In zwei Spielen nacheinander geben die deutschen Handballer bei der Weltmeisterschaft in der Schlussphase den Sieg noch aus der Hand und müssen mit einem Unentschieden zufrieden sein. Warum macht das Team den Sack nicht zu?

Sport: Jürgen Frey (jüf)

Berlin - In der Partie gegen Russland mit 20:17 geführt, am Ende hieß es 22:22. Im Kracher gegen Frankreich mit 25:23 vorne gelegen, nach der Schlusssirene zeigte der große Videowürfel unterm Hallendach der Mercedes-Benz-Arena in Berlin ein 25:25 an. An zwei aufeinanderfolgenden Tagen verspielten die deutschen Handballer bei der WM jeweils einen Punkt. Immer diese verflixten Schlusssekunden!

 

Da stellt sich die Frage: Warum schafft es die Mannschaft von Bundestrainer Christian Prokop nicht, den Sack zuzumachen? Ist es Zufall oder steckt mehr dahinter? „Der Glück-Pech-Faktor spielt im Sport schon eine große Rolle“, nimmt Sportwissenschaftler Rolf Brack das Team in Schutz. Auch Markus Baur, der Weltmeister von 2007, hält den Ball flach: „Man muss die Kirche schon im Dorf lassen. Frankreich ist Weltmeister und das russische Team auch nicht von Pappe.“

Die Aussetzer sind aufällig

Dennoch sind diese Aussetzer auffällig. „Go-to-guy-Charaktere“ sind in diesen entscheidenden Phasen gefragt. Also solche Spieler, die von den Kollegen gesucht werden, wenn kurz vor Schluss ein Tor her muss. Solche Spitz- auf Knopf-Situationen meisterte bei Frankreich zum Beispiel Spielmacher Kentin Mahe (27), der gegen Deutschland neunmal traf und dabei viermal vom Siebenmeterstrich die Nerven behielt. „Ist doch kein Wunder, der Mann wurde eben auch schon zweimal Weltmeister und kennt sich aus in solchen Stresssituationen“, sagt Baur.

Und Deutschland? Gegen Russland leistete sich Paul Drux (23) den entscheidenden Fehlpass. Dem Fuchs aus Berlin fehlt noch die ganz große Erfahrung, zudem nach zahlreichen Verletzungspausen offensichtlich die Sicherheit. Gegen Frankreich hatte Fabian Böhm den fatalen Fehlpass gespielt und wenig später zwei Minuten kassiert– diese Aktionen kosteten den Sieg. Der Mann von der TSV Hannover-Burgdorf ist zwar schon 29, großartige Erfahrung in Ausnahmesituationen auf der internationalen Bühne bringt er nicht mit.

Auch Routine schützt nicht vor Patzern

Routine schützt aber auch nicht immer vor Patzern. Steffen Weinhold, Deutschlands Erfahrenster, versiebte gegen Russland kurz vor Schluss die Riesenchance zum 21:17. Ein prominentes Beispiel gibt es auch von Olympia 2000 in Sydney: Im Viertelfinale gegen Spanien traf Linksaußen Stefan Kretzschmar beim Stand von 26:26 kurz vor Schluss mit einem Aufsetzer nur die Unterkante der Latte. Die Spanier liefen noch einen Konter und erzielten das 27:26. „Auch wenn du es nicht willst, die Szene kommt ab und zu in deinen Kopf, sogar, wenn du nachts träumst“, sagt Kretzschmar heute noch.

Dass die aktuellen deutschen Spieler bei der laufenden WM an ihrer Fahrlässigkeit zu knabbern haben, glaubt weder DHB-Vizepräsident Bob Hanning („Die Pechsträhne ist vorbei. Das wiederholt sich nicht nochmal“) noch der Sportpsychologe Werner Mickler: „Das hat keine Auswirkungen. Die Mannschaft wird daraus lernen und Lösungsstrategien entwickeln.“ weiteren WM-Spiele werden es zeigen.