Die Grünen sind zerrissen: Sie regieren in sieben Ländern, im Bund sind sie Opposition. Ein Spagat, sagt Parteichefin Simone Peter vom linken Flügel, eine Chance sagt Tarek Al-Wazir, Realo und Wirtschaftsminister in Hessen.

Berlin - Ein gelb gestrichener Altbau in Berlin-Mitte: die 81 Stufen der Holztreppe hinauf zum Büro von Simone Peter knarren wie ein Frühwarnsystem: Besuch kommt! Kürzlich hat Baden-Württembergs Ministerpräsident Winfried Kretschmann die Grünen zur klassischen Wirtschaftspartei erklärt. Da müssten sich einer „links verorteten“ Grünen, wie Simone Peter von sich sagt, eigentlich die Nackenhaare sträuben und nun eine gelbe Bundesgeschäftsstelle? Wird der FDP noch die Farbe geklaut? Simone Peter (48), gemeinsam mit Cem Özdemir Parteivorsitzende, öffnet ein Fenster ihres kleinen Büros, um den Geruch eines asiatischen Nudelgerichts zu vertreiben und lacht: „Nein. Unsere Fensterrahmen sind doch grün!“

 

Auf den Rahmen kommt es an, auch bei den Grünen, und darin ist viel erlaubt oder auch nicht. Nur ein Blick in die vergangenen Wochen: Cem Özdemir witzelt über „Yogamatten“ und tritt für Waffenlieferungen an die Kurden ein, der linke Flügel ist entgeistert. Ex-Parteichef Jürgen Trittin bezeichnet den vom realpolitischen Flügel dominierten Landesverband im Südwesten als „Waziristan“ – der empört sich über die „Entgleisung“. Winfried Kretschmann fädelt den Asylkompromiss im Bundesrat ein – Vertreter der linken Grünen rügen das als „unanständig“. Es knallt an allen Ecken, und Simone Peter mischt mit: Als ihr Kollege Özdemir kürzlich Lob für Joachim Gaucks Linksparteien-Schelte fand, da keilte sie zurück. Der Präsident müsse neutral sein.

Der Erfolg in den Ländern vertieft die Gräben

Ein Duell an der Führungsspitze, Risse in der Partei? Simone Peter wehrt das alles ab, mit dem „Cem“ verstehe sie sich gut: „Wir Grüne stehen für eine lebendige Debattenkultur. Ich möchte den Diskurs moderieren, aber nicht ersticken.“ Und das letzte Jahr sei erfolgreich gewesen. Man habe nach dem 8,4-Prozent-Ergebnis der Bundestagswahl 2013 ein „großes Personaltableau“ gedreht, Wahlen

Die Grünen-Chefin Simone Peter kennen nur 37 Prozent der Deutschen. Foto: dpa
zweistellig gewonnen, werde im achten Land an einer Regierung beteiligt sein. Aber gerade der Erfolg in den Ländern vertieft die Gräben. Hier starke Landesgrüne, dort die schwache Bundespartei, die kleinste Oppositionsfraktion im Bundestag – ein Quell für Unrast. Die einen wollen pragmatisches Handeln, die anderen Visionen. „Es ist ein Spagat. Den müssen wir aushalten und nutzen“, sagt Simone Peter. Die Grünen in den Kabinetten zeigten „best practice“ grüner Politik, aber es sei die Bundespartei, die Themen setzen müsse. Gelegentlich raufen sich ja alle zusammen, etwa bei der EEG-Novelle, als Bundes- und Länder-Grüne ein Ausbremsen der Windkraft gemeinsam verhinderten. Man habe da viel konferiert.

Simone Peter war von 2009 bis 2012 Ministerin für Umwelt, Energie und Verkehr im Saarland, wo ihr Ehemann und ihr Sohn noch wohnen, sie sieht sie nur am Wochenende. Wer mit ihr spricht, der spürt, wie sie den Job geliebt hat, das „aktive Regierungshandeln“. Sie habe in ihrem Ministerium mehr als 2000 Mitarbeiter gehabt. Jetzt hat sie vier, aber 61 170 Parteimitglieder. Nun führt sie Debatten, sucht Themen, macht Pläne und muss in die Bütt, wenn was schiefläuft. Anders als Özdemir hat die Saarländerin kein Bundestagsmandat, sie muss sich ihre Bühne suchen, im Wahlkampf, bei Neujahrsansprachen. Ein schwieriger Job. Immer noch ist sie weitgehend unbekannt. Laut einer Forsa-Umfrage kennen sie 37 Prozent der Deutschen, ein schwacher Wert.

