Mehr als zehn Jahre hat der Bau von Hamburgs neuem Kultur-Wahrzeichen gedauert und knapp achthundert Millionen Euro gekostet. Protest war gestern, jetzt herrscht ein Hype, und jeder will dabei sein: Sämtliche Konzerte der ersten Saison im Großen Saal des Hauses sind restlos ausverkauft.

Hamburg - Alles, so die zurzeit wohl populärste Beschwichtigungsformel: Alles wird gut. Von wegen, tönt es jetzt aus Hamburg: Alles ist gut. Nein, mehr noch: Alles ist super. Aus dem Albtraum ist ein Traum geworden, aus dem Skandalbau ein „nationales Architekturereignis“, das sein Intendant, Christoph Lieben-Seutter gar selbstbewusst als „Weltwunder“ tituliert. All dies liest und hört man dieser Tage in Zeitungen, Zeitschriften, im Radio und im Fernsehen, während auf die Fassade des imposanten Neubaus der Countdown bis zum Eröffnungskonzert an diesem Mittwoch projiziert wird. Seit dem ersten öffentlichen Rundgang durch das Gebäude werfen die Medien Superlative über die Elbphilharmonie hinein in einen weltweiten Echoraum. Der ist angefüllt mit so viel Euphorie, dass die Erinnerung an die Pleiten, Pech und Pannen zuvor darin offenbar keinen Platz mehr findet. Die Begeisterung der Jahre 2005 und 2006, als die Stadt Hamburg mit den Schweizer Architekten Herzog & de Meuron und mit dem Bauunternehmen Hochtief erste Verträge unterzeichnete, als die Bürgerschaft dem Projekt begeistert zustimmte und als Hamburger Bürger in ziemlich kurzer Zeit 70 Millionen Euro für den Neubau spendeten, ist jetzt wieder da, ja, sie ist ungetrübter noch als damals, und die Worte, die Hamburgs Bürgermeister Ole von Beust (CDU) 2007 bei der Grundsteinlegung für das neue Wahrzeichen Hamburgs verlor, könnte heute glatt wieder einer sagen: Die Elbphilharmonie sei, so von Beust damals, sei ein „Gewinn nicht nur für Hamburg, sondern für das ganze Land“. Wahrscheinlich wird Entsprechendes am Mittwoch beim großen Festakt vor dem Eröffnungskonzert verlauten; per Livestream kann jeder, der will, große Worte und (hoffentlich auch) große Kunst in Echtzeit mitverfolgen.

 

Kostensteigerung von null auf 789 Millionen Euro

Der kollektiven Amnesie fällt dabei Vieles anheim. Die fast zehn Jahre währende Bauzeit, Kommunikationsunwillen und Kommunikationsdesaster zwischen allen Projektpartnern. Die Fülle von „Projektänderungsmeldungen“ und „Behinderungsanzeigen“ seitens des Baukonzerns Hochtief. Die gleich zweifache Verschiebung der Eröffnung, die Kostensteigerung für die öffentliche Hand von ursprünglich veranschlagten null Euro (nach den Vorstellungen des ersten Projektentwicklers Alexander Gérard von 2001 sollte sich der Bau durch das Hotel und Eigentumswohnungen selbst tragen) auf 77 Millionen und schließlich auf 789 Millionen Euro. Der wachsende Widerstand der Bevölkerung gegen das „Millionengrab“. Der Künstlerprotest 2009, der weit in bürgerliche Kreise hineinwirkte („Über vierzig Prozent der Hamburger Ausgaben für Kultur entfallen derzeit auf die Elbphilharmonie“). Die Aussage Ole von Beusts 2010, dass man das Projekt sicherlich nicht umgesetzt hätte, wären seine Risiken und Nebenwirkungen schon vorher bekannt gewesen. Ab 2011 dann die Machtspielchen zwischen dem neuen Bürgermeister Olaf Scholz (SPD) und seiner Kultursenatorin Barbara Kisseler mit einem in störrischer Verweigerungshaltung erstarrenden Baukonzern, der den ursprünglichen „Pauschalfestpreis“ bis hin zu einem „Globalpauschalfestpreis“ hoch drückte.

