CDU gegen Grüne – Gemeindetag gegen Städtetag: Ein bisher wenig beachtetes Detail im grün-schwarzen Koalitionsvertrag wirft die Frage nach dem Verhältnis von Stadt und Land in Baden-Württemberg auf.

Stuttgart - Baden-Württemberg gilt als Land mit ausgeglichenen Lebensbedingungen. Nirgends lebt man völlig abgehängt. Damit das so bleibt, haben Grüne und CDU in ihrem Koalitionsvertrag eine Änderung des kommunalen Finanzausgleiches vereinbart. Es geht um die Einführung eines so genannten Flächenfaktors – ein Kernanliegen der CDU. „Wir stärken Städte und Gemeinden mit einer relativ großen Fläche, auf der relativ wenige Menschen wohnen“, sagt CDU-Fraktionsvize Winfried Mack. Doch die Grünen rücken von dem Projekt ab: „Wir sehen den Flächenfaktor deutlich kritisch“, berichtet Vizefraktionschefin Thekla Walker. Ein neuer Koalitionsstreit zeichnet sich ab.

 

Dies ist die Idee: Städte und Gemeinden mit einer im Vergleich zur Einwohnerzahl großen Fläche sollen bei den Finanzzuweisungen des Landes einen Zuschlag erhalten, ansteigend ab 4000 Quadratmeter pro Einwohner. Nach dem Konzept der CDU-Landtagsfraktion, das unserer Zeitung vorliegt, kämen etwa 575 der 1101 Kommunen im Land in den Genuss zusätzlicher Mittel. Dafür wollen die Christdemokraten etwa 400 Millionen Euro jährlich bereitstellen. Fraktionsvize Winfried Mack hofft darauf, das Geld aus den Zuwächsen der kommunalen Finanzmasse schöpfen zu können, ergänzend direkt aus dem Landesetat. Bei den größeren Städten stößt der Flächenfaktor auf wenig Gegenliebe, weil sie fürchten, letztlich gehe der CDU-Plan zu ihren Lasten. Denn die Einwohnerzahl wird schon jetzt im kommunalen Finanzausgleich berücksichtigt. Stuttgart zum Beispiel bekommt als einzige Stadt der Größenklasse „über 500 000 Einwohner“ pro Einwohner 187 Prozent des Grundbetrags. Städte zwischen 200 000 und 500 000 Einwohner (Freiburg, Karlsruhe, Mannheim) erhalten 162 Prozent. Ihre Begründung findet diese Regelung in der Zentralitätsfunktion großer Kommunen.

Städtetag versus Gemeindetag

Der Flächenfaktor wirke „nicht zielgenau“ und gehe „teilweise am Bedarf vorbei“, sagt Timo Jung vom Städteag. Das Geld werde nach dem Gießkannenprinzip verteilt, der Flächenfaktor bringe eine „völlig inakzeptable Umverteilung“ mit sich. Was den kleineren Kommunen gegeben werde, müsse den größeren genommen werden. Sinnvoller sei es, die bestehenden Förderprogramme flächenorientiert auszugestalten. Gerade dies lehnt Gemeindetagspräsident Roger Kehle als Politik der „goldenen Zügel“ ab, weil „man vor Ort am besten weiß, wie man das Geld einsetzen muss“. Der Gemeindetag unterstütze den Flächenfaktor, sagt Kehle.

Glafaserkabel und Ärztehäuser für die Landgemeinden

CDU-Fraktionsvize Mack sieht besondere Lasten bei den großen Flächenkommunen, die in vielen Teilorten die Infrastruktur erhalten müssten. Ihre Stärkung nütze auch den Ballungsräumen. Dort stiegen Mieten und Baupreise ins für Normalverdiener Unbezahlbare, der Verkehr werde zur Qual. Mack sieht neue Aufgaben auf die Flächenkommunen zukommen. Sie müssten „das Marktversagen beim Ausbau der Glasfasernetze auswetzen“, Ärztehäuser bauen, ökologische Flächen sichern und Naturschutzflächen dulden, „die ihnen die Chance nehmen, Bauland auszuweisen“. Grünen-Fraktionsvize Thekla Walker hält dagegen: „Dass Gemeinden mit überdurchschnittlicher Fläche finanziell schlechter dastehen lässt sich nicht feststellen.“ Das von Edith Sitzmann (Grüne) geführte Finanzministerium spielt auf Zeit: Alles müsse „verfassungsgemäß und gerichtsfest“ sein und „gründlich vorbereitet“ werden.