Wer mit „Stuttgart kaputtraven“ die wohl heftigste und hemmungsloseste Party an den Start gebracht hat, die diese Stadt jemals gesehen hat, kann sicherlich eine Menge erzählen und ist der perfekte Kanidat für unsere Gute-Nacht-Geschichte.

Stuttgart - Wenn sich in dieser Stadt einer mit Poetry Slam auskennt, dann er. Seit bald 20 Jahren veranstaltet Thomas Geyer (42) Slam-Poesie, erlebte den Hype um die Dichterwettstreits aus nächster Nähe mit, sorgte sogar ganz aktiv für den Aufstieg dieser Kunstform vom Underground-Phänomen zum Dauergast im Fernsehen und auf den großen Bühnen. Derzeit bereitet er sich auf die große Meisterschaft Slam 2016 vor, die die 110 besten Sprachakrobaten zum ultimativen Showdown in die Stadt holt, fand zwischendrin aber trotzdem einige Minuten, um sich auf ein Bier mit dem Stadtkind im Sutsche zu treffen und aus dem Nähkästchen zu plaudern.

 

 

Geyer ist nämlich nicht nur Poetry-Slam-Veranstalter, sondern auch der, der mitverantwortlich für die hemmungslose Party-Eskalation „Stuttgart kaputtraven“ oder für Reihen wie „Heute schon getanzt?“ ist. Dass man da mehr erlebt, als einem manchmal lieb sein kann, müssen wir wohl nicht extra sagen, oder?

 

Die Party aller Partys

 

Meine Partyreihe „Stuttgart kaputtraven“ erlebte 2009 einen irrsinnigen Hype und Zulauf. Nach vier Ausgaben in den Wagenhallen zog ich damals mit der Reihe um in den Keller Klub, zur Premiere dort spielte unter anderem die Band Frittenbude. Bereits zur Türöffnung standen etliche Hundert Leute vor der Türe und als ich eine knappe Stunde nach Beginn erstmals vom Backstage in den Club schaute, gab´s bereits die ersten Stagedive-Sprünge von der Bar und ich sah, wie ein Zuschauer affengleich festgeklammert an der großen Discokugel hing. Derart exzessiv ging es dann den ganzen Abend über weiter, es fühlte sich an, als ob genau an diesem Abend jeder Besucher seinen krassesten Abend des Jahres feiern wollte. Der Club war auch zu sehr später Stunde noch bis zum Anschlag gefüllt und es wurde von Stunde zu Stunde heißer und schwitziger dort, was kaum auszuhalten war. Irgendwann begannen die Barleute damit, Freischnäpse an alle auszugeben, die mit freiem Oberkörper an die Bar kamen. Als wir das Ganze dann irgendwann nach Sonnenaufgang beendeten, war der Laden immer noch komplett voll und es gab fast niemandem mehr, der noch ein Shirt trug. Irgendwann begannen die Barfrauen, die keinen BH dabei hatten, sich welche aus Gaffa-Tape zu basteln, was anschließend auch von vielen Besucherinnen übernommen wurde. Der Main Act unter den DJs musste am Ende von seinem Support-DJ nach Hause getragen werden. Damals dachte ich, dass ich die Reihe jetzt eigentlich wieder einstellen kann, weil der Abend nicht zu toppen ist. War er auch bis heute nicht.

 

Feiern bis der Arzt kommt

 

Nachdem „Stuttgart kaputtraven“ irgendwann immer aus allen Nähten platzte, gründete ich zusammen mit Andres Klein einen Ableger im Rocker 33, damals noch in der alten Bahndirektion zuhause. Auch hier waren die Partys, gerade in der Anfangszeit, immer sehr ausschweifend. Dabei zogen sich einzelne BesucherInnen leider auch immer wieder kleinere Blessuren zu und wir mussten häufiger den Notarzt rufen. So auch, als sich ein Gast an einem der im Innenhof stehenden Liegestühle einen Finger einquetschte. Das ganze sah sehr blutig und böse aus und wir machten uns schon Sorgen, dass der Finger komplett hinüber ist. Als er von den Sanitätern abgeholt wurde, rief er uns noch zu: „Aber ich komm nach dem Krankenhaus schon wieder bei euch rein – falls ich dann einen Verband hab' und mein Stempel verdeckt ist?“ Wir haben sehr über seinen Witz gelacht – bis wir ihn ein paar Stunden später wieder auf der Tanzfläche entdeckten, seinen großen Verband stolz in die Höhe haltend...