Das alles ist irgendwie ganz weit weg. Das Ergebnis der parlamentarischen Untersuchungsausschüsse, die als Grund für die langjährige Bauverzögerung vor allem eine viel zu frühe Ausschreibung bei noch unfertiger Planung ausmachten und überforderte Politiker als Schuldige deklarierten, denen die Kontrolle total entglitten war: Auch dies ist ganz klein geworden im Vergleich zur Strahlkraft des fertigen Gebäudes, die einen regelrechten Hype ausgelöst hat. „Elphi“ nennen die Hamburger zärtlich ihr neues, großes Kleinod am Hafen.

Die erste Saison im Großen Saal ist komplett ausverkauft

Die erste Saison im 2100 Zuhörer fassenden Großen Saal ist jetzt schon nicht nur komplett ausverkauft, sondern nach Aussage des Intendanten „zigfach“ überbucht. Nur für einige Veranstaltungen im kleinen Saal – wahrscheinlich mit neuerer Musik – gibt es noch ein schütteres Restkartenkontingent. Die Vorwärtsverteidigung des Großprojekts durch Olaf Scholz („Wer will ernsthaft ein so teures Mahnmal als Ruine?“) trägt Früchte. Und es scheint sich auch auszuzahlen, dass man in Hamburg nicht gekleckert, sondern geklotzt hat. Architektonisch ist die Elbphilharmonie schon jetzt etwas ganz Besonderes: ein einzigartiges Wahrzeichen mit enormer Magnetwirkung. Es mag an sich problematisch sein, Ausgaben für Kultur mit dem Schlagwort der Umwegrentabilität zu rechtfertigen, weil diese Rechtfertigung immer die Unterstellung impliziert, dass sich Kunst und Kultur auch irgendwie rechnen müssen. Bei einem so kostenintensiven Prunkbau wie diesem darf man aber durchaus mal auf die Gelder schauen, die der Stadt mit den Besucherströmen die entleerten Taschen ruckzuck wieder füllen kann.

Dass vor allem die gerade viel gescholtene Elite von Institutionen wie der Elbphilharmonie profitiere, dass die Steuergelder in Hamburg also (wieder einmal) nicht für die Partizipation aller, sondern für Spitzenkultur für die Spitze der Gesellschaft ausgegeben wurden: Dieser Vorwurf steht allerdings noch im Raum. Dass der Besuch der Aussichtsplattform, der so genannten Plaza, aus statischen Gründen reglementiert werden muss, dass eine Reservierung deshalb jetzt zwei Euro Eintritt kostet (und eine Buchung auf der Homepage des Konzerthauses voraussetzt): Auch das wird diskutiert, und zwar nicht nur freundlich. Der Intendant indes bemüht sich um Wirkung auch in die Breite der Stadtgesellschaft hinein, fördert die Musikvermittlung, formuliert das ehrgeizige Ziel, dass jeder Hamburger Schüler einmal während seiner Schulzeit Zugang zu einer Veranstaltung der Elbphilharmonie erhalten soll, und für jedes Konzert in seinem Haus will er außerdem ein Kontingent von billigen Tickets für nur 12,50 Euro anbieten.

