Beim Sieg gegen Österreich zeigt der deutsche Torhüter Jogi Bitter seine ganze Klasse – und wird der Spieler des Spiels.

Sport: Jürgen Frey (jüf)

Wien - Als klar war, dass in diesem Spiel nichts mehr schief gehen kann, ballte Johannes „Jogi“ Bitter erneut die Faust und blickte zur Trainerbank. Christian Prokop ballte ebenfalls zuerst die Faust, dann klatschte er und ein entspanntes Lächeln huschte über sein Gesicht: Der Bundestrainer wusste, bei wem er sich in diesem vor allem für ihn selbst so wichtigen Spiel zu bedanken hatte: Bei Johannes „Jogi“ Bitter. Der Keeper vom TVB Stuttgart zeigte in seinem 152. Länderspiel eine überragende Vorstellung. Als der 37-Jährige nach dem 34:22 (16:13) die Auszeichnung für den Spieler des Spiels entgegennahm, hallten lautstarke „Jogi, Jogi“-Sprechchöre durch die Wiener Stadthalle. Bitter machte sich anschließend ein bisschen Gedanken, ob seine drei Söhne diese Galashow auch miterlebt haben: „Ich muss gleich mal zu Hause anrufen, ob sie es gesehen haben.“ Und was tat Prokop? Er atmete erst einmal tief durch: „Genießen konnte ich vielleicht die letzten zehn Minuten, das war mental schon eine große Herausforderung.“ Nun ist der Flug zum Spiel um Platz fünf am Samstag in Stockholm gebucht, das Hauptrunden-Finale am Mittwoch gegen Tschechien (20.30 Uhr/ZDF) hat darauf keinen Einfluss mehr.

 

Spielentscheidender Wechsel

Beim 7:8-Rückstand (15.) war es zum spielentscheidenden Torwartwechsel gekommen. Andreas Wolff (nur zwei Paraden) raus, Bitter rein. Es war ein Weckruf. Der Routinier kaufte Robert Weber gleich einen Siebenmeter ab und steigerte sich in einen Rausch. Schon bis zur Pause hatte er mit sieben Paraden die Österreicher fast zur Verzweiflung getrieben. Es gab keine Schwächephase mehr gegen einen verzweifelt kämpfenden Gastgeber. Die deutsche Mannschaft zog Tor um Tor davon. Beim 29:19 lag sie erstmals mit zehn Toren in Führung. Warum? Weil, wenn es hinten mal eng wurde, Bitter zur Stelle war. Am Ende hatte er 15 Paraden auf dem Konto – eine Weltklasse-Quote von 54 Prozent gehaltener Bälle.

Als Stresstest, als Charaktertest war das Spiel gegen Österreich ausgerufen worden. Aber nicht, weil es gegen den hoch motivierten kleinen Nachbarn ums Prestige ging, sondern um die Zukunft des Bundestrainers. „Was macht diese Mannschaft mit diesem Trainer am Montagabend?“, hatte Bob Hanning, der Vizepräsident des Deutschen Handballbundes (DHB), gesagt und damit nicht nur vage angedeutet, dass es im Falle eines Misserfolgs ungemütlich für Prokop werden könnte, sondern die Trainerdiskussion selbst angeheizt.

Das sportliche Ziel verpasst

Denn die Fakten sprechen ohnehin nicht für den Leipziger. Diese EM ist das dritte Turnier unter dem 41-Jährigen. Und zum dritten Mal heißt es: Sportliches Ziel verpasst. Nach Platz neun bei Prokops verpatzter EM-Premiere 2018 und dem undankbaren vierten Platz bei der Heim-WM 2019, verfehlte man nun das ausgegebene Ziel Halbfinale. Und da der Handball, zumal im mitgliederstärksten Verband der Welt, nun mal ein Ergebnissport ist, hatte vor dem Österreich-Spiel auch der Druck aus der Heimat zugenommen. Am schärfsten formulierte Daniel Stephan seine Kritik an Prokop: „Er hat nicht die Qualitäten, um den Bundestrainer abzugeben, da fehlt mir einiges.“

Es hatte sich also die Frage gestellt: Wie läuft das Spiel gegen Österreich? Rafft sich die Mannschaft nach dem Schock der späten Niederlage gegen Kroatien noch einmal auf und gibt für ihren Trainer alles? Oder lässt sie sich hängen und liefert damit die entscheidenden Argumente für eine vorzeitige Trennung?

Die Antwort der Mannschaft – mit Jogi Bitter an der Spitze – war eindeutig.