England erlebt die dritte große Flut binnen elf Jahren. Weite Landstriche im Nordwesten sind überschwemmt, noch immer müssen viele Personen gerettet werden.

Korrespondenten: Peter Nonnenmacher (non)

London - Halten die Dämme? Oder muss sich Großbritannien auf eine Zukunft unter Wasser einstellen? Angesichts der jüngsten Flutkatastrophe im Nordwesten Englands fragen sich immer mehr Inselbewohner, ob dies das Schicksal ihres Landes im Zeichen globaler Erwärmung ist – und was die Regierung tun kann, um den steigenden Wassern zu wehren.

 

Denn kaum ist man in Teilen des Vereinigten Königreichs mit den Folgen der Flutkatastrophen von 2005 und 2009 fertig geworden, finden sich weite Landstriche schon wieder hoffnungslos überschwemmt. Die Regenmengen, die am Wochenende mit dem Sturm Desmond auf Regionen wie die Grafschaft Cumbria niedergingen, haben alle Rekorde gebrochen. Bislang errichtete Befestigungsanlagen haben den Fluten nur begrenzt standhalten können. Und für die nächsten Tage ist noch mehr Niederschlag voraus gesagt.

Rettungskräfte sind pausenlos im Einsatz

Zu Wochenbeginn standen noch immer zahlreiche Städte und Ortschaften unter Wasser. Militär und Rettungsdienste waren auch am Montag pausenlos im Einsatz. In Schlauchbooten und mit Hubschraubern wurden Familien evakuiert und auf sicheres Gelände befördert. Zehntausende von Häusern waren zeitweise ohne Strom und oft auch ohne Trinkwasser.

Ganze Nachbarschaften sind von der Umwelt abgeschnitten, viele Straßen unpassierbar. Vier Brücken sind eingestürzt und ein Dutzend weitere schwer beschädigt worden. Eisenbahnlinien im Nordwesten liegen still, wohl noch auf Tage hin. Sportplätze wie das Fußballstadion von Carlisle haben sich in Seen verwandelt, und über 40 Schulen in Cumbria sind fürs erste geschlossen worden. Aus dem River Kent wurde die Leiche eines ertrunkenen Mannes geborgen.

Krankenhäuser laufen nur mit Notstrom

In Lancaster City gaben wegen Stromausfalls vielerorts Verkehrsampeln und Geldautomaten den Geist auf. Vor Telefonzellen bildeten sich offenbar zeitweise Schlangen, als Studenten, die ihre Handys nicht mehr aufladen konnten, ihre Familien anzurufen versuchten. Mancherorts auf dem flachen Land baten gestrandete Anwohner mit Lichtsignalen um Hilfe. Mehrere Krankenhäuser mussten sich ihrer Notaggregate bedienen. Nur noch dringend nötige Operationen und Behandlungen wurden ausgeführt.

Schockiert zeigten sich viele der Betroffenen, von denen manche zum zweiten oder sogar dritten Mal binnen elf Jahren überschwemmt wurden. Stewart Young, der Vorsitzende des Grafschaftsrats von Cumbria, sagte, es könne „so wirklich nicht weiter gehen“. Ein Sprecher der Polizei von Cumbria fügte hinzu: „Dies ist nicht mehr nur wie 2005 und 2009, als einzelne Landesteile betroffen waren. Diesmal haben wir einen Notstand in der ganzen Region.“

Cameron wird für seine Kürzungspolitik kritisiert

Tatsächlich wurde an einer Stelle in Cumbria ein Rekordniederschlag von 34 Zentimenter innerhalb von 24 Stunden gemessen. Normalerweise bringt der gesamte Dezember nicht mehr als 20 bis 25 Zentimeter. In den Yorkshire Dales führten die Unwetter an einem Berghang zu einem dramatischen Wasserfall.

Viele Millionen Pfund teure neue Dämme und Abflussanlagen, die das Land gegen eine mögliche „Jahrhundertflut“ hatten schützen sollen, wurden von den neuerlichen Stürmen und Güssen einfach wieder überwältigt. Ohne sie, verkündete das Umweltamt, wäre es allerdings noch weitaus schlimmer gekommen.

Für 2015 bis 2020 hat der Premierminister David Cameron 2,3 Milliarden Pfund für neue Schutzmaßnahmen versprochen. Cameron ist allerdings dafür kritisiert worden, dass er in den vergangenen fünf Jahren Ausgaben in diesem Bereich um fast ein Drittel kürzte. Nun müsse man das ganze Katastrophenschutz-Programm überprüfen, forderten die Oppositionsparteien.

Umweltverbände warnen vor dem Klimawandel

Umweltverbände in England sehen in der raschen Abfolge schwerer Flutkatastrophen eine Folge des Klimawandels – und ein schlechtes Zeichen für die Zukunft des Landes. „Die wissenschaftliche Seite der Sache ist klar“, hieß es bei Greenpeace in London. „Von steigenden Temperaturen sind im Vereinigten Königreich schwerere Regenfälle zu erwarten, die ihrerseits zu erhöhter Flutgefahr führen können.“

„Während die Klima-Unterhändler in Paris herum machen, steht Britannien unter Wasser“, erklärt auch die Organisation Friends of the Earth. „Und doch schafft es die britische Regierung nicht, uns zu beschützen. Einmal, weil sie nicht genug in Schutzmaßnahmen investiert. Und zum zweiten, weil sie sauberer Energie, die wir zur Bekämpfung des Klimawandels brauchen, ihre Unterstützung versagt.“