Die höchsten Gerichte machen im Prinzip klare Vorgaben – dennoch gibt es immer wieder Ärger um verkaufsoffene Sonntage. Die Gewerkschaft sieht vor allem die Kommunen in der Pflicht, ihrem Prüfungsauftrag nachzukommen.

Politik: Matthias Schiermeyer (ms)

Stuttgart - Der Kampf um den freien Sonntag hat sich zunehmend vor die Gerichte verlagert: Zwar sind die rechtlichen Möglichkeiten, verkaufsoffene Sonntage zu genehmigen, durch Grundsatzurteile des Bundesverfassungsgerichts von 2009 und des Bundesverwaltungsgerichts von 2015 eng begrenzt worden, dennoch häufen sich die Klagen der Gewerkschaft Verdi und weiterer Mitgliedsorganisationen der „Allianz für den freien Sonntag“. Dem Bündnis gehören vor allem auch die beiden großen Kirchen an.

 

Auf einer Fachtagung in Stuttgart sieht Verdi gerade die Städte und Gemeinden in der Pflicht: „Wir haben klare Kriterien, um festzustellen, ob die Anlässe, die vom Handel für eine Sonntagsöffnung herangezogen werden, den Anforderungen genügen“, sagt Landesfachbereichsleiter Bernhard Franke. Doch die Überwachung sei zu gering. „Eigentlich wäre es Aufgabe der Rechtsaufsichtsbehörden und Kommunen, dass sie die Kriterien prüfen, bevor sie willfährig dem Einzelhandel die Sonntagsöffnung genehmigen – dies passiert leider noch nicht überall.“

Musterklagen sollen Rechtsklarheit schaffen

Verdi habe in diversen Fällen Klage vor baden-württembergischen Verwaltungsgerichten erhoben, „um Berufungsfälle zu schaffen, an denen sich die Kommunen im Land orientieren müssen“. Manche Städte suchten den Dialog – andere spielten auf Zeit und enthielten Informationen vor. Somit nähmen die Kommunen im Land ihre Prüfaufträge nicht ernst, moniert die Gewerkschaft. Die vielfach erfolgreichen Musterklagen sollen dazu beitragen, Rechtsklarheit zu schaffen und die Zahl der Genehmigungen auf ein „vernünftiges Maß“ zurückzubringen.

Das Ladenöffnungsgesetz des Landes erlaubt pro Jahr maximal drei verkaufsoffene Sonn- und Feiertage je Kommune. In Anspruch genommen wird es im Schnitt 1,5 Mal. Weil der Mittelstand durch den wachsenden Onlinehandel massiv unter Druck stehe, fordert Sabine Hagmann, Hauptgeschäftsführerin des Handelsverbandes im Südwesten, vom Gesetzgeber bis zu vier verkaufsoffene Sonntage – diese aber ohne Anlassbezug. Der Handel werde sich zwar stets Anlässe wie Messen, Märkte oder Feste suchen, sagt sie. „Aber diese Bürokratie-Hürde muss abgesenkt werden – es muss planbar bleiben für Geschäfte und Kommunen.“ Keinesfalls dürfte die Anzahl der erlaubten verkaufsoffenen Sonntage weiter zurückgedrängt werden. „Sonst werden die Innenstädte vergessen – und die Pluralität des Handels wird vernichtet“, warnt Hagmann.

„Wenig Spielraum für eine Fortentwicklung des Rechts“

Wilhelm Schluckebier, bis Ende 2017 Richter am Bundesverfassungsgericht und stark beteiligt am Urteil von 2009, verweist auf den europaweit einzigartigen Verfassungsrang des freien Sonntags in Deutschland. Verfassungen müssten offen sein für künftige Entwicklungen, doch sehe er „wenig Spielraum für eine Fortentwicklung des Rechts“, andere Auslegungslinien seien „wenig wahrscheinlich“ – der Kern des Schutzauftrags müsse gewahrt bleiben. Dieser müsse gerichtlich immer wieder neu eingefordert werden, und es müsse immer wieder neu definiert werden, wo die rote Linie liegt. Seine Prognose: Wenn es Kommunen und Aufsichtsbehörden mit den Ausnahmen übertreiben, könnte Karlsruhe erneut eingreifen.

Gerade erst hat die schwarz-gelbe Regierung in Nordrhein-Westfalen acht statt bisher vier verkaufsoffene Sonntage pro Geschäft und Jahr erlaubt sowie die Sachgründe ausgeweitet. „Das wird der rechtlichen Prüfung nicht standhalten“, prophezeit Franke. „Der Verfassungsrang des freien Sonntags kann durch solche Landesgesetze nicht ausgehebelt werden.“ Hagmann widerspricht: Große Anwaltskanzleien hielten die Neuregelung für rechtmäßig.