Grandmaster Flash inszeniert im Wizemann eine hörenswerte Hip-Hop-Geschichtsstunde. Doch der lebende Mythos reduziert das Genre auch zur reinen Blockparty.

Stuttgart - Die HipHop-Szene ist auch nicht mehr das, was sie einmal war. Kaum rätselt der auf eine längere Wartezeit eingestellte Besucher noch, wann der Hauptdarsteller des Abends wohl die Bühne betreten wird, 21:30 Uhr, gar 22 Uhr?, da entert auch schon Grandmaster Flash mit mehr als akademischer Pünktlichkeit die Bühne. Und man spürt ihn förmlich, den Atem der Musikgeschichte, der da durch den kleineren der beiden Wizemann-Säle weht.

 

Mit dem New Yorker DJ gastiert eine Ikone der Hip-Hop-Szene in Stuttgart, die diesen Sound Mitte der 1970er-Jahre miterfunden und als eines der relevantestes Genres des 20. Jahrhundert etabliert hat. Angekündigt ist zudem, reichlich großspurig, eine „interaktive, visuelle, historische Blockparty“, die den Werdegang des Hip-Hop dokumentieren und zugleich Einblicke in das Schaffen eines seiner wichtigsten Protagonisten bieten will. Sein Archiv hat Grandmaster Flash hierfür geplündert, und er legt tatsächlich die wichtigsten musikalischen Quellen frei, aus denen er schöpfte.

Altmeister und Lokalhelden

Was die gut fünfhundert Besucher im ausverkauften Wizemann dann fünfundneunzig Minuten lang zu sehen bekommen, entpuppt sich zwar als komplett innovationslose Mischung aus Diashow und Videoclip-Collage. Einen gewissen Reiz hat diese altmodisch edierte Revue aber dennoch. An Granden aus Soul, Rhythm & Blues und Funk wie Isaac Hayes, Roy Ayers und die Blackbyrds erinnert Grandmaster Flash da, aber auch an Cracks aus der zweiten Reihe wie den Reggae-Jazz-Funk-Grenzgänger King Errisson, den 2018 verstorbenen DJ-Kollegen Lovebug Starski oder Dennis Coffey, den langjährigen Hausgitarristen des Motown-Labels. Eine Galerie der Altvorderen der Black Music versammelt sich da auf der Leinwand, man erlebt eine Zeitreise zurück in ein Amerika, das es nur noch in Geschichtsbüchern gibt.

Schon allein der Blick auf vielgesehene, lange nicht mehr gesehene oder noch nie gesehene Alben der amerikanischen Black Music sorgt bei jedem echten Musikfan für Gänsehautgefühle, selbst wenn er nicht der Kopfnicker-Fraktion angehört. Weiter geht’s mit einer Reise durch die Brennpunkte des New Yorker Hip-Hop-Dschungels, von der Bronx über Brooklyn und Queens bis Staten Island und Long Island, und wer je vergessen hat, wie viele wegweisende Hip-Hop-Musiker der „Big Apple“ hervorgebracht hat – hier begegnet er allen Lokalhelden der jeweiligen Stadtteile, von 50 Cent und Nas über Tupac Shakur und Run DMC bis zu Public Enemy oder den Beastie Boys. Warum mit Kurtis Blow einer der großen Söhne der Stadt unerwähnt bleibt, wüsste man allerdings doch zu gerne.

Ärgerliche Telegramme

Dass man mit dieser Show eine Zweitverwertung dessen erlebt, was Grandmaster Flash bereits 2016 für die hochgelobte, aber nach nur einer Staffel wieder versandete Netflix-Serie „The Get Down“ zusammengetragen hat, schmälert diese Fleißarbeit übrigens mitnichten. Was es hier zu sehen und zu hören gibt, ist als Hip-Hop-Geschichtsstunde jede Sekunde wert. Und neben viel guter Musik hat der Gastgeber schließlich auch seinen eigenen Mythos mit ins Wizemann gebracht – wobei das eigene Ouevre seltsam unterbelichtet bleibt. „The Message“ klingt nur kurz an, „New York“ oder „White Lines“ tauchen gleich gar nicht auf im Programm.

Deutlich ärgerlicher ist allerdings die nur mäßig liebevolle Aufbereitung des Materials. Zu mehr als nur einem telegrammartigen Steckbrief zu den gezeigten Musikern mag sich Grandmaster Flash nicht durchringen – und zu eigenen Worten gleich schon gar nicht. Sehr gerne hätte man erfahren, was einer der intimsten Kenner des Genres zu einzelnen dieser Songs oder deren Urheber zu sagen hat. Doch leider drischt der lieber Partyphrasen Marke „Stuttgart, is everybody happy out there?“ oder „Stuttgart, put your hands up in the air!“, anstatt seine musikalischen Schätze mit dem ein oder anderen Statement einzuordnen.

Hier gibt es Grandmaster live 2009 in der Bronx zu sehen:

Noch immer flinke Finger

Auch die Performance am DJ-Pult will nicht recht überzeugen. Die zu hörenden Tracks ertönen zwar als klassisches DJ-Set: vom Laptop eingespielt, mittels Überblendungen verbunden, durch Breaks gehäckselt oder via Scratching soundtechnisch verfremdet. Eine über der Bühne montierte Kamera zeigt das Geschehen am DJ-Pult immer mal wieder von oben und beweist, dass der inzwischen 61-jährige Hip-Hop-Veteran noch immer flinke Finger und bewegliche Handgelenke hat. Allein: Dass der zu hörende Sound tatsächlich live gemixt wird, kann man getrost als Illusion betrachten. Kein einziges Mal sieht man etwa, dass hier tatsächlich eine LP auf dem Plattenspieler gewechselt wird.

Die vielleicht größte Schwäche des Abends bleibt allerdings seine Gegenwartsferne, sein vollständig unpolitischer Charakter. Die „Black Lives matter“-Bewegung, die Ereignisse von Ferguson und Cleveland, der unverhohlene Rassismus des 45. Präsidenten der USA: All das ist Grandmaster Flash im Wizemann kaum einen Satz wert. So reduziert er den HipHop tatsächlich zur reinen Blockparty – und entwirft ein Zerrbild eines jederzeit hochpolitischen Genres.