Ein Streitgespräch in der Heinrich-Böll-Stiftung

Am Abend moderiert sie vor 100 Zuhörern in der Heinrich-Böll-Stiftung in Berlin ein Streitgespräch zwischen Verdi-Chef Frank Bsirske mit dem Grünen-Finanzexperten Gerhard Schick. Deren Dissens beim Thema Regulierung der Finanzmärkte ist minimal. Simone Peter ist ein Kopf größer als die beiden, aber im Sessel wirkt sie klein. Sie stört die Einigkeit der Diskutanten nicht, entwirft keine Thesen – Energiewende ist ihr Fach – sie fragt Positionen ab. Als Bsirske über ineffektive Finanzämter berichtet, hakt sie ein: „Das kann ich aus meiner Erfahrung als Landesministerin voll bestätigen!“

Beim Grünenparteitag, der an diesem Freitag in Hamburg beginnt, wird auch Simone Peter ihren Auftritt

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haben. Es wird um softe Themen wie „Gesundes Leben“, „Freiheit“, „die Mehrung des Zeitwohlstandes“ und die Krisen der Welt gehen. „Es wird spannend“, verspricht Simone Peter. Wirklich? Über die steuerpolitische Programmatik, Rohrkrepierer bei der Bundestagswahl 2013, will die Partei erst 2016 entscheiden. Man wolle nicht den Fehler machen, zu früh zu starten.

Aber wer die Parteichefin nach dem grünen Markenkern fragt, hört zunächst das Wort „Gerechtigkeit“, genauer gesagt „generationenübergreifende Gerechtigkeit“. Daraus leitet sie alles ab: Klimaschutz, die ökologische Modernisierung der Wirtschaft, die Verteilungsgerechtigkeit. Doch wer die Ziele durchsetzt, das ist offen. Nach dem Abtreten von Leitfiguren wie Jürgen Trittin, Claudia Roth und Renate Künast ragt keiner aus der neuen Führungsriege hervor. Wo sind die Alphatiere? „Auch grüne Alphatiere waren nicht von Anfang an welche. Ich bin vor einem Jahr in die Bundespolitik eingetreten, Jürgen Trittin und Claudia Roth taten dies in den 90er Jahren“, sagt Simone Peter. Soll das heißen, sie wolle ebenfalls zur Leitfigur aufsteigen? Simone Peter lacht ihr breites, aufrichtiges Lachen: „Kein Kommentar!“

Tarek Al-Wazir will den Mittelstand fördern

Ortswechsel, Szenenwechsel: der hessische Wirtschafts-, Energie und Verkehrsminister Tarek Al-Wazir (43) gibt dem Berichterstatter freundlicherweise einen Lift in seiner schwarzen Dienstlimousine, einem 5er BMW (CO2-Emission 109 Milligramm). Es geht von Wiesbaden zur Wiedereröffnung einer für fünf Millionen Euro sanierten Autobahnbrücke über dem Dill-Tal bei Wetzlar. Dabei wird man Zeuge des souveränen nicht unflotten Fahrstils von Al-Wazirs Fahrer, der sich fast nur auf der linken Spur bewegt, denn der Minister ist eigentlich ständig unter Termindruck. Es gebe Wochen, sagt Al-Wazir, da sei er nur drei Stunden im Ministerium, das Auto sei sein Büro. An diesem Tag sind es vier Außentermine und eine Fraktionssitzung. Vergangene Woche war Al-Wazir mit einer 70-köpfigen Delegation – meist aus dem Finanzsektor – in China. In Frankfurt hat gerade eine Clearing-Stelle eröffnet, wo Firmen ihre Geschäfte in China in der chinesischen Währung abwickeln können. „Das bringt neue Jobs und erleichtert dem Mittelstand das Geschäft“, freut sich Al-Wazir.

