Nach dem ersten Lockdown kam der Ansturm auf Beratungsstellen für Opfer häuslicher Gewalt erst mit der Öffnung. Zwei Fachanwältinnen für Familienrecht befürchten dasselbe für die nächsten Monate – und fordern mehr Plätze in Frauenhäusern.

Stuttgart - Sandra Fasolt und Simone Waller-Krappen betreiben gemeinsam eine Kanzlei für Familienrecht. Zu ihren Mandatinnen zählen viele Opfer häuslicher Gewalt – für sie bemühen sich die Anwältinnen um Gewaltschutz.

 

Frau Fasolt und Frau Waller-Krappen, im Lockdown steigt Untersuchungen zufolge die Gefahr von häuslicher Gewalt an. Haben Sie zurzeit tatsächlich mehr Fälle als normalerweise?

Waller-Krappen: Im Moment haben wir, finde ich, weniger zu tun als sonst.

Fasolt: Für uns ist das aktuell tatsächlich die Ruhe vor dem Sturm. Wir hatten das genau so schon mal beim letzten Lockdown: Im Frühjahr 2020 war’s auch wirklich ruhig. Viele Frauen hatten keine Möglichkeit, sich nach außen zu bewegen. Teilweise wurden ihnen von den Männern die Handys weggenommen und sie konnten nicht mal die Polizei rufen. Als der Lockdown aufgehoben wurde, hatte jede von uns plötzlich zwei Fälle die Woche.

Waller-Krappen: Jede einen Fall in der Woche, das ist eigentlich normal. Mehr als acht bis zehn Fälle im Monat schaffen wir gar nicht.

Wie kommen diese Fälle denn zu Ihnen, und was tun Sie dann?

Fasolt: Die Frau ruft die Polizei, das ist der erste Schritt. Die Polizei spricht direkt vor Ort einen Platzverweis aus, sodass der Mann für 48 Stunden die Wohnung verlassen muss. Außerdem gibt sie der Frau eine Broschüre, in der sie Beratungsstellen findet, an die sie sich wenden kann. Dann gibt die Polizei den Fall an das Amt für öffentliche Ordnung weiter. Das prüft den zugrunde liegenden Sachverhalt und erlässt gegebenenfalls eine Verfügung für maximal zwei Wochen, sodass der Täter sich der Frau nicht mehr nähern darf.

Waller-Krappen: Man muss der betroffenen Person ja die Zeit geben, sich Rechtsschutz zu suchen.

Fasolt: Das ist der Zeitraum, in dem wir die Anträge bearbeiten, wenn die Frauen über eine Empfehlung zu uns kommen. Wir beantragen dann beim Gericht einen Beschluss nach dem entsprechenden Gewaltschutzgesetz: unter anderem die Wegverweisung aus der Wohnung, das Rückkehr-, Näherungs-, Kontaktverbot, je nachdem, was man alles braucht. Das ist dann befristet auf sechs Monate.

Waller-Krappen: Unser Ziel beim Gewaltschutz ist meistens, dass die Frau in der Wohnung bleibt und der Täter geht.

Wozu braucht es denn dann noch die Frauenhäuser?

Waller-Krappen: Es ist manchmal so, dass die Frauen sagen, das reicht mir nicht. Ich will nicht in dieser Wohnung bleiben, der findet mich überall. Viele sind im Frauenhaus auch viel besser aufgehoben in ihrer schlimmen Situation. Da sind Psychologen und Pädagogen, die sie unterstützen und ihnen helfen können, mit der Situation umzugehen. Viele Frauen brauchen das. Dann versuchen wir den Kontakt zum Frauenhaus herzustellen.

Fasolt: Wir sind da gut vernetzt, nur das nutzt den Frauen momentan nichts. Wir können gerne versuchen, sie weiterzuvermitteln, aber im Moment gibt es so gut wie keine Plätze. Die sind immer sehr knapp.

Aus unserem Plus-Angebot: Gibt es zu wenig Frauenhaus-Plätze im Rems-Murr-Kreis?

Warum gibt es so einen Mangel, und was sollte dagegen getan werden?

Fasolt: Wir sind in einer Pandemie – das ist das eine Problem. Das andere Problem ist der Wohnungsmarkt: Die Frauen können nicht wieder ausziehen. Die wären eigentlich soweit hergestellt, in der eigenen Situation gestärkt, dass sie aus dem Frauenhaus wieder aus- und in eine eigene Wohnung einziehen könnten, aber sie finden keine. Ich habe schon Frauen gehabt, die zwei Jahre lang im Frauenhaus waren, bis man ihnen eine Wohnung vermitteln konnte. Also, unserer Meinung nach sind es zu wenige Frauenhaus-Plätze generell. Aber wenn die Frauen nicht wieder ausziehen, sind auch bei einer höheren Anzahl vielleicht nur ein oder zwei Plätze im Monat vakant. Jedenfalls gehören da massiv die Mittel aufgestockt und mehr Plätze geschaffen. Die Anzahl der Plätze ist mit Sicherheit zu gering, davon bin ich überzeugt.

Über die Anwältinnen

Sandra Fasolt lebt im Rems-Murr-Kreis – wo genau, das muss zu ihrem Schutz ein Geheimnis bleiben. Simone Waller-Krappen kommt aus einem anderen Kreis, gemeinsam haben beide eine Kanzlei für Familienrecht in Stuttgart. Neben Gewaltschutzfällen betreuen sie Mandantinnen und Mandanten auch zu Themen wie Scheidung und Unterhalt, Sorgerecht und Ähnlichem.

Hilfe für Betroffene

Polizei-Notruf, Telefon 110

Frauenhaus, Telefon 0 71 81/ 6 16 14

Caritas-Zentrum Backnang, Telefon 0 71 91/ 91 15 6-0

Caritas-Zentrum Waiblingen, Telefon 0 71 51/ 17 24-28

Kreisdiakonieverband, Telefon 0 71 51/ 9 59 19-0

Pro Familia Waiblingen, Telefon 0 71 51/ 9 82 24 89 40