ihn vor den lungenschädlichen Dämpfen schützen soll, steigt danach wieselflink ein paar Leiterstufen hoch. Kaum oben, drückt er auf den Knopf und schon zischt ein feiner Lackfarbennebel aus der Dose. Chris Ganter signiert sein neustes Werk: Ein paar Fotoauslöser-Klicks später und schon steht da „Jeroo ..“ in schwarzer Farbe auf der Fassade über dem ansonsten knallbunten und jugendstilartigen Gemälde.

 

Feuerbach ist zumindest an dem Eck ein Stück schöner

Pflanzen und enzianförmige Blütenkelche schlingen sich um das Gebäude. Ein Vogelkopf mit spitzem Schnabel ist auf der Frontseite zu sehen, dazu gesellen sich durchsichtige Kristalle und andere geometrische Formen. Eine märchenhafte und farbenfrohe Natur-Kulisse verschönert nun die vorher aschgraue Fassade der Umspannstation an der Ecke Hohewart- und Kapfenburgstraße.

Die Feuerbacher Bezirksvorsteherin Andrea Klöber genießt den Anblick. Und natürlich auch den Aha-Effekt, den das Streetart-Gemälde bei den Passanten und vorbeifahrenden Autofahrern sogar an diesem grauen Regentag auslöst. Feuerbach ist zumindest an dem Eck ein Stück schöner. „Ich freue mich, dass diese Fläche so einen wunderbaren Hingucker bekommen hat. Das wird sicher ein kleiner Treffpunkt im Grünen werden“, sagt Andrea Klöber.

Einladungen für Sprüh-Aktionen in New York, doch dann kam Corona

Auch Arvid Blume, Vorsitzender der Geschäftsführung der Stuttgart Netze, ist begeistert vom knallbunten Ergebnis dieses Kooperationsprojektes. Denn Graffiti-Gestaltungen wie diese gibt es bereits seit mehreren Jahren. Stuttgart Netze suchen in Abstimmung mit der Stuttgarter Jugendhausgesellschaft, dem Stadtplanungsamt und den örtlichen Bezirksbeiräten entsprechende Flächen und Künstler aus. Und „Jeroo“ ist quasi der Altmeister der Szene. Seine Werke sind inzwischen nicht nur an vielen Ecken Stuttgarts, sondern auch in den USA und anderen europäischen Ländern zu finden. Eigentlich hätte der Streetart-Künstler im vergangenen Jahr auch Einladungen für Sprüh-Aktionen in New York gehabt, doch Corona hat auch seinen Ambitionen einen empfindlichen Dämpfer verpasst: „Ich musste viele Projekte verschieben oder absagen“, berichtet der 40-jährige Stuttgarter. Dabei hatte er schon vor der Pandemie, eben weil es damals mit den Aufträgen so gut lief, seinen Job als Gymnasiallehrer für Englisch und Sport an den Nagel gehängt.

Graffiti-Workshops für Jung und Alt

Man begegnet ihm fast überall: Seine meterhohen „Pieces“ mit Eidechsen, Vögeln oder Fischen zieren Gebäude wie das Seniorenheim in Degerloch-Hoffeld oder die Pfeiler der Nesenbachbrücke in Heslach. Auch große Flächen und Farbschlachten mit Hunderten Lackdosen schrecken ihn nicht, die Motive gehen ihm flink von der Hand. „Vier Tage“, sagt er, braucht er für so ein Stromhäuschen wie in Feuerbach. Kein Ding. Er sprüht und malt im Akkord. Dieser Faszination war er schon als Halbwüchsiger erlegen, früher musste es notgedrungen noch schneller gehen, sonst drohte er auf frischer Tat ertappt zu werden: „Mit zwölf Jahren habe ich angefangen, in der Garage eines Freundes“, berichtet Jeroo.

Es folgten nächtliche Aktionen und farbenfrohe „Feldversuche“ in den 1990er Jahren, um den trüben Betonalltag dieser Stadt ein wenig aufzufrischen. Mehrmals wurde er beim illegalen Sprayen erwischt. „Das hat natürlich meinem Vater gar nicht gefallen, denn der war damals Richter“, berichtet Jeroo und grinst. Also gab er das verbotene Hobby auf und machte es zu seinem Brot-Beruf. Sogar ein Lehrbuch gibt es von ihm: „Graffiti-School – der Weg zum eigenen Style“. Inzwischen gibt Ganter auch Graffiti-Workshops für Jung und Alt. Seine neuste Zielgruppe: Rentner.