Nach dem Sieg im Bundesliga-Spitzenspiel in Mannheim können sich die Flensburger nur noch selber stoppen. Was macht den Titelverteidiger trotz geringerem Budget so stark?

Mannheim - Tobias Karlsson wird seine Karriere in ein paar Wochen beenden. Sein Leben als Handballer ist nach dem 9. Juni vorüber, aber das bedeutet nicht, dass der Schwede deshalb lebensmüde geworden ist. Im Kampf um die Meisterschaft in der Bundesliga ist das durchaus von Bedeutung, denn für den Abwehrspezialisten und seine Kollegen geht es in den kommenden Wochen darum, nicht leichtsinnig zu werden. „Das wäre lebensgefährlich“, mahnte Karlsson am Ostersonntag im Bauch der Mannheimer SAP Arena.

 

Vorentscheidung im Titelkampf

Mit der SG Flensburg-Handewitt hatte der 37-Jährige kurz zuvor das Spitzenspiel bei den Rhein-Neckar Löwen mit 26:23 gewonnen und damit nach Einschätzung der Handball-Experten den entscheidenden Schritt in Richtung Titelverteidigung gemacht.

Karlsson klebten die Haare immer noch verschwitzt an der Stirn fest, seine Muskeln waren erschöpft, aber im Kopf war der Schwede klar und aufmerksam. In der Tabelle liegen die Flensburger nach dem knappen aber verdienten Erfolg in Mannheim weiterhin vier Punkte vor dem THW Kiel und wirkten in den vergangenen Monaten so stabil, dass durch den Erfolg beim Meister der Jahre 2016 und 2017 der Chor der vorzeitigen Gratulanten zur Meisterschaft immer größer wird. Von außen wird dem amtierenden Titelträger souffliert, dass er mit den Vorbereitungen für die Feierlichkeiten beginnen könne und deshalb wiederholte Karlsson seine Warnung noch einmal: „Das wäre lebensgefährlich, sich damit zu beschäftigen.“

Vom Jäger zum Gejagten

Die Flensburger befinden sich schließlich in einer neuen Situation, denn den Kampf um die Meisterschaft ist der Club aus der Stadt an der dänischen Grenze gewohnt – befand sich aber bislang stets in der Rolle des Jägers. In der vergangenen Saison auf dem Weg zur ersten Meisterschaft seit 2004 eroberte die SG die Tabellenspitze erst am drittletzten Spieltag, diesmal marschieren die Flensburger vom ersten Spieltag an vorneweg. „Das ist eine neue Rolle, wir haben ja immer gejagt“, sagt daher auch Karlsson und ist selbst neugierig, wie seine Kollegen und er damit umgehen, dass die Konkurrenz auf Fehler von ihnen wartet.

Die Voraussetzungen sind allerdings gut, dass die Flensburger trotz eines anspruchsvollen Restprogramms mit Duellen in Kiel, in Göppingen, gegen Melsungen und gegen Berlin am Ende immer noch da stehen, wo sie schon seit Saisonbeginn zu finden sind. Schließlich verfügen sie über den zuletzt erfolgreichsten Kader aller Bundesligisten. Vier Flensburger wurden im Januar mit Dänemark Weltmeister, vier SG-Akteure standen ihnen im Trikot der norwegischen Nationalmannschaft im Endspiel gegenüber. Hinzu kommen der Schwede Jim Gottfridsson als bester Spieler der Europameisterschaft 2018 und eben Karlsson, der trotz nahendem Karriereende als bester Abwehrspieler der Liga gilt.

Budget in Kiel und Mannheim ist größer

Die Flensburger haben in den zurückliegenden Jahren offensichtlich ganz viel richtig gemacht, als sie einen formidablen Kader zusammenbastelten, obwohl sie nicht das größte Budget der Bundesliga haben. Aus diesem Grund bedienen sich die Verantwortlichen auf der Suche nach neuen Talenten regelmäßig in Skandinavien, denn gestandene deutsche Nationalspieler sind für die SG schlicht nicht zu finanzieren. Die deutschen Stars spielen in Kiel, Mannheim oder werden gerade von der MT Melsungen verpflichtet. Für die SG bleibt nur die Chance, es mit aufstrebenden deutschen Akteuren zu probieren. Im vergangenen Jahr kam Kreisläufer Johannes Golla nach Flensburg, im nächsten Sommer folgt ihm der 21-Jährige Leipziger Franz Semper nach, um Holger Glandorf im rechten Rückraum zu beerben.

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Auf deutsche Stars auf dem Feld müssen die Zuschauer in Flensburg verzichten, haben dafür aber einen angehenden deutschen Star auf der Trainerbank. Als Maik Machulla nach Jahren als Assistent von Ljubomir Vranjes im Sommer 2017 zum Chef befördert wurde, gab es Vorbehalte gegen ihn. Manche sprachen dem zurückhaltenden Coach hinter vorgehaltener Hand das Format ab, das Niveau der Flensburger Mannschaft zu halten. Das „misslang“ auch, denn unter Machulla wurde die SG stetig stärker und ist aktuell die dominierende Mannschaft der Bundesliga. „Flensburg wird Meister, weil sie den besten Handball spielen“, ist Andy Schmid überzeugt. Der Spielmacher der Löwen kann sich nicht vorstellen, dass die SG die Tabellenführung noch einmal abgibt: „Die spielen einfach gut, haben einen so starken Kader und sind konstant.“ Für den Schweizer ist die Sache entschieden.

Traum von der Champions League

Ehe die Flensburger in der Liga ihren Vier-Punkte-Vorsprung verteidigen, gibt es an diesem Mittwoch zunächst die Chance, die deutsche Malaise in der Champions League zu beenden. Im Viertelfinale der Königsklasse treffen die Norddeutschen auf den KC Veszprem aus Ungarn, um sich im Hinspiel in eigener Halle eine gute Ausgangslage für das Rückspiel zehn Tage später zu erarbeiten. Zwei Jahre lang war kein deutscher Vertreter mehr beim Final Four in Köln dabei. Es könnte sein, dass die Flensburger das mit viel Hilfe aus Skandinavien ändern.