Der Betrieb muss sich auch dann noch rechnen, wenn der erste Hype verebbt ist

Wie viele Karten das genau sind, ist allerdings nirgends zu lesen, und tatsächlich muss Christoph Lieben-Seutter natürlich auch schauen, dass sich sein Betrieb rechnet – vor allem dann noch, wenn der erste Hype um die spektakuläre Architektur abgeebbt sein wird. Anders formuliert: Mittel- und langfristig darf das Haus nicht nur für Touristen attraktiv sein, sondern muss auch die Menschen der Fünf-Millionen-Metropole an sich binden, die mit der Eröffnung der „Elphi“ jetzt bei Fortbestehen des Betriebs in der ebenfalls etwa 2000 Besucher fassenden Laeiszhalle eine glatte Verdoppelung des Hamburger Konzertangebotes erleben. Starglanz mit Tourneeprogrammen von der Stange und ganz besondere Veranstaltungen jenseits des Konzert-Mainstreams werden sich die Waage halten müssen – und das unter nicht geringem Kostendruck. Ein heikler Akt – nicht nur bei den 100 Konzerten pro Saison, welche die Elbphilharmonie im Großen Saal selbst veranstaltet, sondern auch an den etwa 180 Abenden, an denen andere den Raum nutzen. Mieter sind zum Beispiel an das NDR-Elbphilharmonie-Orchester mit seinem Chefdirigenten Thomas Hengelbrock, das hier jetzt seine neue Heimat hat, und die von Kent Nagano geleiteten Hamburger Philharmoniker (also das Orchester der Oper). Die sind bislang in der Laeiszhalle aufgetreten und mussten dort nur gut ein Drittel von dem zahlen, was sie jetzt der Auftritt in Hamburgs neuer erster Kulturadresse kostet. Irgendjemand wird für diese Mehrkosten aufkommen müssen – oder sie anderswo einsparen.

Zunächst aber steht der Klang des großen Saales auf dem Prüfstand, für den der japanische Akustik-Guru Yasuhisa Toyota mit einer weißen Haut aus 10 000 individuell zugeschnittenen Gipsplatten sorgte. Musiker und erste Zuhörer schwärmen jetzt schon von ihm, und am Mittwoch dürfte ihm auch der Jubel der Prominenten, der Fachleute und der glücklichen eintausend Freikarten-Gewinner sicher sein. Ob das Festhalten am immer größer werdenden Großprojekt, ob das sture „Think big!“ beim Bau der „Elphi“ richtig und wichtig war, wird man aber frühestens nach den ersten beiden Spielzeiten beurteilen können. Dann müssen die Konzertprogramme der Elbphilharmonie beweisen, dass sie auf Augenhöhe mit deren Architektur sind – und ob Christoph Lieben-Seutter mit seinen Ahnungen Recht hat. „Die Elbphilharmonie“, verkündete der Intendant jetzt, „spielt in einer Dimension, die wir hier in Hamburg noch gar nicht richtig erfassen.“

Die Elbphilharmonie-Eröffnung in den Medien

TV:
Die Berichterstattung des NDR-Fernsehens beginnt an diesem Mittwoch um 18 Uhr mit dem Blick auf die eintreffende Prominenz. Ab 18.30 Uhr wird der Festakt mit den Reden u. a. von Bundespräsident Joachim Gauck, von Hamburgs Bürgermeister Olaf Scholz und vom Intendanten Christoph Lieben-Seutter live aus dem Großen Saal der Elbphilharmonie übertragen. Von 20.15 bis 22.45 Uhr gibt es dort auch das Eröffnungskonzert mit Werken von der Renaissance bis zur neuen Musik. Interpreten sind das NDR-Elbphilharmonie-Orchester unter Thomas Hengelbrock und die Sänger Bryn Terfel, Pavol Breslik und Philippe Jaroussky. In der Pause unterhält sich Barbara Schöneberger im Foyer mit prominenten Gästen. Auch der Österreichische Rundfunk (ORF) überträgt das Konzert live. Ab 22.45 Uhr sendet die ARD die Langzeit-Dokumentation „Die Elbphilharmonie – Konzerthaus der Superlative“, um 23.30 Uhr folgt dort eine dreißigminütige Zusammenfassung der Eröffnungsfeier.

Radio:
NDR Kultur überträgt ab 18 Uhr Festakt und Konzert live. Die Sendung wird von allen Radio-Kulturprogrammen der ARD übernommen.

Internet:
Arte streamt auf der Internetseite Festakt und Eröffnungskonzert. Auf youtube.com/elbphilharmonieHH gibt es die Eröffnung als 360°-Video.