In Ostgrönland flitzen im Sommer - Juli und August - nur kleine Motorboote durchs Packeis.

Tasiilaq - Der Wind wird immer frecher. Er zerrt an den Haaren und frisst sich langsam durch die federbettdicke Daunenjacke. Dann reißt er beinah die Mütze vom Kopf. Doch man verzeiht ihm alles. Schließlich gibt es dafür Grönland pur. Wer einmal in der Arktis war, so heißt es, der komme immer wieder. Gut möglich, denn es macht Spaß, auf dem kleinen knallorangefarbenen Boot durchs Packeis zu flitzen - durch die größte Eiskunstausstellung der Welt. Vorbei an haushohen Skulpturen. Eine sieht aus wie ein Vogel, die andere wie eine vom Himmel gefallene Wolke. Die Künstler sind Sonne und Wind. Jede Minute modellieren sie ihre Werke neu, schleifen hier was ab, pressen dort etwas zusammen. Und das Wasser applaudiert dazu: Es plätschert und gurgelt, grummelt, schmatzt und zischt. Die Eisblöcke sind irgendwann und irgendwo von einem Gletscher geplumpst. Die einen lieben die Fernreise, treiben Tausende Kilometer weit, andere bevorzugen den Tagesausflug und verflüssigen sich nach ein paar Stunden in einem der unzähligen Fjorde Ostgrönlands.

 

Tobias, der Fahrer, bremst das Boot mitten auf dem Wasser. Er steuert an eine Eisscholle heran und wirft den Anker. Dann hilft er beim Aussteigen. Die ersten Schritte sind noch unsicher. Die flache, wohnzimmergroße Scholle wackelt. „Sie kann nicht brechen“, beruhigt Tobias. „Der größte Teil liegt unter Wasser, nur ein Sechstel ragt sichtbar heraus.“ Er packt die Thermoskanne aus, gießt Kaffee in bunte Plastikbecher und verteilt Kekse: Kaffeepause auf der Eisscholle! Die Sonne scheint und ohne Fahrtwind ist es fast so warm wie zu Hause auf der Terrasse. Trotzdem traut sich niemand, auf den mitgebrachten Thermositzkissen Platz zu nehmen. Am Horizont meint man die Skyline von Manhattan zu sehen - aus Eis! Auf halber Strecke dazwischen schaukelt ein schwarzer Punkt auf einer Scholle. „Dort sonnt sich eine Klappmützenrobbe“, sagt Tobias und reicht das Fernglas weiter. Der Inuit hat ein sonnengebräuntes Gesicht und die Figur eines Eisbären. Er arbeitet als Guide im Hotel „Rotes Haus“ auf der ostgrönländischen Halbinsel Ammassalik.

 „Grünland“ war vor 450.000 Jahren so dicht bewaldet wie Schweden

Dort liegen bunte Häuschen wie hingewürfelt auf den Hügeln, dahinter lugen schroffe Berge hervor. Auf den Leinen vor den Türen flattert frische Wäsche im Wind. Ein paar Schlittenhunde dösen im Wollgras. „Wir sind hier an einem der ursprünglichsten Orte auf Grönland“, sagt Robert Peroni, der Leiter des „Roten Hauses“. Die ersten Siedler kamen erst vor 100 Jahren. „Inzwischen gibt es im Hotel Strom und Wasser, aber noch nicht in jedem Zimmer Duschen“, bittet er um Nachsicht. Der ehemalige Extrembergsteiger aus Südtirol kam 1980 - zwei Jahre vor den ersten Touristen. Anfangs schien ihm das Land langweilig. Doch immer mehr begeisterte ihn die arktische Natur. In einer waghalsigen Expedition überquerte er damals das Inlandeis ohne Schlittenhunde und technische Hilfsmittel, wie GPS und Handy. Das „Rote Haus“ baute er anfangs als Sozialstation für arbeitslose und alkoholgefährdete Jugendliche. Heute ist es außerdem Hotel, Begegnungsstätte und Tourismusunternehmen. Hier werden Bootsfahrten durchs Packeis, Trekking- und Eisklettertouren oder Ausflüge zum Inlandeis organisiert.

