Bürger und Kommunalpolitiker sind sich einig: Eine Lea auf dem geschützten Grünzug Schanzacker nahe Tamm und Asperg ist völlig undenkbar. Wie groß der Widerstand von allen Seiten ist, zeigte sich bei einer Demonstration am Mittwochabend.

Der Rathausplatz von Tamm konnte am Mittwochabend die Menschenmenge, die sich dort trotz des immer wieder einsetzenden Regens eingefunden hatte, gar nicht fassen. Gut, dass auch die Hauptstraße vorsorglich abgeriegelt wurde. Etwa 1200 bis 1300 Menschen, so die Schätzung eines der Polizisten vor Ort, sind dem Aufruf der Bürgerinitiative zum Protest gegen die Pläne des Landes gefolgt, auf dem Schanzacker eine Landeserstaufnahmestelle, kurz Lea, für bis zu 1500 Flüchtlinge zu errichten.

 

Damit wurden die Erwartungen der Veranstalter weit übertroffen – sie hatten für diese zweite Demo gegen die Lea beim Ordnungsamt Bietigheim-Bissingen nur 600 Teilnehmer angemeldet. Dennoch gab es keinerlei Probleme, alles verlief in geordneten Bahnen. Auch Parteisymbole waren auf ausdrücklichen Wunsch der Veranstalter nicht zu sehen. „Wir sind politisch neutral“, hatten sie zum Beginn der Demonstration erneut betont. So trat Burkhard Rübsamen, eigentlich Vorstandsmitglied der Tammer Grünen, ebenfalls nur als stellvertretender Vorsitzender des BUND Ludwigsburg auf, um den Widerstand aus Gründen des Umweltschutzes, der Landwirtschaft und der für die Bewohner des extrem dicht besiedelten Gebiets wichtigen Naherholung zu unterstreichen. Gegen die Landespläne haben sich alle Gemeinderatsfraktionen beider Städte deutlich ausgesprochen – zuletzt übrigens auch der Gemeinderat der Stadt Ludwigsburg.

Immer wieder brandete Applaus auf, es gab etliche Zwischenrufe, Trillerpfeifen gellten. Dabei waren keineswegs nur Ortsansässige vertreten. Als „Andy aus Tamm“, der als Mitglied der Bürgerinitiative die Veranstaltung moderierte, fragte, wer aus Asperg gekommen sei, reckte fast die Hälfte aller Anwesenden die Hände in die Höhe.

Widerstand von allen Seiten

Beide Städte wären massiv von der geplanten Lea betroffen, obwohl das landeseigene Gebiet Schanzacker, das als künftiger Standort im Gespräch ist, auf Ludwigsburger Gemarkung liegt. Denn erreichbar ist die landwirtschaftlich und als Naherholungsraum genutzte Fläche nur über Tamm und Asperg. Geschlossen traten nicht nur die Demonstranten aus beiden Städten auf, sondern auch die Bürgermeister Martin Bernhard (Tamm) und Christian Eiberger (Asperg). Sie teilten sich die Bühne und bedankten sich zum Schluss sogar im Chor bei den Anwesenden für ihre Unterstützung. Zuvor hatten sie abwechselnd die vier bekannten Hauptgründe gegen eine Bebauung des Gebiets Schanzacker mit einer Landeserstaufnahmestelle für Flüchtlinge vorgetragen.

Eine Flächenversiegelung in diesem Umfang – bis zu zehn Hektar – ist laut Eiberger nicht vertretbar. Der Grünzug diene nicht nur der Naherholung, sondern auch der Sicherung der Wasserversorgung, als Frischluftschneise und als Aufnahmefläche für Starkregen. Er sei auch im Hinblick auf den Klimawandel unverzichtbar. Damit gehe es auch um die Glaubwürdigkeit der Politik.

Erneut Kritik an Ludwigsburgs Oberbürgermeister

Die völlig fehlende Infrastruktur brachte Bernhard aufs Tapet. An den Bahngleisen eine Haltestelle, eine Brücke oder einen Tunnel zu errichten, wie es der Ludwigsburger Oberbürgermeister Matthias Knecht ins Gespräch gebracht habe, sei mehr als unrealistisch. „Die Geflüchteten werden in erster Linie unsere Infrastruktur in Anspruch nehmen, die Auswirkungen auf Ludwigsburg werden überschaubar sein“, rief der Tammer Rathauschef unter dem Beifall sowie in Richtung Ludwigsburg gerichteten Buhrufen und Hohngelächter der Demonstranten.

Ein dritter wichtiger Punkt: Die sozialen Aspekte. „Unsere ehrenamtlichen Strukturen der Flüchtlingsbetreuung sind jetzt schon sehr belastet; mit noch mehr Menschen wären sie völlig überfordert“, so Bernhard. Integrationsarbeit könne hier nicht funktionieren. Das Ganze habe vielmehr den Anschein eines „an den Rand der Markung gedrängten Ghettos. Wir befürchten einen sozialen Brennpunkt.“ Die Pläne des Landes führten schon jetzt zu Verunsicherung und Angst, wie viele Anrufe und E-Mails zeigten, die man ernst nehmen müsse.

Schon jetzt am Limit bei Flüchtlingen und Bevölkerungsdichte

Und schließlich die Finanzen. „Wir haben überschlägig einen dreistelligen Millionenbetrag errechnet“, sagte der Christian Eiberger. Der müsste aus Steuergeldern finanziert werden. Alles in allem, so Martin Bernhard: „Wir sind am Limit, es reicht!“

Der Landkreis sei ohnehin „Weltmeister im Flächenverbrauch“, betonte Rübsamen. 25 Prozent seien schon „bebaut, geschottert, asphaltiert.“ Asperg liegt mit einer Siedlungsdichte von 2325 Einwohnern je Quadratkilometer auf Platz eins, in Tamm sind es 1437, in Ludwigsburg 2149 Einwohner. Zum Vergleich: Deutschlandweit seien es nur 234 Menschen je Quadratkilometer, so Andreas Weiser alias Andy von der Bürgerinitiative. Man brauche eine europäische, besser noch eine weltweite Agenda zur Flüchtlingsthematik. Ein Termin für eine weitere Protestdemonstration stehe zwar noch nicht fest, aber eines sei sicher: „Wir werden nicht ruhen, bevor die Sache nicht vom Tisch ist.“

Dass das Problem nicht leicht zu lösen ist, hatte ein Asperger schon vor Beginn der Demo erkannt: „Fakt ist: irgendwo müssen sie hin. Aber niemand will sie aufnehmen.“

Zankapfel Lea

Ersatz für Ellwangen
 Weil die Lea in Ellwangen Ende 2025 schließt, sucht das Land händeringend nach einem Ersatzstandort. Die Suche verlaufe aber „ergebnisoffen,“ beteuerte Ministerin Marion Gentges.

Zwei Standorte
 Aus Sicht der Landesregierung kommen für eine neue LEA im Regierungsbezirk Stuttgart nur der Schanzacker oder das Krankenhausareal in Böblingen infrage. Das Einverständnis der Standortkommune sei grundsätzlich keine Voraussetzung für die Nutzung einer Liegenschaft als Landeserstaufnahmeeinrichtung, so Gentges auf eine Anfrage der Ludwigsburger Landtagsabgeordneten Silke Gericke.