Gigantische Drogendeals sind das Mindeste, was moderne Krimis als Zentrum brauchen. Der 1981 spielende „A most violent Year“ aber wagt es kleiner. Er erzählt vom Heizölhandel in New York, davon, wie die Konkurrenz einen Neuling aus dem Geschäft drängen will – und wie der sich wehrt.

Stuttgart - Es gibt eine Art Seriosität, die sich selbst karikiert. Vor allem auf dem Spielfeld des Krimis wissen wir ja Bescheid, wenn einer streng korrekt und druckvoll überzeugend auftritt, so einer, der kein Stäubchen an sich duldet, der will, dass man ihm lange in die Augen schaut, um zu erkennen, dass er nichts zu verbergen hat. So einer hat viel zu verbergen. Er ist der Verbrecher, und wenn die Geschichte wie in „A most violent Year“ im New York des Jahres 1981 spielt, haben wir sofort den Begriff Mafia im Kopf.

 

Der Regisseur und Drehbuchautor J. C. Chandor spielt in „A most violent Year“ mit solchen Seherfahrungen, zupft an unseren Vorurteilen herum, provoziert unsere Selbstgewissheit, zwischen Kapitalverbrechen und, nun ja, profitabler Schummelei unterscheiden zu können. Der von Oscar Isaac großartig gespielte Abel Morales steht im Mittelpunkt des Films, ein erfolgreicher Einwanderer im edlen Kamelhaarmantel und feinen Rollkragenpulli. Morales hat eine eigene Firma, er ist Heizölhändler, und jedes Jahr will er mehr Tanklaster auf der Straße und mehr Kundenbestellungen in den Auftragsbüchern haben.

Entführte Tanklaster

Kleinkrieg auf den Straßen

Morales erfüllt die Eigenschaften des klassischen Kino-Dons: er fühlt sich patriarchalisch verantwortlich für seine Angestellten, aber er glaubt auch, mehr Rechte über sie zu haben, als irgendein Vertrag benennt. Er schickt sie auf Tour wie ein Feldherr seine Soldaten in die Schlacht. Und es ist zumindest ein Kleinkrieg, der da draußen tobt.

Der Heizölhandel in New York ist sowieso ein raues Geschäft. Fahrer, die in einem fremden Gebiet auftauchen, müssen damit rechnen, angepöbelt oder verprügelt zu werden. Aber für Morales ist alles noch rauer geworden. Systematisch werden seine Tanklaster entführt und dann ohne Öl wieder aufgefunden. Da beschafft sich jemand nicht nur billig Brennstoff, da will jemand Morales aus dem Geschäft drängen.

Chandor hat mit dem Finanzkrisenfilm „Margin Call – Der große Crash“ 2010 ein spektakuläres Debüt hingelegt und mit dem Ein-Mann-Seglerdrama „All is Lost“ mit Robert Redford im Anschluss bewiesen, dass er extreme erzählerische Herausforderungen nicht scheut. Mit „A most violent Year“ dreht er nun den Mafiafilm auf links. Mit dem sakralen Stilwillen von Coppolas „Pate“-Trilogie geht er an die Kleinmechanik schmutziger Geschäfte heran, die Scorseses „Goodfellas“ schildert. Aber inhaltlich hat er viel Eigenes zu bieten.

Wie weit gehen die Konkurrenten?

Chandor schildert nicht, wie das längst etablierte organisierte Verbrechen legale Geschäftszweige übernimmt. Er zeigt, wie das legale Geschäft peu à peu illegale Mittelchen, Werkzeuge, Strukturen ausbildet, wie aus sumpfigem Gebaren organisiertes Verbrechen hervorgehen könnte.

Wobei nur eines klar ist: so kriminell, wie die Staatsanwaltschaft vermutet, deren Ermittlungsmethoden Morales ruinieren könnten, ist dieser Unternehmer nicht. Aber dass der Chef nicht will, dass seine Fahrer sich bewaffnen – ist das schon ein Beweis für solide moralische Leitplanken? Oder ist da nur die pragmatische Einsicht in die Machtverhältnisse am Werk? Wie weit wird dieser Mann, dessen Familie bedroht wird und dessen Frau Anna (Jessica Chastain) tatsächlich aus dem Unterwelt-Adel stammt, gehen? Und was werden die Konkurrenten noch wagen?

Die Spielräume sind klein

Das innere Zwielicht

Diese Fragen stellt und beantwortet Chandor nicht in gewundenen Dialogen. Er überlässt viel der exzellenten Kameraarbeit von Bradford Young. Dessen mit einem gedämpften Farbspektrum arbeitenden Bilder kehren das innere Zwielicht der Figuren nach außen. Und sie stellen die Menschen oft klein an den Rand der Szenerien. Die vorgefundenen Räume der Stadt machen klar, dass hier niemand die Welt neu erfinden kann, dass die Figuren nur eine beschränkte Auswahl an Positionierungsmöglichkeiten haben.

Wer sich ein wenig auskennt mit dem erwachsenen US-Kino anderer Epochen, der kann hier viele Einflüsse, vielleicht auch Zitate erkennen, wird an das Kino von Sidney Lumet, Sydney Pollack, William Friedkin und Arthur Penn denken müssen. Aber „A most violent Year“ setzt solche Vergleichsmöglichkeiten nicht voraus, um zu funktionieren, er lebt ganz aus sich heraus: man muss nicht einmal eine Ölheizung haben, um die Ölhändlergeschichte als ganz großes Drama zu empfinden.

A most violent Year. USA 2014. Regie: J. C. Chandor. Mit Oscar Isaac, Jessica Chastain. 125 Minuten. Ab 12 Jahren.