Jetzt aber die Brücke: Al-Wazir durchschneidet ein schwarz-rot-goldenes Band, hält vor 30 Honoratioren eine Rede unter einem Zeltdach: „Der Zustand unserer Straßen verlangt, dass wir ihrem Erhalt Priorität geben vor Neubauten.“ Es wird applaudiert. Auf dem Weg zum Auto kann sich Al-Wazir ein Grinsen nicht verkneifen: Unter den Klatschenden waren zwei CDU-Landtagsabgeordnete, die zu den Konservativsten der Region gehören – einer fiel schon durch ausländerfeindliche Bemerkungen auf. Aber hier spenden sie ihrem grünen Minister, dessen Vater ein Jemenit ist, brav Beifall. Ein Amt bringt Respekt.

Elf Monate Amtszeit haben Spuren hinterlassen

Tarek Al-Wazir sieht die Beteiligung an Länderkabinetten als große Chance, er führt das bisher einzige Experiment einer schwarz-grünen Koalition: „Wir zeigen, dass Grüne regieren und etwas bewegen. Das ist anstrengend, aber ich bin sicher, dass unsere grünen Erfolge wahrgenommen werden.“ Elf Monate Amtszeit hat er hinter sich, Spuren hat er hinterlassen: ein Bündel von Maßnahmen für den Lärmschutz am Frankfurter Flughafen, Vorrang für erneuerbare Energien, Förderung kleiner Betriebe, Beschluss für zwei hessische S-Bahn-Linien. „Wenn ich Glück habe, erlebe ich den Spatenstich noch in meiner Legislaturperiode.“ Manchmal seien es kleine Maßnahmen, die stark wirkten, sagt Al-Wazir: „Da hatten wir drei Millionen Euro Restmittel der EU: Die nutzten wir, um die Straßenbeleuchtung in Gießen und Marburg komplett auf LED umzustellen.“ Das habe doch Signalwirkung für andere Städte.

Al-Wazir ist ein Realpolitiker wie aus dem Bilderbuch, ein Macher, kein Ideologe. Seiner Partei rät er, sie solle überdenken, wie „sie auf die Mehrheit“ wirke. Statt Verbote (Veggie-Day) zu erlassen, müsse man Anreize schaffen. „Wer mehrheitsfähig sein will, muss die Menschen überzeugen.“ Die alte Kampagne „Staufreies Hessen 2015“ hat er flugs umtaufen lassen in „Mobiles Hessen 2020“ – das schließt den ÖPNV mit ein.

Die Angst der Grünen vor mehrheitsfähigen Position

Vom Ausbau des Schienennetzes, da ist er sicher, könnte er selbst „eingefleischte Autofahrer“ überzeugen, denn er würde Straßen entlasten. Die Grünen dürften keine Angst vor mehrheitsfähigen Positionen haben, sagt der Minister. Angst vor der Mehrheit? Ja, richtig. Das gebe es bei den Grünen: „Bei uns gibt es manche, die meinen, wenn sie eine mehrheitsfähige Position haben, waren sie nicht radikal genug.“ Al-Wazir aber strebt nach Mehrheiten. Er war 2013 in Umfragen vor Ministerpräsident Volker Bouffier zum populärsten Politiker Hessens gekürt worden. Der „Kern“ grüner Politik sei die Ökologie, sagt Al-Wazir, sie sei der Dreh- und Angelpunkt.

Am Abend eröffnet er im Business-Center „The Squaire“ am Frankfurter Airport die „Gründerwoche für Deutschland“. 200 Gäste in Nadelstreifen sind da. Al-Wazir bewegt sich hier wie ein Fisch im Wasser, hat eins der drei Foren mit dem Thema „Grüne Start-ups – Geschäftsmodelle für die Zukunft“ bestücken lassen. Der Minister verspricht eine verlässliche Wirtschaftspolitik, lobt den Unternehmergeist und die Innovationsfreude: „Sie treiben die Wirtschaft voran.“ So hätte es auch ein liberaler Politiker sagen können.