Mit dem Spiel um Platz fünf gegen Portugal endet an diesem Samstag die EM für die deutschen Handballer. Doch schon jetzt lässt sich das eine oder andere Urteil fällen – auch über die Spieler vom TVB Stuttgart.

Sport: Jürgen Frey (jüf)

Wien – Schon vor dem abschließenden Spiel um Platz fünf an diesem Samstag (16 Uhr/live beim TV-Sender One) gegen Portugal gibt es einige Erkenntnisse zu den deutschen Handballern.

 

Die Gewinner: Der Kleinste im deutschen Team war der Größte: Timo Kastening, 1,80 Meter, hat sich mit seiner frechen, unbekümmerten Art in die Herzen der Fans gespielt und die deutsche Mannschaft mitgerissen. Wie der 24-jährige Rechtsaußen von der TSV Hannover-Burgdorf den Gegnern den Ball stibitzte und ihn beim Tempogegenstoß kaltschnäuzig im Netz versenkte, sorgte auch in der internationalen Handballszene für Bewunderung.

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Der Längste im Team darf ebenfalls gerne wiederkommen: 2,05-m-Riese Johannes „Jogi“ Bitter zeigte nicht nur bewundernswerte Teamplayer-Qualitäten neben dem Parkett, auf den Keeper vom TVB Stuttgart war auch Verlass, als er zwischen die Pfosten kam. Im zum Charaktertest hochstilisierten Duell mit Österreich zeigte der 37-Jährige eine Weltklasseleistung. Im Spiel gegen Tschechien hielt er nicht überragend, aber stark und erhielt erneut die Auszeichnung „Man of the match“.

Der Rückraum bleibt zwar die Problemzone, trotzdem gibt es einen Lichtblick: Philipp Weber. Der spielstärkste Akteur des Teams in diesem Mannschaftsteil machte einen großen Schritt nach vorne, bestach durch seine Dynamik, überraschende Anspiele und mutige Abschlüsse – auch im Spiel gegen Tschechien war der Mann aus Leipzig bester Feldspieler. Der Trainer sollte ihn, im Zuge der Diskussion um die fehlenden Führungsspieler, weiter stärken.

Kühn enttäuscht

Die Verlierer: Bei der Heim-WM 2019 hatte Julius Kühn wegen eines Kreuzbandrisses gefehlt. Auf sein Comeback und die damit verbundene Hoffnung auf die ersehnten einfachen Tore aus dem Rückraum setzte das DHB-Team. Doch das Turnier lief an dem 1,95-m-Hünen vorbei. Richtig überzeugen konnte er nur gegen Lettland (acht Tore bei neun Versuchen). Auch Kapitän Uwe Gensheimer setzte keine Impulse. Dabei bringt der Linksaußen die geballte Erfahrung aus 182 Länderspielen mit – doch von dem 33-Jährigen wird viel mehr erwartet. Das gilt zumindest im Angriff auch für Paul Drux, der zwar in der Abwehr überzeugt, vorne unermüdlich rackert, sich in Zweikämpfen aufrieb, aber als Spielmacher nur eine Notlösung darstellt. Schon viel bessere Spiele hat man von Kai Häfner gesehen. Beim Olympia-Qualifikations-Turnier braucht man den Linkshänder in weitaus besserer Verfassung.

Prokops Nominierungen passen

Der Trainer: Die besten Entscheidungen hat Christian Prokop vor der EM getroffen. Johannes Bitter für Silvio Heinevetter als zweiten Torwart zu nominieren, erwies sich als Glücksgriff. Die Maßnahme, Rechtsaußen-Routinier Philipp Groetzki zu Hause zu lassen und auf Neuling Timo Kastening zu setzen, gehört ebenfalls in die Kategorie Volltreffer. Und in Kreisläufer Johannes Golla einen weiteren Innenblock-Spezialisten mitzunehmen, stellte sich auch als sinnvoll heraus. Die grundsätzliche Personalauswahl passte, manche seiner Wechsel auf dem Spielfeld waren dagegen nur schwer nachvollziehbar.

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Immerhin: Beim 34:22 gegen Österreich und bei den Aussagen danach zeigte die Mannschaft, dass sie hinter dem Bundestrainer steht. Die DHB-Führung zog mit der Jobgarantie nach. Was nichts daran ändert: Prokop ist ein akribischer Analytiker, ein harter Arbeiter – ein Charismatiker mit Ausstrahlung und natürlicher Autorität wird er nie.

Schweikardt hin- und hergerissen

Das Trio vom TVB Stuttgart: Über Johannes Bitter ist alles gesagt. Er wird dem Nationalteam weiter zur Verfügung stehen – alle Anzeichen deuten darauf hin, dass er auch beim TVB über die Saison hinaus weitermacht. „Es sieht gut aus“, bestätigt Trainer und Geschäftsführer Jürgen Schweikardt. David Schmidt, der im Sommer zum Ligarivalen Bergischen HC wechseln wird, ermöglichte bei der EM Kai Häfner im rechten Rückraum die nötigen Pausen. Wenn er von der Bank kam, spielte der 27-Jährige nicht erst nur alibimäßig den Ball hin und her, sondern gab sofort Vollgas. Das gefiel auch der Bundestrainer. Allerdings ging der Linkshänder vorne (Stürmerfouls) und hinten (Zeitstrafen) manchmal zu ungestüm zur Sache. Nichts zu kritisieren gab es beim zweiten Stuttgarter EM-Neuling: Linksaußen Patrick Zieker erfüllte absolut die Erwartungen. Er ist derzeit mehr als nur eine Alternative zu Uwe Gensheimer. Am Mittwoch oder Donnerstag nächster Woche steigt das Trio beim TVB wieder ins Training ein. Am Sonntag, 2. Februar (16 Uhr), geht die Liga mit dem Spiel beim TBV Lemgo weiter. „Das ist natürlich alles andere als optimal“, sagt Schweikardt. Die Belastung sieht er nicht als das große Problem an, vielmehr müssten die Spieler „im Kopf umschalten und die Liga wieder in den Fokus bekommen“. Doch er hofft, dass die positiven Aspekte überwiegen: „Die positiven Erfahrungen werden den Spielern einen Schub an Selbstvertrauen geben.“