Das Bundesverfassungsgericht beanstandet die Grundsteuer, lässt aber einen langen Übergangszeitraum zu. Auch in Baden-Württemberg müssen mehrere Millionen Wohnungen und Häuser neu bewertet werden.

Berlin - Es gibt wohl kaum eine Steuer, deren Festsetzung so vom Zufall abhängt wie die Grundsteuer. Dass zwei Immobilien, die identisch im Wert sind, vom Finanzamt unterschiedlich bewertet werden, ist bei der Grundsteuer die Regel. Betroffen ist das gesamte Bundesgebiet, doch besonders augenfällig ist die ungleiche Besteuerung in der Hauptstadt: Dort entscheiden oft einige Meter, wie hoch die Grundsteuer ausfällt. Die Bemessungsgrundlagen für Ost und West weichen voneinander ab. Doch auch bei Grundsteuerbescheiden für westdeutsche Immobilien gibt es Differenzen.

 

Das Bundesverfassungsgericht entschied über Fälle in den alten Ländern, die dem Gericht vorgelegt worden sind. Aus dem Urteil geht aber hervor, dass es zu steuerlichen Verzerrungen auch in den neuen Ländern kommt. So gehört es zum Alltag in den Finanzämtern, dass Besitzer einer neuen Eigentumswohnung nicht selten mehr Grundsteuer berappen müssen als der Eigentümer eines alten Hauses in derselben Stadt. Das Gesetz, das diese Ungleichbehandlung vorsieht, ist vom Bundesverfassungsgericht gekippt worden.

Betroffen sind Mieter und Eigentümer

Betroffen sind Eigentümer und Mieter gleichermaßen. Die Grundsteuer wird auf die Nebenkosten bei der Miete umgelegt, sodass eine Erhöhung alle Bürger treffen würde. Dass die Grundsteuer in vielen Fällen steigen dürfte, steht außer Frage. Weil die Grundlagen der Besteuerung hoffnungslos veraltet sind, ist absehbar, dass die Steuer steigt. Tobias Schneider, Steuerberater und Partner der Kanzlei CMS, rechnet damit, dass die Grundsteuer insbesondere für Immobilien steigt, deren Wertentwicklung in den letzten Jahrzehnten überproportional gut war. Niemand kann genau voraussagen, wie sich die Entscheidung des Verfassungsgerichts auswirkt. Der Gesetzgeber muss erst seine Hausaufgaben machen. Karlsruhe verlangt, dass bis Ende 2019 ein neues Gesetz vorgelegt wird. Das Gericht zeigt sich zugleich großzügig, denn bis Ende 2024 dürfen die heutigen Regeln übergangsweise bestehen bleiben. Das nehmen Bund und Länder mit Erleichterung auf. Schließlich müssen in den nächsten Jahren 35 Millionen Grundstücke in Deutschland neu bewertet werden – allein in Baden-Württemberg sind es 5,5 Millionen Wohnungen und Häuser. Das ist für die Verwaltung ein enormer Kraftakt.

Der Grund dafür ist banal. Die Einheitswerte, auf denen die Grundsteuer beruht, sind im Westen mehr als 50 Jahre alt, im Osten sogar mehr als 80. Die Werte für die Immobilien stammen im Westen aus dem Jahr 1964 und im Osten von 1935. Über Jahrzehnte hinweg sind die Werte nicht mehr angepasst worden, obwohl ein Gesetz vorsieht, dass alle sechs Jahre aktualisiert wird. Wegen des Aufwands ist das aber nie geschehen. Das kritisiert das Verfassungsgericht, das von einer nicht-funktionierenden Bewertung spricht. Die Folgen sind klar: Wertentwicklungen bei Immobilien werden bei der Steuer nicht mehr abgebildet. Ein Teil der Eigentümer zahlt zu viel, ein anderer Teil zu wenig. Darin liegt die Ungleichbehandlung. Für Städte und Gemeinden geht es um einen Pfeiler ihrer Finanzen. Das Aufkommen der Grundsteuer wird in diesem Jahr auf 13,9 Milliarden Euro geschätzt. Damit liegt diese Steuer nach der Gewerbesteuer auf Rang zwei der kommunalen Einnahmen. Für die Kommunen ist die Steuer auch deshalb lukrativ, weil sie von Jahr zu Jahr stetig zunimmt. Die Zahl der Wohngebäude wächst.

Das Verfassungsgericht in Karlsruhe liest dem Gesetzgeber mit der Entscheidung die Leviten. Die Steuerpflichtigen müssten gleichmäßig belastet werden. Bei den Einheitswerten komme es darauf an, dass sie in regelmäßigen Abständen an die allgemeine Wertentwicklung angepasst würden. Das sei ein zentrales Element, gegen das flächendeckend verstoßen werde. Mit der langen Übergangsfrist zeigt Karlsruhe dennoch gegenüber der Politik Milde.

Seit 15 Jahren nehmen Länder Anlauf für Reform

Seit 15 Jahren nehmen die Bundesländer immer wieder Anlauf für eine Reform. Weil die Politik den Zorn der Betroffenen fürchten, kamen die Länderfinanzminister nicht voran. Der Bund hielt sich bisher ganz heraus. Die Grundsteuer steht allein den Gemeinden zu, die von den Ländern vertreten werden. Mit der Entscheidung des Verfassungsgerichts ist auch Bundesfinanzminister Olaf Scholz (SPD) verantwortlich dafür, dass das Urteil umgesetzt wird. Entscheidend dürfte aber die Verständigung der Länder untereinander sein. In der Vergangenheit konnten sie sich nicht auf ein Modell einigen. Immerhin brachte der Bundesrat unter der Federführung Hessens und Niedersachsens 2016 einen Gesetzentwurf auf den Weg. Weil sich aber Bayern und Hamburg querstellten, verfolgte der Bundestag das Vorhaben nicht weiter.

Bei der mündlichen Anhörung in Karlsruher machten Bund und Länder geltend, dass es zehn Jahre dauert, bis alle Grundstücke neu bewertet sind. So viel Zeit hat die Politik jetzt nicht. Bund und Länder werden daher prüfen, ob sie ein vereinfachtes Verfahren zur Wertermittlung finden. Dies lässt das Verfassungsgericht ausdrücklich zu. Bayern spricht sich sogar dafür aus, die Grundsteuer von den Immobilienpreisen ganz zu entkoppeln. Die Steuer solle sich nur nach Grundstücksgröße und Geschoßfläche richten, um in Zeiten steigender Immobilienpreise Steuererhöhungen durch die Hintertür abzuwenden. Die SPD-Länder plädieren dagegen dafür, die Steuer von Immobilienwerten abhängig zu machen. Der FDP-Finanzpolitiker Florian Toncar warnt vor generellen Steuererhöhungen: „Eine Reform darf nicht dazu führen, dass einige genauso viel Grundsteuer zahlen wie bisher und alle anderen mehr.“