 

Was riecht denn da so?

 

Sehr wild ging es auch bei einer Party mit der Band typ:t.u.r.b.o. zu. Bei „Stuttgart kaputtraven“ hatte es sich inzwischen eingebürgert, dass parallel zur offiziellen Party auch im Backstage-Raum des Keller Klubs – ein etwa 10 Quadratmeter „großer“ Raum, in dem es noch heißer wird als im restlichen Club – sehr exzessiv zusammen mit den vielen Promo-Helfern und Freunden der Partyreihe gefeiert wurde. Der Kühlschrank musste laufend nachgefüllt werden, oft drängten sich weit mehr als 20 Leute in dem Kämmerchen. So auch an jenem Abend. Eine junge Frau, die niemand der Anwesenden kannte, saß den ganzen Abend betrunken und still in der Ecke auf dem Sofa, während um sie herum das Feierinferno tobte. Da wir keine Freunde von ihr ausmachen konnten, beschlossen wir, sie im Backstage zu lassen, da wir dort wenigstens etwas auf sie aufpassen konnten. Irgendwann begann es in dem überhitzten Raum komisch zu riechen, mit der Zeit wurde der süßliche Gestank immer schlimmer. Die Ursache fanden wir im Eck neben dem Sofa, offensichtlich hatte sich die Frau offensichtlich unbemerkt und reichlich übergeben. Da sich das Ganze schon schwer erreichbar unter den Sofa verteilt hatte, beschlossen wir, den Geruch zu ignorieren und so lange weiter zu feiern, bis es einfach nicht mehr auszuhalten war. Die Schweinerei beseitigt haben dann übrigens die tollen Barleute vom Keller Klub, wofür ich ihnen bis heute dankbar bin.

 

Nicht Zuhause nachmachen!

 

An diesem Abend wollte auch ein Bandmitglied von typ:t.u.r.b.o. herausfinden, was passiert, wenn man sich eine Konfetti-Kanone aus fünf Zentimeter Entfernung selbst ins Gesicht schießt. Damit das Experiment niemand wiederholen muss: Man sitzt danach für lange Zeit blass und wortlos da und freut sich, wenn nach einer halben Stunde das Pfeifen wieder verschwindet und das Gehör doch noch funktioniert.

 

Nackte Tatsachen

 

Nach meinen Poetry Slams wird zwar auch heute manchmal noch wild gefeiert, oft geht´s aber nach nem Absacker im Oblomov brav heim ins Bett. Vor fünfzehn Jahren war die Poetry-Slam-Szene noch etwas wilder aufgestellt als heute. Bereits während des Slams haben sowohl Publikum als auch Poeten kräftig Alkohol konsumiert, im Anschluss an die Dichterschlacht gab es immer immer noch eine große Aftershow-Party bis zum frühen Morgen. Mangels geeigneter Veranstaltungsräume haben wir damals den Poetry Slam meistens in irgendwelchen Locations veranstaltet, die dafür nicht vorgesehen waren - vom leerstehenden Blumenladen über eine Fußgängerunteführung bis zur – in Konstanz – Bodensee-Fähre. Einmal hatten wir einen Poetry Slam in der Konstanzer Minigolfhalle - einem großen, aber normal hohen Raum mit viel Plastikblumen, PVC-Holzdekor und mehreren kleinen Springbrunnen, alles im Stil der frühen 1980er Jahre. Irgendwie waren alle von dem ungewöhnlichen und schönen Ambiente der Location so angetan und euphorisiert, dass bereits vor und während der Veranstaltung Bier und Schnaps in Strömen flossen und manche Slam-Texte mehr gelallt als performt wurden. Im Finale standen dann – wie genau es dazu kam, weiß ich nicht mehr – alle drei Finalisten nackt auf der Bühne. Nachdem das Publikum vom Slam-Gewinner lauthals eine Zugabe forderte, begann dieser in epischer Länge und immer noch nackt seinen Lieblingswitz zu erzählen. Da ihm die Pointe nicht mehr einfiel, dauerte dieses Schauspiel ungefähr 20 Minuten, das Publikum tobte vor Begeisterung.