Fast ganz Grönland wird vom größten Gletscher der Welt bedeckt, eine Fläche, die fast fünf Mal so groß wie Deutschland ist. Bei Isertoq blickt man auf die gigantische Eiswüste, die sich bis zum Horizont erstreckt - und doch sieht man nur einen winzigen Ausschnitt. Der Eispanzer ist bis zu dreieinhalb Kilometer dick und drückt 800 Meter tief ins Erdinnere. Würde man das Land vom Eis befreien, entstünde eine riesige Erdschüssel. Nur der Rand wäre bewohnt. Schmilzt das Grönlandeis, steigt der Meeresspiegel um ca. sechs Meter. Forscher hoffen, dass der Eispanzer doch stabiler ist als angenommen. Bei Bohrungen in zwei Kilometer Tiefe wurde herausgefunden, dass „Grünland“ vor 450.000 Jahren so dicht bewaldet war wie Schweden und dass das danach entstandene Eis einer späteren Wärmeperiode standgehalten haben muss, bei der es wesentlich wärmer war als heute.

Der Sommer auf Grönland dauert von Juli bis August. Die Temperatur steigt bis auf 18 Grad im Schatten und die Nächte bleiben hell. Die perfekte Zeit für eine Wanderung. Am Rand der Schüssel erwacht das Leben. Zwergnelken, Gletscherhahnenfuß und die Nationalblume, das arktische Weidenröschen, blühen. Pinkfarbenes Stengelloses Leimkraut leuchtet zwischen den Steinen in den Bergen. Wanderwege gibt es nicht - nur Richtungen. Die Schuhe sinken in weiche Mooskissen und man läuft niemals allein: unzählige daumennagelgroße Mücken folgen auf Schritt und Tritt. Glück hat, wer im einzigen Supermarkt noch ein Mückennetz ergattern konnte. Von den Gipfeln, die bis 1000 Meter hoch sind, hat man einen fantastischen Blick auf den Oscar Kong Fjord - eine der Endstationen für Eiskunstwerke. Im letzten Zipfel des Fjords treffen sich jeden Sommer die Tagesausflugs-Schollen zum letzten ‚Get-together’ auf dem Wasser. Zu dieser Jahreszeit sind die schwimmenden Puzzleteile stark geschrumpft. Auf einigen hat nicht mal mehr ein Kaffeebecher Platz.

Infos zu Grönland

Anreise
Mit Icelandexpress, www.icelandexpress.de, von Frankfurt/Hahn nach Reykjavik ab 220 Euro. Von dort mit Air Iceland, www.airisland.is, nach Kusuluk ab ca. 420 Euro. Pro Tag fliegen zwei Maschinen, die oft voll sind, es ist ratsam, einige Monate vorher zu buchen. Weiter nach Tasiilaq, je nach Wetterlage mit Motorboot oder Helikopter. Transfers organisiert auch das Rote Haus.

Unterkunft
Rotes Haus, PO Box 81, Naparngumut B 1025, DK-3913 Tasiilaq, East Greenland, www.east-greenland.com, Übernachtung im DZ ab ca. 50 Euro.

Veranstalter: Wikinger Reisen GmbH, www.wikinger.de, Tel. 02331/90 47 42, etwa „Auf den Spuren der Inuit“, 12 Tage im DZ mit HP ab ca. 2998 Euro.

Allgemeine Informationen
Greenland Tourism & Business Council, P.O. Box 1139, 1010 Kopenhagen, Dänemark, www.greenland.com(auch auf Deutsch), info@greenland.com.

Was Sie tun und lassen sollten
Auf jeden Fall bei Wanderungen ein Mückennetz für den Kopf mitnehmen.
Auf keinen Fall sollte man Schlittenhunde füttern, sie gewöhnen sich sonst an Touristensnacks.