Der britische Premier Rishi Sunak ist erst vor einem Monat ins Amt gekommen. Vom neuen Partei- und Regierungschef erhofften sich die Konservativen mehr Ruhe nach dem Chaos der Wochen zuvor. Doch die Zweifel an dem Finanzexperten sind schon in kürzester Zeit gewachsen.

Korrespondenten: Peter Nonnenmacher (non)

Von Rishi Sunak wollten seine Mitstreiter in Westminster vor allem eines. Der neue Premier sollte dem Chaos im Vereinigten Königreich ein Ende setzen, das erst die monatelange Selbstsemontage Boris Johnsons und dann Liz Truss’ spektakulärer Frontalzusammenstoß mit den Märkten ausgelöst hatte. Sunak sollte all das vergessen lassen. Er sollte verstörte Gemüter beruhigen und eine Phase neuer, stabiler Verhältnisse in seiner Partei wie im ganzen Land einleiten. Schon dass er im Sommer beharrlich vor Truss’ „Fantasterei“ gewarnt hatte, war ihm im Nachhinein zugutegekommen. „A safe pair of hands“ wurde ihm zugesprochen. In guten Händen, in den Händen eines coolen Finanzexperten, wollten die Torys, zumal in der neuen Wirtschaftskrise, die Regierungsgeschäfte sehen.

 

Kein Interesse am Weltklimagipfel in Ägypten

Und Sunak selbst hatte ja, als ihn seine Fraktion vor einem Monat zum Partei- und Regierungschef kürte, vor der Tür von No 10 Downing Street noch feierlich „Rechtschaffenheit“ und ein „verantwortungsbewusstes“ Vorgehen versprochen. Aber schon in kürzester Zeit haben sich Zweifel an diesem hohen Anspruch gemehrt. Erst verwirrte „der Neue“ seine Landsleute damit, dass er absolut kein Interesse an einer Teilnahme am Weltklimagipfel in Ägypten zeigte. Dann vollzog er wegen des wachsenden Drucks eine Kehrtwende und flog doch nach Scharm el-Scheich.

Dort freilich wusste er nicht viel mehr zu sagen, als dass man sich trotz aller Hiobsbotschaften noch immer „Hoffnung machen“ dürfe. Und dass ja privates Kapital vielleicht dem am schlimmsten betroffenen Teil der Welt auf die Sprünge helfen könne. Von seinem Plan, 100 neue Lizenzen für Öl-und Gasbohrungen in der Nordsee auszugeben, mochte er jedenfalls nicht abrücken. Und der Bau neuer Windräder auf festem Land bleibt weiter untersagt.

Der Ex-Hedgefonds-Manager zeigt kein Interesse für das Klima

Mit diesem Auftritt machte sich Sunak auf keiner Seite Freunde. Im Urteil aller Briten, die den Klimawandel fürchten, zeigte der Ex-Hedgefonds-Manager keinerlei Verständnis für den Ernst der Situation. Anderen gefiel nicht, dass Sunak dem Druck so schnell nachgegeben hatte und zum COP27 gereist war.

Ebenso verwirrend fanden viele Torys das Verhalten ihres „rechtschaffenen“ neuen Premiers im Blick auf die Wahl einiger seiner Minister. Dass er die weit rechts stehende Suella Braverman zur Innenministerin machte, trug ihm die Frage ein, ob er das nur getan habe, weil sie ihm Dutzende von Tory-Hardlinern zugeführt hatte, als es um die Wahl des Parteichefs ging. Immerhin hatte Braverman erst sechs Tage vor ihrer Ernennung durch Sunak vom selben Posten unter Truss zurücktreten müssen – weil sie gegen den ministeriellen Kodex verstoßen hatte. Kaum war sie gestürzt, war sie schon wieder da.

