Zwei Männer fliehen vor einer Beziehungskrise nach Afrika: Gunther Geltingers Roman „Benzin“ führt mitten ins Herz einer dunklen Seele.

Stuttgart - Alexander und Vinz sind eigentlich das perfekte Paar. Sie scheinen sich ideal zu ergänzen: Der Biologe Alexander gleicht mit seiner rationalen Lebenseinstellung das Gefühlschaos aus, in das sein Partner Vinz die Beziehung der beiden immer wieder zu stürzen droht. Vinz ist Schriftsteller und hat bereits zwei mäßig erfolgreiche Romane geschrieben, in denen er die Höhen und Tiefen ihrer schwulen Zweierbeziehung vor den Lesern ausgebreitet hat. Doch was nun? Beide Männer sind inzwischen mit Mitte vierzig in einem Stadium angelangt, in der sich nach den Krisen des Erwachsenwerdens und dem ersten Verliebtsein die Mühen der Ebene eingestellt haben.

 

Am Beginn von Gunther Geltingers Romans „Benzin“ – es ist sein dritter nach „Mensch Engel“ (2008) und „Moor“ (2013) – steht eine veritable Midlife-Crisis. Die scheint schwule Männer noch stärker zu treffen als Heteropaare, weil der Jugendkult in der homosexuellen Szene es ihnen noch schwerer macht, sich mit der nachlassenden körperlichen Attraktivität zu versöhnen, und keine Kinder von den trüben Gedanken ans Älterwerden ablenken. Vinz hat sich zwar über eine Dating-App einen zwanzig Jahre jüngeren Studenten angelacht, aber dieser Manuel macht die Sache nur noch komplizierter. Aus dieser Beziehungskrise, die sich zu einer Existenz- und Schreibkrise für den Schriftsteller auswächst, der Trauer darüber, „dass alles weitergeht wie bisher“, versuchen Alexander und Vinz durch eine gemeinsame Reise auszubrechen, die sie einige Wochen durch Südafrika und Simbabwe führen soll.

Ausbeutung und Rassismus

Der Roman „Benzin“, der aus der Perspektive von Vinz von dieser Reise erzählt, lässt sich auf drei verschiedenen Ebenen lesen. Auf der realistischen Ebene ist er ein Reiseroman, der die beiden Männer mit einer Welt konfrontiert, die zugleich fremd und vertraut ist. Alexander und Vinz sind sich bewusst, dass sie als weiße Touristen nicht unbefangen durch Afrika reisen können. Im Gepäck führen sie eine Vergangenheit von kolonialer Ausbeutung und Rassismus mit sich, aber, geprägt durch die großen Afrikaromane von Joseph Conrads „Herz der Finsternis“ bis zu Paul Bowles „Himmel über der Wüste“, auch eine Geschichte der Faszination durch das Fremde und das Bild des edlen Wilden.

Dieser edle Wilde nimmt dann unerwartet Gestalt an in der Person von Unami, einem 25-jährigen Anhalter, den Alexander und Vinz bei der Fahrt mit ihrem Mietwagen gleich am ersten Abend beinahe überfahren hätten. Ihr schlechtes Gewissen zwingt sie dazu, den Verletzten im Auto mitzunehmen und sich um ihn zu kümmern. Mit dem neuen Mitfahrer, der sich ihnen als Reiseführer anbietet, kommen sie immer weiter ab von den touristischen Reiserouten. Unami, so stellt sich heraus, stammt aus Simbabwe und hat sich wegen der katastrophalen politischen und wirtschaftlichen Lage dort illegal nach Südafrika abgesetzt. Jetzt will er zurück in sein Heimatland und überredet die beiden deutschen Touristen, ihn dorthin mitzunehmen, mit dem Versprechen, ihnen die weltberühmten Victoria-Wasserfälle zu zeigen.

Kosmische Katastrophe

Auf einer zweiten, tieferen Ebene aber erzählt „Benzin“ eine Geschichte, die man in der altfranzösischen Literatur eine „queste“ genannt hätte: Die Suche nach dem Heiligen Gral. Der stammt hier aus der afrikanischen Mythologie und verkörpert sich im Flussgott Nyami Nyami: einem Wesen, das in zwei Gestalten auftritt, sich während der Trockenzeit als Schlange, während der Regenzeit als Fisch zeigt. Allerdings hat ihn schon lange niemand mehr gesehen, denn seit dem Bau des großen Sambesi-Staudamms, so besagt die Legende, hat er sich an eine unzugängliche Stelle unter den Victoriafällen zurückgezogen. Und genau dorthin zieht es Vinz, erst dort hofft er, die Lösung für seine Lebens- und Schreibkrise zu finden. Hier erreicht der Roman eine mythische Schicht, erzählt nicht mehr nur von der Beziehungskrise zweier schwuler Männer und einem Land unter dem Regime des Langzeitdiktators Robert Mugabe, sondern von einer geradezu kosmischen Katastrophe, einem „Kreislauf der Schuldigkeit“, einer Welt aus den Fugen.

Ist Benzin der Stoff, der die Reise von Alexander und Vinz vorantreibt und in ihr verbrennt, so ist Wasser das Element, das Erlösung verheißt. Vinz, so erfahren wir in Rückblenden, fühlt sich seit seiner Kindheit durch Wasserfälle angezogen. Wie in den Märchen und den großen Religionen verheißt das Untertauchen im Wasser beides: den Untergang des eigenen Selbst und die Wiedergeburt als ein anderer.

Damit wäre schließlich die dritte Ebene dieses Romans erreicht: Er handelt vom Abenteuer des Schreibens. Davon, dass es keine endgültige Erlösung im Leben gibt, sondern nur in der Schrift. „Nach zwei Romanen“, so heißt es von Vinz, „hat er kapiert, dass es nicht um Heilung geht; Ziel ist es, besser zu ertragen“. Schreiben bedeutet, „Klarheit über das zu erlangen, was ihn ohne eine ordnende Syntax zu überwältigen drohte“. Auch wenn offen bleibt, ob Vinz dem Flussgott im Wasserfall begegnen wird – dem ambitionierten, klug komponierten, sprachlich anspruchsvollen Roman, der von seiner Suche erzählt, wünscht man viele Leser.

Gunther Geltinger: Benzin. Roman. Suhrkamp Verlag. 378 Seiten, 24 Euro.