Die bedeutendsten Musikpreise der Welt sind vergeben worden. Das französische Duo Daft Punk triumphiert. Ehrungen wandern jedoch auch nach Deutschland.

Kultur: Jan Ulrich Welke (juw)

Stuttgart - Wie es der Zufall so will, trieb sich Karl Bartos am Sonntagabend gerade in Stuttgart herum, als er zeitgleich knapp zehntausend Kilometer entfernt in Los Angeles den bedeutendsten Musikpreis der Welt in der bedeutendsten Kategorie verliehen bekam. Für ihr Lebenswerk wurde im dortigen Staples Center – in Abwesenheit nicht nur Bartos’, sondern aller Mitglieder – die deutsche Elektronikband Kraftwerk bei der diesjährigen Grammy-Verleihung ausgezeichnet. Die Formation Kraftwerk sei „eindeutig ihrer Zeit voraus“ gewesen und nach wie vor „einzigartig“ , hieß es in der Erklärung der Recording Academy, die hinter den US-Musikpreisen steht und die mit dem Preis für das Lebenswerk erstmals eine deutsche Band auszeichnete.

 

Gut, richtig und hochverdient ist dieser Ehrenpreis. Und wenn es noch eines tönenden Beweises bedurft hätte, lieferte ihn am Sonntagabend Karl Bartos in den allerdings erschütternd spärlich besetzten Stuttgarter Wagenhallen. Der Klangtüftler, von 1975 bis 1990 Mitglied der legendären Düsseldorfer Formation, servierte dort mit seinen zwei Begleitern nämlich neben den Songs seines auch sehr vorzüglichen Albums „Off the Record“ allerlei Kraftwerk-Klassiker. Perfekte Stücke wie das „Model“ oder „Trans Europa Express“, in bester Bandtradition in den Wagenhallen auch optisch wunderbar in Szene gesetzt, führten eindrücklich vor, warum die wegweisende Avantgardeformation Kraftwerk auch international zu den angesehensten deutschen Bands zählt.

Die Roboterformation räumt ab

Mit ihrem Stil hätten Kraftwerk Musiker wie Björk, Blondie, David Bowie, Depeche Mode und Daft Punk inspiriert, heißt es in der Begründung für den Ehrengrammy auch noch – und schon wären wir beim großen Thema, den diesjährigen Abräumern. Denn im Vorfeld haben die Unken schon lautstark gequakt über die komische Kandidatenkür in diesem Jahr. Neun Grammynominierungen und somit den Spitzenplatz gab es für den amerikanischen Rapper Jay-Z, sieben Nominierungen – Rang zwei mithin – für noch zwei Rapper, das US-Duo Macklemore & Ryan Lewis. Beides trotz des immensen kommerziellen Erfolgs (die zwei Herren aus Seattle gastierten vor vier Monaten erst in der Schleyerhalle) eher schwache musikalische Ware.

Umso erfreulicher, dass nicht zwei Amerikaner, sondern zwei Franzosen mit fünf eingeheimsten Grammys triumphierten: eben jenes Duo Daft Punk. Guy-Manuel de Homem-Christo und Thomas Bangalter, die die stets mit Roboteranzügen maskierte Elektropopformation bilden, räumten mit dem Album „Random Access Memories“ und dem Tanzhit „Get lucky“ in den zwei Hauptkategorien Aufnahme des Jahres sowie Album des Jahres ab; drei kleine goldene Grammofone gab es zudem in den Rubriken Bestes Dance-/Electronica-Album, Beste Abmischung eines Albums und Beste Popdarbietung einer Gruppe. Das ist ebenso überraschend wie hoch verdient, denn „Get lucky“ mag einem, nachdem man es diesen Sommer gefühlt eine Million Mal im Radio gehört hat, etwas Überdruss bescheren – das komplette Album besticht allerdings durch exzellente Güte und landete ja auch nicht grundlos in nahezu allen Ranglisten weit vorne.

Lang Lang an der Seite von Metallica

Das mit dem Überdruss mag freilich auch für das Lied „Royals“ gelten, mit dem die blutjunge neuseeländische Newcomerin Lorde in der dritten Hauptkategorie Song des Jahres (sowie auch noch den für die beste Solopopperformance) den Grammy heimtragen darf. Aber immerhin: Macklemore und Lewis konnten so nur vier, Jay-Z als großer Verlierer des Abends sogar nur zwei der kleinen goldenen Trophäen abstauben.

Ebenfalls überraschend kommt der – im Laufe seiner langen Karriere immerhin schon achte – Grammy für den 79-jährigen Herb Alpert und das Beste Popinstrumentalalbum. Der Grammy für die Beste Rockperformance geht verblüffenderweise an die leidlich unbekannten Imagine Dragons (die in dieser Kategorie David Bowie, Led Zeppelin, die Queens of the Stone Age und Jack White ausstachen). Überraschend bei der Show selbst waren die gemeinsamen Auftritte des Pianisten Lang Lang mit der Metalband Metallica sowie jener von Ringo Starr und Paul McCartney, der im Übrigen auf seine alten Tage auch noch zwei Grammys einsammeln durfte.

Der Seriensieger kommt aus Stuttgart

Am verblüffendsten indes ist das Abschneiden der Deutschen bei der diesjährigen 56. Auflage der Preisverleihung, die im Popbereich ein erfrischendes Statement gegen die Metropolenkultur setzen. Neben dem gebürtigen Berchtesgadener Karl Bartos setzte sich der Produzent Zedd aus Kaiserslautern in der Kategorie Beste Danceaufnahme mit dem Stück „Clarity“ gegen so renommierte Namen wie Calvin Harris oder Armin van Buuren durch. Den Vogel schießt jedoch der Schwarzwälder Trompeter Steffen Kühn ab, der mit seinem Orchester ausgerechnet in der Rubrik Bestes Tropical Latin Album gewann.

Im Klassikbereich konnte das NDR-Sinfonieorchester unter dem Dirigenten Christoph Eschenbach in der Kategorie Bestes Klassikkompendium einen Grammy für die Einspielung von Hindemiths Violinkonzert, seinen Symphonischen Metamorphosen und der Konzertmusik Op. 50 einheimsen. Aber da wäre ja noch der Seriensieger aus Stuttgart, die Cannstatter Musikproduktionsfirma Tritonus. Geehrt werden diesmal die beiden Tonmeister Peter Laenger und Stephan Schellmann, ausgezeichnet wird ihre bei ECM erschienene Aufnahme „Arvo Pärt: Adam’s Lament“, die im November 2011 in einer Kirche im estnischen Tallinn aufgenommen worden ist. Es ist der fünfzehnte Grammy für Tritonus – womit sie ganz nebenbei den Superstar Michael Jackson überholt haben, der nur vierzehn Stück gewinnen konnte.