„Es kann ja nur besser werden“, sagt Rolf Brack, der ehemalige Bundesligatrainer und Schweizer Nationalcoach, und sieht für die deutsche Nationalmannschaft noch gute Chancen bei dieser EM. Was dafür die Voraussetzungen sind, verrät er im Interview.

Sport: Jürgen Frey (jüf)

Stuttgart - Die deutsche Handball-Nationalmanschaft bestreitet am Donnerstag (20.30 Uhr/ARD) in Wien ihr erstes EM-Hauptrundenspiel gegen Weißrussland. Rolf Brack (66), der langjährige Bundesligatrainer und frühere Schweizer Nationaltrainer, äußert sich im Interview über die Aussichten des deutschen Teams, taktische Erkenntnisse und seinen Topfavorit auf den Titel.

 

Herr Brack, können Sie Handball-Deutschland Hoffnung für die Hauptrunde machen?

Ja, schon (lacht). Aber dafür ist positives Denken angesagt.

Das fällt schwer nach den Auftritten.

Meiner Wahrnehmung nach hat man sich bisher zu sehr an den eigenen Schwächen orientiert. Die Fokussierung im Training und in der Spielvorbereitung lag vielleicht zu sehr auf der Behebung von Defiziten im Angriffsspiel.

Was in Anbetracht der prominenten Ausfälle speziell für die Mitte-Position auch nötig ist.

Demgegenüber steht allerdings die entscheidende Erfolgsformel im Sport, sich seiner eigenen Stärken bewusst zu sein und sich darauf gnadenlos zu konzentrieren. Das meine ich mit positivem Denken. Unsere Stärken sind nun mal überragende Torhüter hinter einer leidenschaftlich kämpfenden Abwehr und bedingungsloses Tempospiel.

Die Deckung stellt sich bisher aber als ziemlich löchrig heraus.

Das ist das Hauptproblem. Was hat Deutschland stark gemacht? Das war immer eine starke, kompakte 6:0-Abwehr, die je nach Gegner oder Situation eine sowohl defensiv-kompakte als auch offensiv-kontaktorientierte Spielweise gezeigt hat. Diese Variabilität müssen wir wieder mit mehr Leidenschaft, mit mehr Beinarbeit, mit mehr Antizipation zeigen. Dann kommen auch die Torhüter wieder besser ins Spiel. Ihre Leistung basiert auf einer starken Deckung, nicht andersherum. Und die offensive 3:2:1-Variante funktioniert bisher, mit Ausnahme der ersten Minuten gegen Spanien, gar nicht.

Dabei sind Patrick Wiencek und Hendrik Pekeler diese doch aus Kiel gewohnt.

Stimmt, aber da haben sie andere Nebenleute an der Seite. Das Kieler Abwehrhirn Domagoj Duvnjak spielt leider für Kroatien. In der Nationalmannschaft fehlt zudem die notwendige Abstimmung vor allem nach Übergängen mit zwei Kreisläufern. Unabhängig von der Abwehrbesetzung mit Jannik Kohlbacher und damit drei Kreisläufern sehe ich auch Probleme im Tempospiel aus der Abwehr heraus.

Das klingt alles nicht sehr optimistisch?

Es kann ja nur besser werden. Und die Aussichten sind gar nicht so schlecht. Wichtig ist, dass sich der Bundestrainer nun auf eine klare Struktur und eine Stammbesetzung festlegt. Julius Kühn hat durch seinen starken Auftritt gegen Lettland viel Aufwind, er sollte mit Paul Drux und Kai Häfner im Rückraum spielen. Kühn bringt doch alles mit: Wurfgewalt, gutes Eins-gegen-eins-Verhalten, und er sieht auch den Kreis.

Hat der Bundestrainer zu viel gewechselt?

Unter den Aspekten Belastungsverteilung und Austesten der Form der Einzelspieler, eher nein. Im Hinblick auf die nicht überzeugende Mannschaftsleistung in den bisherigen Spielen eher ja. Vor allem im linken Rückraum wurde zu viel ausprobiert. Dieser breite Kader, diese vermeintliche Ausgeglichenheit ist Segen, aber auch Fluch. Die Wechselstrategie sollte in den nächsten Spielen mehr am Einspielen einer Stamm- und Winnerbesetzung ausgerichtet sein.

Könnte sich die Verteilung der Belastung positiv auswirken?

Auf jeden Fall. Die Weißrussen konnten in der Vorrunde nicht so viel wechseln. Bei anderen Nationen spielten Schlüsselspieler 60 Minuten durch, wie zum Beispiel Nikola Bilyk bei den Österreichern. Wenn wir dann noch den siebten Feldspieler öfter bringen, ist das die ökonomischste Art, Handball zu spielen. Das haben Länder wie Portugal, Dänemark, Österreich und die Schweiz bei dieser EM schon sehr erfolgreich vorgemacht. Aber auch wir haben mit dem Einsatz des siebten Feldspielers in den letzten zehn Minuten gegen Spanien unsere Angriffsquote gegenüber den ersten 50 Minuten verdoppelt. Optimistisch für Deutschland macht mich aber noch ein weiterer Punkt.

Bitte.

Die Erwartungshaltung geht doch inzwischen gegen null. Ohne den ganz großen Druck lässt es sich leichter spielen. Und so ein Sieg gegen Weißrussland kann eine befreiende Wirkung haben.

Dann kommen die Kroaten.

Gegen die wir zuletzt viermal gewonnen haben. Die liegen uns. Das wird ein Spiel der Taktik und der großen Emotionen.

Die Emotionen werden dem Bundestrainer von seinen Kritikern abgesprochen. Zu Recht?

Jeder Trainer ist anders. Ein Typ wie Dänemarks Nikolaj Jacobsen pusht sein Team mit viel Mimik, Gestik und enormer Lautstärke. Christian Prokop hat ja gesagt, dass er seinen Frust nicht an den Spielern herauslassen will. Ganz grundsätzlich ist es aber so, dass ein Team emotionale Führung braucht, und dabei darf man nicht immer nur lieb und nett zueinander sein.

Warum tun sich eigentlich die Favoriten so schwer?

Ich glaube, dass sich die Kaderbreite zum Beispiel bei Frankreich und Dänemark zu Beginn des Turniers als Schwäche herausgestellt hat. Die vielen Wechsel führten zur Verunsicherung. Zudem ist die Spitze in Europa breiter geworden. Das sieht man an einem Team wie Portugal.

Woran liegt das?

Auch an der zunehmenden Stärke der jeweiligen nationalen Ligen. Clubs wie FC Porto, Benfica und Sporting Lissabon hängen am Tropf der finanzstarken Fußballer und profitieren davon. Hinzu kommt ein sehr gutes Ausbildungssystem für den Nachwuchs. Die U 19 und U 21 Portugals standen vergangenen Sommer bei den Weltmeisterschaften jeweils im Halbfinale.

Können die Portugiesen auch Europameister werden?

Mein Favorit ist Norwegen mit Ausnahmehandballer Sander Sagosen und den sehr starken Bundesliga-Spielern Christian O’Sullivan vom SC Magdeburg und Goran Johannesen aus Flensburg.

Und was ist denn noch für das deutsche Team drin?

Immer noch das Halbfinale. Die Partie gegen Weißrussland wird der Knackpunkt.

Mit dem aus früheren Bundesliga-Zeiten bekannten Juri Schewtsow auf der Trainerbank.

Er kennt unsere Spieler sehr genau und wird seine Spieler mit seiner in über 25 Jahren entwickelten Handballexpertise optimal vorbereiten.