Aus der Reihe prominenter Grünen-Politiker in Baden-Württemberg ist ein Papier herausgegeben worden, dass die Grünen stärker als bisher an marktliberale Positionen heranführt. Es gibt konkrete Vorschläge, wie die Grünen das Image als „Verbotspartei“ abschütteln könnten.

Stuttgart - Mitten in der Sommerpause ist bei den Grünen eine Debatte über einen Kurswechsel entbrannt. Nach den Stimmenverlusten bei Bundestags- und Europawahl will sich die Partei im Herbst neu positionieren. Ein Papier von Kerstin Andreae (Freiburg), stellvertretende Fraktionsvorsitzende im Bundestag, und der Wissenschaftsministerin Theresia Bauer (Heidelberg), beide vom realpolitischen Flügel, enthält nach Ansicht von Parteibeobachtern unverhohlen marktliberale Positionen.

 

Unter dem Titel „Freiräume schaffen und schützen“ rechnen sieben Autoren, zu denen auch Stefan Benzing, Büroleiter von  Landesumweltminister Frank Untersteller, gehört, mit der Vergangenheit ab, als die Partei als „Verbotspartei“ wahrgenommen wurde. Man debattiere nun darüber, „ob und wie wir Grünen uns in Abgrenzung zur Verbotspartei als liberale Kraft neu akzentuieren“. Der Veggie Day habe als Symbol für „grüne Bürgerbevormundung und Besserwisserei“ gewirkt, heißt es. Dabei seien es stets die Grünen gewesen, die dem Staat Grenzen setzten, wenn dieser dem Bürger zu nahe kam: „Dennoch, unser Wahlprogramm belegte eine ausgeprägte Regulierungsfreude.“

Gegen die grüne „Regulierungsfreude“

Die 60 000 Grünen-Mitglieder führen seit geraumer Zeit eine sogenannte Freiheitsdebatte, die am 19. September in einen Freiheitskongress der Bundestagsfraktion münden soll. Der Hintergrund dürfte auch das Verschwinden der FDP von der bundespolitischen Bühne sein. Noch im September soll eine Finanzkommission der Grünen ihre Arbeit aufnehmen und sich mit einer Neuausrichtung der selbst von Parteilinken als Desaster wahrgenommenen grünen Steuerpolitik befassen.

In dieser Lage kommt das Papier der Realos überraschend: Es gehe für die Grünen darum, den Freiheitsbegriff zu schärfen, schreiben sie. Grüne Politik beschränke sich nicht auf Abwehrrechte, sie schaffe Gestaltungsspielräume für jeden Einzelnen. Die ökologische Modernisierung sei auf den Markt angewiesen, auch wenn Preise die ökologische Wahrheit spiegeln müssten. Zwar seien bei Banken und Großkonzernen strenge Regularien angemessen, „aber wir Grünen müssen mutiger werden und Deregulierung und Entbürokratisierung nicht mit spitzen Fingern anfassen“.

Es könne nicht sein, dass eine Firmengründung in Deutschland 15-mal länger dauere als in Neuseeland. Grüne Politik müsse „Freiräume im Markt erhalten“. Den Kampf gegen die Datensammelwut sehen die Realos als ihr Topthema an: Es sei ein Bürgerrecht, nicht ausgespäht zu werden und keine Spuren im Netz zu hinterlassen. Mit dem linken Flügel bei den Grünen dürfte um den Freiheitsbegriff noch hart gerungen werden: Einer seiner Vertreter, Fraktionschef Anton Hofreiter, hat kürzlich mehr Wert auf die Gleichheit gelegt: Freiheit könne es nur in dem Maße geben, „in dem der Staat allen Einzelnen die gleichen Möglichkeiten gibt“.