Zur Halbzeit ihrer Regierungszeit blicken Grüne und CDU vor allem zurück – und ziehen eine positive Bilanz. Die SPD vermisst einen Fahrplan für die nächsten zweieinhalb Jahre.

Stuttgart - Vor fast zweieinhalb Jahren verteilte die grün-schwarze Koalition noch Kiwi-Früchte, zur Halbzeit ihrer Regierung beschenken sich die Koalitionspartner mit Hefekuchen und Wein. Nach dem erbitterten Streit um Fahrverbote und Landtagswahlrecht scheint das Bedürfnis nach Harmonie und Gemütlichkeit groß.

 

Man habe sehr viel auf den Weg gebracht und auch bei schwierigen Themen Kompromisse gefunden, sagte Grünen-Fraktionschef Andreas Schwarz am Dienstag bei der Vorstellung der Halbzeitbilanz in Stuttgart. Etwa im Natur- und Umweltschutz oder bei der Landesbauordnung. Mittlerweile kämen 28 Prozent des Stromes aus erneuerbaren Energien, dank der Energiewende seien über 56 000 neue Arbeitsplätze entstanden. Auch tue das Land viel, um den sozialen Zusammenhalt zu stärken – unter anderem durch mehr Geld für die Kommunen, etwa für Kinderbetreuung, seniorengerechte Angebote und Integrationsmanager. Mit 250 Millionen Euro pro Jahr werde so viel in den Wohnungsbau investiert wie nie. „Wir freuen uns auf die nächsten zwei Jahre“, so Schwarz.

Landtagswahlrecht ausgespart

Auch CDU-Fraktionschef Wolfgang Reinhart ist voll des Lobes für den Koalitionspartner. Trotz aller Unterschiede sei „eine gute und vernünftige Beziehung“ entstanden. „Wir haben mehr erreicht als ursprünglich gedacht.“ Das Land habe viel für die Sicherheit getan – unter anderem durch zusätzliche Polizeistellen. Es setze bei der Bildungspolitik „stärker wieder auf Leistung, Qualität und Erfolg“, stärke die Kommunen wie kein anderes Land und habe gleichzeitig damit begonnen, die Schulden zu tilgen. Auch beim Straßenbau sei einiges erreicht worden – trotz der Vorbehalte des grünen Verkehrsministers. Er freue sich, mit Grünen-Fraktionschef Schwarz einen verlässlichen Partner zu haben, so Reinhart.

Das Thema, das die Koalition zu Beginn des Jahres in eine Krise gestürzt hatte, sparten die beiden Fraktionschefs allerdings aus: Das Landtagswahlrecht. Im Koalitionsvertrag hatten Grüne und CDU auch vereinbart, durch eine Wahlrechtsänderung dafür zu sorgen, dass mehr Frauen in den Landtag gewählt werden – mit einem Anteil von unter 30 Prozent ist Baden-Württemberg noch immer Schlusslicht. Dass die Änderung nicht zustandegekommen sei, sei „traurig“, sagte Schwarz. Reinhart erklärte, ein Koalitionsvertrag habe keine bindende Wirkung für die Fraktionen. Bei einer überraschenden Abstimmung in der CDU-Fraktion hatten alle Anwesenden eine Änderung abgelehnt. Daran werde auch in dieser Legislaturperiode nicht gerüttelt, stellte Reinhart auf Nachfrage klar. Das Thema sei oft genug thematisiert worden. Vom Tisch ist es damit allerdings nicht. „Obwohl eine Reform des Landtagswahlrechts für diese Legislaturperiode gescheitert ist, wird die Frauenunion hier weiter auf die Bedeutung dieser Reform pochen und nicht aufgeben“, heiß es in einem Leitantrag, den die CDU-Frauen am vergangenen Wochenende mit großer Mehrheit verabschiedet haben.

Opposition vermisst Zukunftsideen

In den kommenden Monaten steht unter anderem Digitalisierung, Wohnungsbau und innere Sicherheit auf dem Programm. Bei den Veränderungen in der Automobilwirtschaft müsse Baden-Württemberg eine führende Rolle einnehmen, sagte Schwarz. Das Elektroauto müsse im Südwesten erforscht, entwickelt, gebaut und von hier aus auch exportiert werden. Stark machen will sich Grün-Schwarz auch dafür, dass der Bund zusätzliche Mittel für den Ausbau des schnellen Internets bereitstellt – dafür müssen allerdings die EU-Vorgaben geändert werden. Von den bisher bewilligten Fördermitteln profitierte Baden-Württemberg kaum. Auf der Tagesordnung steht auch die Zukunft des freiwilligen Polizeidienstes. Diesen wollte die grün-rote Vorgänger-Regierung auf Druck der SPD abschaffen. Im Koalitionsvertrag steht, dass eine neue rechtliche Grundlage dafür geschaffen werden soll. Er gehe davon aus, dass die noch offenen Themen bis Anfang 2021 abgearbeitet würden, sagte Reinhart.

Die Opposition vermisst einen Fahrplan für die nächsten zweieinhalb Jahre. „Der Regierungskoalition fehlt eine gemeinsame Idee, wie sie das Land in eine erfolgreiche Zukunft führen kann“, sagte der Parlamentarische Geschäftsführer der SPD-Landtagsfraktion, Reinhold Gall. „Die Digitalisierungsstrategie von Grün-Schwarz ist eine einzige Luftblase. Bei der Fortentwicklung der Bildungslandschaft dreht sie die Zeit zurück, anstatt zu modernisieren und beim Ausbau des ÖPNV herrscht kompletter Stillstand.“ FDP-Fraktionschef Hans-Ulrich Rülke erklärte, die grün-schwarze Regierung könne höchstens feiern, „dass es diese Koalition geschafft hat, sich mit vielen Pleiten und Pannen über die Mittellinie zu retten“. Dabei gäben die Grünen den Ton an, die CDU könne sich nicht durchsetzen.