Die dreifache Mutter und Grünen-Politikerin Kerstin Andreae beklagt, dass in Deutschland so negativ übers Elternsein und Kinderkriegen geredet werde.

Berlin – - Kerstin Andreae muss ihr Bundestagsmandat, den stellvertretenden Fraktionsvorsitz und die Familie unter einen Hut bringen. Sie findet ihr turbulentes Leben aber spannend.
Frau Andreae, darf ich Ihnen ein Zitat vorlesen?
Gerne.
„Alles, was ich über das Kinderhaben höre und lese, ist so furchteinflößend, dass ich manchmal denke: Man muss ja total wahnsinnig sein, auf die Idee zu kommen, wirklich ein Kind zu kriegen.“ Das hat eine 29 Jahre alte kinderlose Journalistin geschrieben.
Daraus spricht eine Resignation, die ich sehr traurig finde. Ich kenne die junge Frau nicht, und es liegt mit fern, ihr irgendwelche Ratschläge geben zu wollen. Aber das Zitat zeigt, dass offensichtlich etwas grundlegend schief läuft.
Was läuft schief?
Die gesellschaftliche Debatte über die Familie stellt stark auf Probleme, Schwierigkeiten, ungelöste Aufgaben und Sorgen von Eltern ab. Man sieht das ja auch an den vielen Büchern über Kinder, die angeblich nur vor dem PC sitzen, zu wenig Sport machen, ihre Eltern tyrannisieren und so weiter. Das alles wird aber in dieser Einseitigkeit der Wirklichkeit nicht gerecht. Ja, Familie ist anstrengend und aufreibend, und Familie und Beruf unter einen Hut zu bekommen, ist oft nicht einfach. Trotzdem sind Kinder und Familie etwas Wunderbares.
Woher rührt der einseitige Charakter der Debatte, von dem Sie sprachen?
Ich glaube, das liegt an dem raschen Wandel. Noch in der Generation meiner Mutter war Kinderbetreuung kaum verbreitet, und bei unter Drei-Jährigen gab es sie überhaupt nicht. Das ist in meiner Generation schon ganz anders. Mit dem schnellen Wandel kommen aber neue Fragen auf: Wo ist ein guter Krippen- oder Kitaplatz? Wie gestaltet sich Familienleben, wenn die Kinder später, als es früher üblich war, aus der Schule kommen? Wann ist Zeit für gemeinsame Mahlzeiten oder gemeinsame Unternehmungen? Wie schaffen es Mütter und Väter, sich nicht zwischen den Anforderungen im Beruf und den Bedürfnissen ihrer Kinder und ihrer eigenen Bedürfnisse aufzureiben? Auf diese neuen Fragen Antwort zu finden, ist manchmal auch deshalb schwer, weil wir uns in Deutschland mit einer Toleranz im Familienbild so schwer tun.
Was meinen Sie?
Es gibt diese ungute Tradition, dass Anhänger des einen Bildes das andere nicht respektieren. Das ist der berühmt-berüchtigte Konflikt zwischen der Rabenmutter einerseits und dem Heimchen-am-Herd andererseits. Warum schaffen wir es nicht, es einfach den Eltern selbst zuzutrauen, dass sie am besten wissen, was für sie und ihre Kinder gut ist? Die einen Eltern entscheiden aus ihrer individuellen Lage und dem Wesen des Kindes heraus, dass es früh in eine Krippe oder Kita gehen kann, andere Eltern kommen aufgrund ihrer individuellen Lage zu einer anderen Entscheidung. Und beides verdient Respekt. Damit tun sich – übrigens im Lager der Konservativen wie bei den Fortschrittlichen – viele schwer, weil es in Deutschland gerade mit Blick auf Familie und Erziehung oft so ist, dass allgemeine Regeln und Lehrsätze verkündet werden. Das geht so weit, dass manchmal Wildfremde Eltern Ratschläge geben, was sie zu tun oder zu lassen haben - und zwar leider oft mit dem bedrohlich klingenden Unterton, dass man dem Kind schade, wenn man den Rat nicht annehme. So entstehen Klischees und der Eindruck, als sei Familie etwas Riskantes, bei dem man ganz viel falsch machen könne. Am Ende wird es furchtbar verkrampft, was junge Leute dann erschreckt. Vielleicht ist das mit ein Grund für die Resignation der Frau, deren Zitat Sie mir vorgelesen haben. Doch meine Erfahrung ist eine andere als Verzagtheit oder Angst vor Überforderung.