Einige Kabinettsmitglieder standen gleich im Kreuzfeuer

Und wie sie geriet auch der von Sunak überraschend ins Kabinett geholte Ex-Minister Gavin Williamson unmittelbar ins Kreuzfeuer. Williamson, der in der Vergangenheit schon zweimal in Schande aus Regierungen geworfen worden war, musste binnen Tagen zum dritten Mal aufgeben, weil ihm tyrannisches Verhalten gegenüber Untergebenen nachgewiesen worden war – was Sunak bekannt gewesen sein soll. Mit ähnlichen Vorwürfen wie Williamson muss sich jetzt auch Justizminister Dominic Raab auseinandersetzen, den Sunak zum Vizepremier machte. Raab muss sich einem offiziellen Untersuchungsverfahren stellen. Viele Torys fürchten, dass Rishi Sunak auch in diesem Fall einen ihm nützlichen Gefolgsmann belohnen wollte, ohne dessen Charakter unter die Lupe zu nehmen.

Den größten Unmut – auf allen Seiten – hat sich der neue Premierminister freilich mit dem Haushaltsplan eingehandelt, den sein Schatzkanzler Jeremy Hunt dem Unterhaus vergangene Woche vorlegte. Zu einer Reihe von Maßnahmen in diesem Plan meinten Abgeordnete der Tory-Rechten bitter, „so etwas“ hätte sich genauso gut die Labour Party ausdenken können. „Richtig konservativ“ sei daran nichts.

Die höchsten Steuersätze seit 70 Jahren

Viele Torys können Sunak vor allem nicht verzeihen, dass er mit weiteren Steuererhöhungen dem Vereinigten Königreich die höchsten Steuersätze seit 70 Jahren beschert hat – mit vagen Versprechen für Steuersenkungen irgendwann nach den nächsten Wahlen, die bis Ende 2024 fällig sind. In den Arbeiterbezirken Nord- und Mittelenglands, in denen die Konservativen 2019 erstmals große Teile der Wählerschaft für sich gewannen, macht sich wiederum Unruhe breit, weil man dort nicht mehr davon überzeugt ist, dass die Torys den „zurückgebliebenen“ Landesteilen in der Weise helfen wollen, wie es Boris Johnson einmal versprach.

Versteht der Milliardär Sunak die Lage der mittellosen Briten?

Immer mehr Wähler in diesen Landstrichen haben in den letzten Monaten den scharfen Anstieg der Energiepreise und generell der Lebenshaltungskosten am eigenen Leib zu spüren bekommen. Sie befürchten, dass Sunak, der einer Milliardärsfamilie angehört, schlicht nicht begreift, was seine mittellosen Landsleute durchzustehen haben – und dass sich bereits abzeichnet, dass den sozial Schwachen immer weniger Unterstützung zuteilwerden soll.

Grundsätzlich haben die Rekordinflation, die hohen Steuern, die Krise der öffentlichen Dienste, der Verfall des Gesundheitswesens und der Beginn einer womöglich jahrelangen Rezession Großbritanniens Konservative nachhaltig verunsichert. Trotz des Neustarts unter Sunak liegen die Torys noch immer rund 20 Prozentpunkte hinter der Labour Party zurück. Viele Torys gehen davon aus, dass die Wähler ihnen die Turbulenzen der letzten Monate und die entsprechende Verschlimmerung der Krise nicht vergeben können – und dass die nächste Unterhauswahl praktisch schon verloren ist.

Sunak hofft, dass sich die Wirtschaftslage 2024 verbessert

Unter diesen Umständen muss eine beträchtliche Zahl an Tory-Abgeordneten um die Wiederwahl bangen. Wie man hört, sind viele schon jetzt auf Jobsuche, weil sie nicht glauben, dass Rishi Sunak „ein Wunder“ für sie bewirken kann. Sunak selbst klammert sich an die Hoffnung, dass sich bis 2024 die Wirtschaftslage verbessert und er, so es Zeichen neuen Aufschwungs gibt, das Schlimmste für die Konservativen verhindern kann. Immer weniger seiner Parteigänger sind allerdings davon überzeugt, dass es ihm gelingen wird, die Partei bis dahin zusammenzuhalten und das Land in ruhigere Gewässer zu steuern, wie er es versprochen hat.