Der junge Sam Smith räumt bei der Verleihung der Grammys in Los Angeles ab. Das Feld ist insgesamt schwach besetzt. Größter Verlierer ist, wieder einmal, Katy Perry.

Kultur: Jan Ulrich Welke (juw)

Los Angeles/Stuttgart - Samuel Frederick Smith stammt aus dem Dorf Linton in der englischen Grafschaft Cambridgeshire, er ist der Sohn eines Hausmanns und einer Bankangestellten, besuchte eine katholische Provinzschule, absolvierte eine mehrjährige Jazzgesangsausbildung und war bis vor einem Jahr nur einem eng umrissenen Kreis von Musikfreunden ein Begriff. Der unscheinbare und zurückhaltende Sam Smith ist also der absolute Gegenentwurf zum glamourösen Bling-Bling-Hollywood.

 

Dass der 22-jährige britische Songwriter ebendort im Staples Centre in der Nacht zum Montag bei der großen Grammy-Gala vier der kleinen goldenen Grammofone entgegennehmen durfte, darunter in den drei Hauptkategorien Bester neuer Künstler, Beste Single und Beste Aufnahme des Jahres (und überdies noch in zwei weiteren nominiert war), ist natürlich schön für ihn und schön für alle, die noch an die gute alte handgemachte Musik glauben. Es ist aber auch Ausdruck dessen, dass der diesjährige Jahrgang bei der Verleihung der nach wie vor wichtigsten Musikpreise der Welt kein besonders gewichtiger war.

Der Sieg als bester Newcomer für Smith ist insbesondere angesichts der Konkurrenz – Iggy Azalea, Bastille, Brandy Clark und Haim – stringent, seine doppelt prämierte Hitsingle „Stay with me“ ist aus dem Radio zudem sattsam bekannt, aber eben auch das einzige Lied, mit dem er bisher überhaupt von sich reden machte. Das dazugehörige Album „In the lonely Hour“, für das er seinen vierten Grammy als Bestes Popgesangsalbum einheimste, schaffte es hierzulande nicht mal in die Top Ten.

Selbst die Wohlmeinenden sind skeptisch

Selbst Wohlmeinende üben Kritik

Nur in 83 Kategorien wurde in diesem Jahr ein Grammy verliehen, in anderen Zeiten waren es schon deutlich mehr als hundert, auch dies ist Zeichen einer gewissen Ratlosigkeit. Sie zeigt sich ebenfalls im Fall von Jack White, einst bei den White Stripes und nun solo unterwegs, der für sein Album „Lazaretto“ bizarrerweise in den Kategorien Bester Rocksong und Bestes Alternativealbum nominiert wurde, um am Ende in der Rubrik Beste Rockperformance seinen – Hut ab! – auch schon zehnten Grammy zu gewinnen; fast mag man meinen, dass die preisverteilende Recording Academy nicht einmal mehr den Unterschied zwischen diesen beiden Genres wahrzunehmen vermag. Und das letzte Indiz ist, dass neben der – traditionell – sehr amerikazentrierten Sicht bei der Vorauswahl diesmal auch erbarmungsloser als je zuvor auf das Erwartbare und den Mainstream gesetzt wurde. Selbst dem Grammy solidarisch verbundene Zeitungen wie die „Los Angeles Times“ kritisierten die Überraschungsarmut der Vorauswahl.

Drei Grammys gingen in diesem Jahr an den Rockmusiker Beck, überraschend immerhin einer davon für sein vorzügliches Werk „Morning Phase“ in der vierten Hauptkategorie Album des Jahres. Jeweils drei Trophäen pflichtschuldigst auch an die US-Superstars Beyoncé und Pharrel Williams (beide waren für je sechs nominiert) sowie verdient an die Countrymusikerin Rosanne Cash, die das Vermächtnis ihres legendären Vaters Johnny Cash so glänzend wie eigenständig fortschreibt.

Größter Verlierer ist, wieder einmal, Katy Perry, die es auch bei nunmehr 13 Nominierungen noch nie geschafft hat, auch mal einen Grammy zu gewinnen. Nichts zu holen gab es auch für Taylor Swift bei ihren zwei, den Songwriter Ryan Adams und die australische Sängerin Sia Furler mit drei Nominierungen sowie ihre recht lautsprecherische Landsfrau und Rapperin Iggy Azalea, die am Ende trotz vier Nominierungen mit leeren Händen dastand.

Leise beziehungsweise geruhsame Töne dominierten, was ja auch mal in Ordnung ist, wie auch die Grammys für Aphex Twin und „Syro“ als bestes Electronica-Album und St. Vincents selbst betiteltes Werk als Bestes Alternativealbum absolut in Ordnung gehen. Auch Tote räumten ab, die Entertainerin Joan Rivers (Beste Spoken-Word-Performance) wurde ebenso posthum ausgezeichnet wie Johnny Winter (Bestes Bluesalbum) und Ronnie James Dio, dessen Erbe auf dem geehrten Tributealbum „This is your Life“ bewahrt wird.

Dass alles nach wie vor glamourös über die Bühne ging, versteht sich von selbst. Madonna in knappem Outfit als gewiss größter Eyecatcher promotete ihr in vier Wochen tatsächlich erscheinendes neues Album, und vom Wert dieses Kulturguts sprach in seinem orangefarbenen Anzug Prince. „The Album still matters“, auch und gerade in Zeiten von Streamingdiensten, Singledownloads und (wie bei Madonna) dreisten Leaks, so der Superstar mit ebenfalls leisem und nachdenklichem Unterton.

Man spricht nicht Deutsch

Man spricht nicht Deutsch

Nahezu nichts zu holen gab es schließlich für die deutschsprachigen Nominierten. Der Toningenieur Hans-Jörg Maucksch und der Produzent Günter Pauler gingen in der Kategorie Best Surround Sound Album ebenso leer aus wie etwa der Masteringingenieur Wolfgang Schiefermair, der für die Einspielung von John Adams’ „City noir“ in der Kategorie Best engineered classical Album aufgestellt war sowie der Dirigent und frühere Stuttgarter GMD Manfred Honeck, der mit Dvoráks Achter und seinem Pittsburgh Symphony Orchestra in der Rubrik Beste Orchesterleistung nominiert war.

Ebenso wie die Staatskapelle Dresden mit Strauss’ „Elektra“ war auch das SWR-Sinfonieorchester Baden-Baden und Freiburg unter Sylvain Cambreling mit seiner Einspielung von Schönbergs „Moses und Aron“ in der Kategorie Beste Opernaufnahme nominiert. Beide scheiterten, und doch gewannen zumindest in dieser Kategorie Deutsche: der Musikverlag CPO aus dem niedersächsischen Georgsmarienhütte für seine Veröffentlichung von Marc-Antoine Charpentiers „La descente d’Orphée aux enfers“. Auch das ein schöner Gegenentwurf zur Glamourwelt von Hollywood.