Wie sieht die aus?
Das meiste, was man als Eltern im normalen Alltag macht, macht man aus dem Bauch heraus. Und das meiste davon ist völlig richtig. Ich weiß, dass das „meiste“ nicht „alles“ ist. Jeder Mensch macht Fehler, und so machen sie auch Eltern. Es hat sich da aber in der Erziehung ein Punkt verbessert. Früher wurde es oft als Gefährdung der elterlichen Autorität angesehen, Schwäche oder einen Fehler einzuräumen. Heute ist das zum Glück anders. Mütter und – anders als früher – gerade auch die Väter, können mit ihrem Kind darüber sprechen, wenn sie ungerecht, ungeduldig oder einfach nur mal müde waren. Eltern-Sein ist an dieser Stelle ehrlicher, menschlicher geworden, was in der allgemeinen gesellschaftlichen Debatte aber nie erwähnt wird. Da machen zu oft negative Klischees die Runde.
Ist das wirklich so? Was Sie schildern, ist sehr idealistisch.
Das ist es kein bisschen. Ich finde es nur wichtig, beim Blick auf die Wirklichkeit eben auch zu sagen, was es an Schönem gibt und was sich verbessert hat. Natürlich bleiben real trotzdem Aufgaben und schwierige Umstände. Nach wie vor ist es leider so, dass junge Frauen Sorge haben müssen, im Beruf Nachteile zu erfahren, wenn sie ein Kind bekommen. Nach wie vor stehen gerade Alleinerziehende in einer besonderen Belastung. Und jeder weiß, wie stark der Konsumdruck ist, den viele Kinder und Jugendliche spüren – das ist der Druck, die angesagte Jeans, das angeblich coole Handy oder das neueste Computerspiele haben zu müssen. An der Stelle ist es für Familien nicht einfacher, sondern schwerer geworden: Diesen Konsumdruck habe ich selbst als Jugendliche so nicht erlebt und auch den Freizeitstress, den viele Jugendliche heute haben, gab es, früher, meine ich, nicht in dieser Form. Die Frage ist aber, wie wir damit umgehen. Lässt man sich davon entmutigen oder versucht man, sich dem zu stellen und für sich einen Weg zu finden, damit umzugehen, was ja auch heißen kann, dass man nicht mitmacht, was angeblich so wichtig ist.
Sie sagen, dass Ihre Position realistisch sei. Zur Realität gehört auch, dass in den Großstädten die Mieten steigen, während die Einkommen vieler Arbeitnehmer stagnieren.
Genau deshalb muss die Politik immer darauf achten, dass der finanzielle Rahmen für Eltern stimmt. Mit dem Kita-Ausbau ist da auch viel erreicht worden.
Nochmal zum Stichwort Realität. Sie argumentieren auf dem Hintergrund einer gut bezahlten Bundestagsabgeordneten, die sich viel Hilfe einkaufen kann.
Die Abgeordnetendiät macht mich aber nicht blind oder abgehoben. Für mich ist eine gute Kinderbetreuung der entscheidende Schlüssel. Allen Müttern und Vätern, die dies wollen, muss es möglich sein, im Erwerbsleben zu bleiben und Geld zu verdienen. Familie und Beruf unter einen Hut bringen zu können, ist ja nicht etwas Exklusives für Abgeordnete, sondern soll allen möglich sein. Mir leuchtet sehr ein, was Norbert Schneider vom Bundesinstitut für Bevölkerungsforschung an Erkenntnissen gewonnen hat.
Wie sehen die aus?
Schneider betont, dass das Betreuungsangebot, die finanzielle Lage von Familien, aber auch das gesellschaftliche Klima die Punkte sind, die junge Paare erwägen, wenn sie über Kinder nachdenken. Dass es beim Klima hapert, habe ich ja schon gesagt. Deshalb sage ich auch frank und frei, dass Kinder und Familie etwas Wunderbares sind – auch wenn ich weiß, welcher Einwand dann vielleicht kommt.
Wie lautet der?
Dass ich rosarote Schönfärberei betriebe. Aber meine Kinder sorgen schon dafür, dass ich nicht ins Wolkenkuckucksheim verschwinde (lacht). Die sind lieb und frech, anstrengend und entspannend, zornig und fröhlich, wild und anlehnungsbedürftig, es gibt Konflikte und Streit genauso wie innige Nähe und Kuscheln. Meine Kinder machen mich glücklich.